Unter dem Motto “Für freie Impfentscheidung und Selbstbestimmung über den eigenen Körper” versammelten sich am Donnerstag, den 07.04.2022, ab 9:00 Uhr bis zu 1.000 Demonstrant:innen vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Anlass war die Abstimmung im Bundestag zu einer möglichen Impfpflicht für über 60-jährige. Zuvor wurde über diverse Telegram- und Twitterkanäle zur Teilnahme aufgerufen. Darüber hinaus warben u.a. der sog. “Demokratische Widerstand“ um Hendrik Sodenkamp und Anselm Lenz für die Teilnahme. Gegen Letzteren laufen aktuell Strafverfahren wegen Verleumdung.
Im Vorfeld der Demonstration wurden mehrere Hashtags, Slogans und Namen verbreitet. Darunter war der Slogan “My Body! My Choice”, der seinen Ursprung in der Pro-Choice-Bewegung hat. In diesem und in anderen Fällen, werden von den Akteur:innen der Corona-Proteste linke Slogans aufgegriffen und für die eigenen Anliegen instrumentalisiert. Daran ist bemerkenswert, dass sich das Spektrum, das sich im Rahmen dieser Impfdemonstrationen für das Recht der freien Entscheidung und körperlichen Selbstbestimmung einsetzt, qua politischer Gesinnung in Teilen gegen Selbstbestimmungsrechte Schwangerer positioniert.
Neben zahlreichen Akteur:innen aus dem Kontext der Berliner Corona-Proteste fanden sich einige AfD-Bundestagsabgeordnete wie Stephan Brandner und Karsten Hilse ein. Auch der Holocaust-Leugner Nikolai Nerling war zugegen.
Trotz Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen (die Demonstrant:innen mussten während der Kundgebung weder Maske tragen, noch Abstände einhalten) war die Stimmung vor Ort von Beginn an sehr angespannt. Dies machte sich zum einen in mehrmaligen Pöbeleien ggü. Pressevertreter:innen bemerkbar. Zum anderen war der Großteil der Redebeiträge durch gewaltvolle Umsturz- und Vergeltungsfantasien sowie NS-Relativierungen geprägt. Eine Rednerin aus dem Kontext der rechten “Freedom Parade” sprach z.B. davon, dass, die “Verbrecher” (jene Politiker:innen, die bei zeitgleich stattfindenden Abstimmung bzgl. der möglichen Impfpflicht mit ‘ja’ abstimmen) “gejagt werden” würden. Dabei betonte sie, dass jene Entscheidungsträger:innen froh sein könnten, dass es in Deutschland, im Unterschied zu den USA, keine Todesstrafe gäbe. Des Weiteren relativierte sie den Nationalsozialismus, indem sie davon sprach, die Politik der letzten beiden Jahre sei “fast schlimmer wie damals [sic!]”.
Ein weiterer Redner aus dem Kontext der Berliner Autokorsos drohte in Richtung des anliegenden Reichstags, die dort tätigen “Politverbrecher” würden den “Zorn des deutschen Volkes” zu spüren bekommen.
Offensichtlich wird demzufolge: Bei weiten Teilen der Protestbeteiligten führt der Wegfall der Maßnahmen nicht zu einer Deradikalisierung. Vielmehr deutete sich einmal mehr an, dass die Demonstrant:innen dadurch bestärkt fühlen oder sich andere Themen wie den Krieg in der Ukraine oder die Klimakrise zu eigen machen. Dieser Eindruck verfestigte sich, nachdem bekannt wurde, dass die Abgeordneten im Bundestag gegen die debattierte Impfpflicht stimmten. Die fast dreistündige Demonstration durch Berlin war anschließend durch eine ausgelassene Stimmung geprägt.
Angesichts der geschilderten NS verhamlosenden Redebeiträge, war es besonders perfide, dass die Route die Demonstant:innen zum Abschluss am Berliner Holocaust Mahnmal vorbeiführte. Einige Minuten bevor der Demozug dort ankam, provozierte der AFD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp an selbiger Stelle den dort wartenden Gegenprotest, zu dem die Initiative “Omas gegen rechts” zuvor aufgerufen hatte. Ihren Abschluss fanden die Proteste mit einer erneuten Kundgebung vor dem Brandenburger Tor.
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