Traditioneller Ostermarsch
Der Ostermarsch der Friedensbewegung hat Tradition, die Anti-AKW Bewegung und Friedensbewegte marschierten erstmals am Karfreitag im Jahr 1960. Den Zweiten Weltkrieg im Bewusstsein und die atomare Aufrüstung im Kalten Krieg waren Anlass für weltweiten Frieden auf die Straße zu gehen. Die letzte Demonstration der FRIKO (Friedenskoordination Berlin) fand 2021 unter pandemischen Schutzauflagen statt und wendete sich gegen Atomwaffen, gegen Drohneneinsätze und gegen Aufrüstung in Deutschland und weltweit.
Dieses Jahr trug die Demonstration, die diesen Samstag, 16.04.2022, stattfand, den Titel "Sicherheit in Europa geht nur gemeinsam. Für Entspannung statt Konfrontation. Frieden mit Russland". Der Dachverband versammelt verschiedene Organisationen unter sich, so Gruppen wie "Netzwerk Friedenskooperative", der Bundesausschuss “Friedensratschlag" sowie gewerkschaftliche Vertretungen und Jugendvereinigungen.
Seit jeher ist der Ostermarsch in vielen Städten ein Sammelbecken für zahlreiche Gruppierungen und Organisationen, die beispielsweise durch ihre Affinität zum verschwörungsideologischen Spektrum negativ aufgefallen sind, durch antiisraelische und antisemitische Ressentiments oder auch durch die Offenheit der Struktur für Querfronten mit rechten Gruppierungen.
Im diesjährige Berliner Aufruf findet sich folgende Aufforderung: "Der Krieg in der Ukraine muss beendet werden! Dazu braucht es den Willen Russlands und der Ukraine, Verhandlungen mit Kompromissbereitschaft von beiden Seiten aus zu führen, die vernünftigerweise eine neutrale Ukraine zur Folge haben müssten." Mit keinem weiteren Wort wurde die Aggression Russlands im Aufruf erwähnt. Der Organisationskreis habe sich darauf geeinigt, die Aufrüstung der NATO und des Westens als Ursache für den Angriff Russlands zu sehen, so die Rednerin bei der Abschlusskundgebung. Der Verweis "auf eine neutrale Ukraine" kann als Appell zur Kapitulation verstanden werden. Definitiv wendet sich diese Aussage jedoch gegen einen Beitritt der Ukraine zur NATO.
Insbesondere wendete sich der Ostermarsch aber gegen eine Aufrüstung Deutschlands und gegen jegliche Beteiligung Deutschlands an Kriegseinsätzen. Folglich heißt das: keine Unterstützung der Ukraine, weder finanzieller Art noch durch Waffenlieferungen, so forderten Teilnehmende "keine Waffen für die Ukraine".
Das Negieren einer aktiven Rolle Russlands steht in der Tradition der Ostermärsche, jahrelang wurde die NATO, allen voran Bündnispartner USA, als alleinige kriegstreibende Mächte markiert, während die imperialistischen Tendenzen Russlands unter Putin als folgerichtige Reaktionen gewertet wurden.
Der Westen habe jahrelang eine aggressive Politik gegen Russland betrieben und dies sei nun die Reaktion auf das Aufrüsten des Westens. Dass hier pro-russische und propagandistische Leitsätze aus den staatskonformen russischen Propagandamedien übernommen werden, störte die FRIKO und die Teilnehmenden nicht. Diese Gedanken spiegelten sich auch in den Redebeiträgen wider.
Diesen Samstag, den 16.04.2022, ließ sich eine Teilnehmendenzahl von etwa 600 Personen verzeichnen. So schien die Friedensbewegung in ihren Ostermärschen etwas mehr Zulauf erwartet zu haben. Sie wollen mehr werden, es brauche mehr Teilnehmende für eine starke Friedensbewegung. Jeder Anwesende solle beim nächsten Mal noch zehn weitere mitbringen, so die Rednerin.
Unter die etwa 600 Personen mischten sich bis zu 30 Personen aus dem gefestigten verschwörungsideologischen Spektrum, das seit der Coronapandemie bei Protesten auftritt, so gab es Teilnehmende von der Partei Die Basis oder der Freien Linken.
Etwas Unstimmigkeit gab es bei der Teilnahme der verschwörungsaffinen Gruppierung Freie Linke – darüber waren andere linke Gruppierungen nicht erfreut, sie beklagten fehlende Distanzierung vom Organisationskreis des Ostermarsches zu den Coronaprotestler:innen. Die Freie Linke ist Teil der verschwörungsideologischen Szene rund um die Organisationen "Wir sind viele" und der "Freedom Parade". Alle verschwörungsideologischen Teilnehmenden konnten sich ungestört am Ostermarsch beteiligen.
Auch fanden sich, abseits dieser genannten Personengruppen, zahlreiche verschwörungsideologische Inhalte bei Personen, die sich keiner Gruppierung zuordnen ließen. Des Weiteren waren zahlreiche Positionen zu lesen, die von den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen bekannt sind: "Nein zur Impfpflicht" oder "Wer glaubt, dass die Pharmaindustrie gesunde Menschen will, der glaubt auch, dass die Rüstungsindustrie Frieden will".
So erweckt der Ostermarsch den Eindruck eines Sammelbeckens zahlreicher Positionen: Antiimperialismus und Antikapitalismus mischen sich mit verschwörungsideologischen Vorstellungen. Antimilitarismus und Pazifismus vermengen sich mit einer vermeintlich kritischen Haltung gegenüber Politik und Medien, die in Antisemitismus übergeht.
"Euer Krieg, Eure Pandemie, Eure Profite" referiert hierbei auf eine vermeintlich rein Profit geleitete Gruppe, die sowohl den Krieg als auch die Coronapandemie verursacht habe. Hier wird auf die Profiteure von Krisen angespielt, welche in verschwörungsideologischer und antisemitischer Manier oftmals mit den Juden identifiziert werden, die “hinter allem” stünden.
Neben diesem personifizierten Antikapitalismus fanden sich auch Plakate, die sich gegen die Rüstungsindustrie als Profiteur oder gegen die Grünen Politiker:innen und ihre Rolle in der Regierungspolitik, Baerbock und Habeck, wendeten. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj wurde als "Nato-Polit-Clown" diffamiert.
Internationalistische und antiimperialistische Gruppen (Young Struggle, Hände weg vom Wedding, SDAJ Berlin, Kommunistischer Aufbau) bildeten einen eigenen Block. Auf der Abschlusskundgebung sprach ein Redner der SDAJ – in ihrem gemeinsamen Aufruf wendeten sie sich gegen beide Großmächte (NATO sowie Russland) und verkündeten ihre Solidarität mit den Arbeiter:innen aller Länder. In diesem Block befanden sich auch Gruppierungen, die schon durch ihren antiisraelischen Antisemitismus auf sich aufmerksam gemacht haben.
Auch auf der heutigen Demo in Berlin wurden die unterschiedlichen Positionen bezüglich der Rolle Russlands sichtbar. Der Vertreter der DIDF (Die Föderation der Demokratischen Arbeitervereine) kritisierte in seiner Rede unter anderem die Militarisierung Deutschlands, verurteilte aber auch den "Einmarsch des Kremls aufs entschiedenste". Während seiner Rede kam es zu einem Zwischenfall, eine Frau aus dem Publikum rief ihm "Schluss mit dem NATO-Krieg, Ami go home" und “Keine Kriegstreiberei beim Ostermarsch, bitte komm von der Bühne runter” entgegen. Infolgedessen kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen der Frau, welche die Rede störte, und einem weiteren Demonstrationsteilnehmer. Der Pressevertreter, der die Situation fotografierte, wurde von der Demonstrationsteilnehmerin als “Schmutzfink” beleidigt.
Die Moderatorin betonte im Anschluss an den Zwischenfall, dass den Veranstaltenden bewusst sei, dass die Friedensbewegung nicht so homogen wäre, wie sie es sich wünschten. Sie seien "unterschiedlicher Meinung was dieses Krieg ausgelöst hat". Grundlage der Einladung der Redner:innen sei, das der Angriff von Russland auf die Ukraine vom Westen provoziert und eskaliert wurde.
Ob die traditionelle Friedensbewegung durch den Krieg Russlands auf die Ukraine Aufwind erhält und ob sie sich ihren inneren Konflikten stellt – und folglich das dichotome Denken zwischen Gut (Russland) und Böse (NATO, USA) nicht aufrechterhalten kann, werden die nächsten Wochen zeigen. Der Berliner Ostermarsch blieb seiner NATO-feindlichen und pro-russischen Haltung treu.
Alternativer Ostermarsch
Aufgrund des Aufrufs der FRIKO, die nicht auf die Kriegshandlungen Russlands eingeht, organisierte ein Bündnis aus ukrainischen Organisationen und syrischen Aktivist:innen erstmalig den "Alternativen Ostermarsch", dieser fand am Bebelplatz statt, im Laufe des Tages wuchs der "Alternative Ostermarsch" auf bis zu 600 Teilnehmende an. Die Aggression Russlands kann, so ihr Aufruf, nicht unbeantwortet bleiben und das traditionelle Verständnis bzw. die Auslassung von russischer Aggression und dem Recht auf Selbstverteidigung "mit keinem Wort" der Friedensbewegten sei fehl am Platze. Ihr Aufruf richtete sich dezidiert gegen den russischen Angriffskrieg. Weitere Forderungen waren die stärkere Unterstützung der Ukraine sowie die Aufnahme aller Geflüchteter.
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