top of page

documenta15

1.2. Skandal um Beuys

1. Skandale der Vergangenheit

Als einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit prägte Joseph Beuys (12.05.1921–23.01.1986) die documenta wie kein:e andere:r. Obwohl nicht unumstritten, ist sein Einfluss in Kassel bis heute vernehmbar.


Wer war Joseph Beuys und was hob seine Kunst hervor? Neuartig an der Arbeitsweise von Beuys war, dass er Materialien zur Kunst erhob, die sonst als Müll geschmäht waren. Ideell mit der 68er-Bewegung verbunden, setzte er sich für Abrüstung, Umweltschutz und Tierrechte ein. Er prägte den Begriff der „Sozialen Plastik“, wonach jeder Mensch ein:e Künstler:in sei und Kunst eine gesellschaftsverändernde Funktion habe. Beuys sah die Welt als sozialen Organismus an, der krank sei. Kunst wird hier zum revolutionären Akt, der einen Heilungsprozess anstößt. Damit ist das Werk von Beuys, das er als politischen Aktivismus betrachtete, untrennbar mit seiner Person verbunden.


Nach eigenen Aussagen sei sein Urerlebnis der Schock nach dem Nationalsozialismus gewesen, weshalb er sich im Nachkriegsdeutschland vielfach als Heiler und Schamane im Sinne einer völkischen Esoterik inszenierte. Damit bot er eine geeignete Figur für die Verarbeitung des Postnazismus und kann stellvertretend für die Politik der deutschen Vergangenheitsbewältigung angesehen werden.


Beuys, der während des Nationalsozialismus selbst Hitlerjunge und Elitesoldat der Luftwaffe der deutschen Wehrmacht war, erinnerte sich später positiv an seine Zeit bei der Hitlerjugend. Da er sich selbst freiwillig zwölf Jahre zum Dienst in der Wehrmacht verpflichtete und die Bewerber gründlich nach körperlichen, geistigen und charakterlichen Eigenschaften geprüft wurden, ist davon auszugehen, dass er als überzeugter Nationalsozialist und Antisemit in den Krieg eintrat.


Einen Absturz über der Krim von 1944 nutzte Beuys später als Stoff für eine Legende, die seinen Werken eine tiefere Bedeutung in Form einer Erweckungsgeschichte geben sollte. Demnach sei er von Krimtataren gerettet worden, die ihn in Filz gewickelt und seine Wunden mit Tierfett „gesalbt“ hätten. Beuys wurde jedoch in Wahrheit in ein Lazarett gebracht. Nach seiner Genesung kämpfte er bei den Bodentruppen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Beuys ein Kunststudium und wurde 1961 Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf. 1976 kandidierte er bei den Bundestagswahlen in Nordrhein-Westfalen für die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD). Sie diente als Sammelbecken für Nationalisten und führte Umweltschutz als „Heimat- und Lebensschutz“ als eines ihrer zentralen Themen. 1997 kandidierte Beuys dann erfolglos für die Partei der Grünen, die aus der AUD hervorgegangen war. Beuys äußerte sich häufig geschichtsrevisionistisch und nutzte seine NS-Vergangenheit zur Konstruktion eines Opfermythos. Romantisierend sprach er von der „Auferstehungskraft des deutschen Volkes“, die auch anderen Völkern eigen sei, „aber die unsere wird sich durch radikal erneuerte Grundlagen des Sozialen hindurch ereignen. Muß sich so ereignen. Denn das wäre wohl zuerst unsere Pflicht und dann erst die der anderen Völker.“ Des Weiteren relativierte Beuys die Shoah, indem er sie wiederholt mit der „geistige[n] Situation der Bundesrepublik“ verglich. In der zentralen Vitrine im Block Beuys, einer Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, installierte Beuys die sogenannte „Auschwitz Demonstration“ (1956–1964), die unter anderem eine verwesende Ratte zeigte. Auschwitz bezeichnete er als einen „energetischen, biologistischen Prozess“. Ab 1980 zog Beuys Auschwitz heran, um die Gesellschaft seiner Zeit zu charakterisieren. „Unsere Zeit ist Auschwitz!“, meinte er.


Beuys steht stellvertretend als künstlerischer Verkünder der sogenannten „Stunde Null“: Das postnazistische Deutschland habe mit der NS-Ideologie gebrochen und könne nun genesen. Stellvertretend dafür steht sein erfundenes Märchen über seinen Flugzeugabsturz, in dem er gesalbt „aufersteht“. Bis heute reiht sich Beuys’ Weltanschauung in einen weit verbreiteten Duktus der Kunstwelt ein, in der dem allgemeinen Unbehagen an der komplex gewordenen Moderne eine folkloristische, vormoderne Rückbesinnung auf „Volk“ und Natur entgegengesetzt wird. Der als künstlich wahrgenommenen modernen Gesellschaft wird ein Bild der ursprünglichen, als authentisch wahrgenommen und romantisierten, naturgerechten Gesellschaft entgegengesetzt. Dies führt mitunter zu ritualartigen Kunstperformances, der Verwendung ausschließlich natürlicher Materialien oder tradierter Handarbeitstechniken. In diesem antimodernen Denken steckt oftmals das Ziel der eigenen Wiedergutwerdung. Nicht selten werden dabei emanzipatorische, progressive Aspekte der Moderne und konstruktive, technische Ansätze zur Lösung von Krisen und Konflikten abgewehrt. Durch Beuys’ erweiterten Kunstbegriff, der jegliche soziale Praktiken einbezieht, ordnen sich letztlich Politik und Gesellschaft der Kunst unter und werden zu einer allgemeinen ästhetischen Kategorie verklärt. Beuys’ totalitärer Kunstbegriff kommt damit einem Heilsversprechen gleich, in dem die Gesellschaft durch Kunst ihren Idealzustand erreichen könne.


Viele dieser Aspekte sind auch auf der aktuellen documenta15 erfahrbar. Wenig überraschend fehlt seitens der documenta wiederum eine kritische Einordnung Beuys’ auf ihren offiziellen Plattformen.

JFDA-Logo_2017_header.jpg
bottom of page