Am 22.04. und 23.04.2022 fanden in Berlin zwei israelfeindliche Demonstrationen statt, die geprägt waren durch offenen Antisemitismus und mehrere Angriffe auf Pressevertreter:innen. Insgesamt schlossen sich den Protesten an beiden Tagen jeweils mehrere Hundert Personen an, darunter eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen. Anlass war der bereits knapp eine Woche zurückliegende Tag der palästinensischen politischen Gefangenen (17.04.), zudem sorgen die aktuellen Ereignisse auf dem Jerusalemer Tempelberg derzeit für großen Zulauf bei entsprechenden Protesten. Insbesondere am 23.04. wurden mehrere tätliche Übergriffe auf anwesende Journalist:innen dokumentiert. An verschiedenen Stellen wurden volksverhetzende Parolen skandiert.
Freitag, 22.04.2022
Nachdem es wenige Tage zuvor (16., 17. & 18.04.) bereits zu ähnlichen Protesten gekommen war, versammelten sich am Freitag, dem 22.04., ab 16 Uhr zunächst ca. 500 Personen vor dem Rathaus Neukölln. Der Protestzug wuchs im Anschluss an einige Redebeiträge auf fast Tausend Personen an.
Durch einige Teilnehmer:innen wurden antisemitische Sprechchöre angestimmt, die unter anderem von Steinwürfen auf die israelische Stadt Tel Aviv handelten. Die Ausrufe „Schlagt zu, oh Qassam [ein Verweis auf die Qassam-Brigaden], lasst die Zionisten nicht schlafen!” und „Khaybar Khaybar Oh ihr Juden, die Armee Mohammeds wird zurückkehren" wurden (in arabischer Sprache) mehrfach skandiert. Eine Gruppe von Teilnehmern stimmte Rufe wie „Intifada bis zum Tod!” oder „Wir sind die Männer von Mohammed Deif!” an. Deif ist Befehlshaber des militärischen Flügels der Terrororganisation Hamas.
Der Israelhass vieler Teilnehmer:innen machte sich auch in Kommentaren gegenüber Pressevertreter:innen bemerkbar, die beispielsweise gefragt wurden, ob sie Israelis seien, oder ob sie für den israelischen Geheimdienst Mossad arbeiten. Ein Redner sprach des Weiteren über die Anwesenheit „zionistischer Presse” und stimmte später bei der Abschlusskundgebung den antisemitischen Sprechchor „From the river to the sea, Palestine will be free” an, mit der ein Ende des einzigen jüdischen Staates Israel gefordert wird.
Auf arabisch wurde noch deutlicher, was damit gemeint ist: In sinngemäßer Übersetzung wurde von einer Gruppe gerufen: „Vom Wasser bis zum Wasser ist Palästina arabisch”. Gelegentlich wird von denjenigen, die im Spruch „From the River to the sea, Palestine will be free” keinen Antisemitismus erkennen wollen, eingewendet, hier werde doch nur ein freies Leben für alle Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer eingefordert. Dass es Vielen dabei aber doch ganz offenbar um ein judenfreies, ausschließlich arabisches Gebiet geht, machte diese Gruppe unmissverständlich deutlich. Einige der Sprechchöre am 22.04. haben wir hier dokumentiert: https://twitter.com/JFDA_eV/status/1518940745700454400
Während des Aufzugs durch Neukölln, der die Sonnenallee entlang führte, kam es von einigen Teilnehmenden zu Schlägen auf die Kameras von Pressevertreter:innen. Nach dem Aufzug endete die Veranstaltung zeitnah gegen 18:30 Uhr, nachdem sie durch die Veranstalter für beendet erklärt worden war.
Samstag, 23.04.2022
Am Samstag fanden sich ab 16 Uhr dem Aufruf der Gruppe „Palästina spricht” folgend erneut mehr als 500 Personen am Oranienplatz in Kreuzberg ein. Wie am Tag zuvor waren Vertreter:innen der PFLP Vorfeldorganisation Samidoun vor Ort, die in Israel als Terrororganisation eingestuft wird. Die Stimmung erwies sich von Beginn an als aufgeladen, was sich insbesondere in offen antisemitischen Sprechchören widerspiegelte. Einer der Redner stimmte gleich zum Start der Demonstration den bereits genannten Sprechchor „From the river to the sea, Palestine will be free” an, der im Laufe des Nachmittags noch des Öfteren wiederholt wurde.
Auch weitere Sprechchöre mit antisemitischen Inhalten wie „Stoppt die Waffen, stoppt den Krieg – Intifada bis zum Sieg” wurden durch Veranstalter:innen angestimmt. Hiermit wird tödlicher Terrorismus gegen israelische Zivilist:innen gutgeheißen. Die Aussage „bis zum Sieg” kann so gedeutet werden, dass ein Sieg erst erreicht ist, wenn es keine israelischen Staatsbürger:innen und ergo keinen israelischen Staat mehr gibt. Damit wird Israel das Existenzrecht abgesprochen.
Nach etwa 30 Minuten war eine zunehmend aggressive Stimmung gegenüber der anwesenden Pressevertreter:innen zu vernehmen, die insbesondere auch durch den Versammlungsleiter (ebenfalls aus dem Kontext „Palästina spricht”) befeuert wurde. Mehrmals forderte er Journalist:innen und Beobachter:innen dazu auf, sich von der Versammlung zu entfernen. Im Zuge dessen unterstellte er einzelnen der Berichterstatter:innen eine „rassistische Berichterstattung” und beleidigte einen von ihnen als „Scheißrassist”. Später kam es nach einer Gruppenbildung zu einem Tritt gegen einen Pressevertreter. Die Polizei ermittelt diesbezüglich auf Amtswegen.
Zu einem weiteren Zeitpunkt wurden zwei Pressevertreter:innen von der Versammlung ausgeschlossen, einer davon ein JFDA Mitarbeiter. In einer Pressemitteilung der Polizei Berlin vom 24.04. heißt es diesbezüglich: „Da der Versammlungsleiter deren Verhalten für die Auseinandersetzung als ursächlich ansah, machte er von seinem, ihm obliegenden Recht aus dem Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin Gebrauch und schloss die beiden Personen von der Versammlung aus.” Tatsächlich obliegt es der Versammlungsleitung gemäß des § 7 Absatz 4 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin „Personen, die die Ordnung der Versammlung erheblich stören, aus der Versammlung” auszuschließen. Eine solche erhebliche Störung war jedoch, wie auch zahlreiche Dokumentationen deutlich machen, nicht gegeben. Weiterhin ist fraglich, ob Pressemitarbeiter:innen als Teilnehmende einer Versammlung gelten.
Zum Ende kam es zu antisemitischen Äußerungen und Drohungen gegenüber einem Kollegen der Bild-Zeitung, der von Teilnehmenden u.a. als „Drecksjude” beleidigt wurde und den Versammlungsort lediglich unter Polizeischutz verlassen konnte.
Der Versammlungsleiter äußerte abschließend gegenüber sechs Pressevertreter:innen und in Gegenwart von Polizeibeamten, dass er alle Pressevertreter:innen „abfotografiert” hätte. Er sagte: „Ihr dürft alle nicht am 15.05. kommen”. Gemeint ist hier der so genannte Nakba-Tag, an dem in Berlin traditionell Demonstrationen aus dem pro-palästinensischen und antiisraelischen Spektrum stattfinden. Dahingehend sagte er, dass die Bilder der Pressevertreter:innen am 15.05. ausgeteilt und diese, sollten sie anwesend sein, „mit Zwang” ausgeschlossen werden würden. Die anwesenden Polizeibeamten kommentierten dies nicht.
Angesichts der Ereignisse und mit Blick auf die nächsten Wochen ist erneut mit zunehmenden Demonstrationen aus dem pro-palästinensischen bzw. israelfeindlichen Spektrum zu rechnen. Für den kommenden Freitag, 29.04., haben die palästinensischen und arabischen Vereine Berlins bereits für eine Demonstration zum „Beistand für Jerusalem, Al-Aqsa-Moschee und die Grabeskirche” aufgerufen. Auch am 01. Mai, an dem es traditionell zu linken Demonstrationen in Berlin kommt, sind immer wieder antiisraelische Vorfälle zu beobachten gewesen.
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