Der Zulauf war überschaubar, die Reden aber hatten es in sich: Am Montag, dem 14. März 2022, versammelten sich ab 12:30 ca. 250 Personen zu einer vorab als “Großdemo” angekündigten Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Um die Impfpflicht sollte es an diesem Tag gehen. Eigens dafür hatten die Organisator:innen mittels eines kleinen Fernsehers eine Live-Übertragung der parallel stattfindenden Sitzung des Petitionsausschuss des Bundestages organisiert, die den Verzicht auf eine allgemeine Impfpflicht diskutierte. Aufgrund diverser Technikprobleme war die Sitzung allerdings nur in Teilen zu verstehen. Bei kritischen Nachfragen vonseiten der beteiligten Abgeordneten an die Petent:innen wurde von den Demonstrant:innen auf dem Pariser Platz im Einklang gebuht. Eine der Beteiligten an jener Petition ist Sabrina Kollmorgen. Kollmorgen trat am 12. Februar 2022 als Rednerin bei der insgesamt dritten Demonstration der Gruppe “friedlich zusammen” in Erscheinung und führte bei der gestrigen Veranstaltung am 14. März mit Mitarbeiter:innen des rechtsextremen Compact Magazin ein Interview. Unter den Anwesenden befanden sich zeitweise auch AfD-Politiker:innen wie Ronald Gläser.
Zur Demonstration aufgerufen hatten im Vorfeld die Initiativen “Gesundheitswesen in Freiheit”, “Gesundheitswesen in der Krise” und “Pflege mit Herz steht auf”. Um die eigenen Überzeugungen hinsichtlich der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu unterstreichen, verfassten einige der Beteiligten in der Vergangenheit bereits ein eigenes Manifest, das bisher jedoch offensichtlich nicht den gewünschten Effekt gehabt zu haben scheint. Dem Aufruf folgten, wie schon wenige Tage zuvor bei der “friedlich zusammen” Demonstration am 12. März 2022, Zusammenschlüsse einzelner Berufsgruppen, wie die sog. “Feuerwehr Gemeinschaft”. Neben Plakaten, die unter anderem den Slogan der feministischen Bewegung “My body my choice” auf die Impfpflicht adaptierten und somit aus dem Kontext rissen, waren auch dieses Mal mindestens zwei Personen zugegen, die durch ihr Plakat mit der Aufschrift “Nürnberger Kodex” bzw. ihre “ungeimpft”-Armbinde zumindest Assoziationen zum Nationalsozialismus bzw. der Verfolgung von Jüdinnen:Juden während des NS eröffneten.
Die eigentlich im Fokus stehende mögliche Impfpflicht stellte in einigen der Reden lediglich ein Randthema dar. Besonders eklatant machte sich das in den Wortbeiträge von Dr. Walter Weber (“Ärzte für Aufklärung”) und Paul Brandenburg bemerkbar. In beiden Fällen wurde deutlich, dass es den Rednern vielmehr um die Ablehnung der derzeit bestehenden politischen Verhältnisse geht.
Weber folgte in seiner Rede dem verschwörungsideologischen Narrativ, wonach eine geheime “Elite”, die Geschicke der Gesellschaft kontrolliere. Diese antisemitisch konnotierte Annahme ist weit verbreitet in der Protestbewegung und wird seit Beginn der Pandemie kontinuierlich propagiert. Als Beispiel hierfür nannte er die WHO, die er als “Weltkrankheitsorganisation” diffamierte und die ihm zufolge lediglich durch Einzelpersonen gesteuert würde. An anderer Stelle sprach der Hamburger Arzt von der angeblichen “Gleichschaltung der Medien”, die sich mitunter auch in der derzeitigen Informationslage bzgl. des Kriegs in der Ukraine widerspiegele. Im Zuge dessen sprach Weber von “Propaganda” und behauptete mit Bezugnahme auf Dritte, dass 80-90% der Berichterstattung deutscher Medien aus Lügen bestünde und die tatsächliche Situation demzufolge ganz anders aussähe. Darin wird deutlich, dass die im Fokus stehenden Inhalte stets wandelbar sind. Unter dem Jubel der Anwesenden schloss er seine Rede mit den Worten: “Wir werden nicht zulassen, dass wir gegeneinander von einer kontrollierenden Elite beherrscht werden!”
Auch Paul Brandenburg, in der Vergangenheit mitunter beteiligt an der Kampagne “#allesdichtmachen”, thematisierte die mögliche Impfpflicht lediglich zu Beginn. Zunächst behauptete er, bei den derzeit genutzten Impfstoffen handele es sich um “Betrug” und somit gar nicht um wirkliche Impfungen. Im weiteren Verlauf sprach er davon, den verantwortlichen Politiker:innen ginge es “einzig und alleine um Macht” und die “Unterwerfung” und “unsere Ausbeutung”. Wie auch sein Vorredner folgte Brandenburg damit verbunden dem verschwörungsideologischen Narrativ, wonach eine kleine Gruppe von Mächtigen die Geschicke der Welt bestimme. Diese habe einen “politischen Marionettenrichter” ins Amt gehoben und zugleich die Meinungsfreiheit ausgesetzt. Daraus ergibt sich für Brandenburg der Schluss, es handele sich um ein “Regime von Verfassungs- und Gesetzesbrechern”. Die martialische Wortwahl fand ihren Höhepunkt in der Behauptung, bei den Impfungen (Brandenburg sprach hier von “Covid Zwangssubstanzen”) handele es sich um “Gewaltverbrechen” und das “Regime” übersteige die “letzte Grenze der Zivilisation”. Auf diese Weise werden tatsächliche Gewaltverbrechen verharmlost und bagatellisiert. Brandenburg schloss seine Rede mit dem Verweis, der angebliche “Terror” ginge solange weiter, bis er und seine Zuhörer:innen “die Täter” (womit die verantwortlichen Politiker:innen gemeint sind) “friedlich aus ihren Ämtern gejagt haben”.
Deutlich wurde bei der Demonstration, dass das Anliegen vieler der Protestbeteiligten mitnichten allein die mögliche Impfpflicht ist. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass der Krieg in der Ukraine zunehmend von Bedeutung in der Betrachtung der Akteur:innen ist. Zwar wurde die Impfdebatte in einzelnen Beiträgen der Veranstaltung durchaus thematisiert, doch machen die hier dargelegten Reden deutlich, dass es einem erheblichen Teil der Anwesenden vor allem um einen Wandel bzw. Umsturz des derzeit politischen Systems geht. In den nächsten Tagen finden zahlreiche Proteste ähnlicher Art in Berlin statt.
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