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“Tag der Ehre” in Budapest: ein Interview mit Dr. Thorsten Hindrichs


Seit 1997 stellt der “Tag der Ehre” ein zentrales Schlüsselereignis für die rechtsextreme Szene Europas dar. Damit verbunden versammeln sich jedes Jahr im Februar zahlreiche rechtsextreme Akteure und Neonazis in der ungarischen Hauptstadt Budapest (wir berichteten). Im Februar 1945 versuchten deutsche Truppen der Wehrmacht und der Waffen-SS sowie der Ungarischen Armee, eine Blockade der Roten Armee zu durchbrechen. Mehrere zehntausend Soldaten starben dabei, nur einigen hundert gelang der Ausbruch. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als die Veranstaltung pandemiebedingt ausfiel, ist dieses Jahr wieder mit internationalem Zulauf zu rechnen – trotz behördlicher Verbote. Über das Event, das vorabendliche RechtsRock-Konzert und die derzeitige Situation der rechtsextremen Musikszene in Deutschland haben wir mit dem Musikwissenschaftler Dr. Thorsten Hindrichs gesprochen.


JFDA: Für das Wochenende sind im Zusammenhang mit dem sog. “Tag der Ehre” in Budapest wieder zahlreiche Veranstaltungen angekündigt, darunter auch ein Neonazi-Konzert am Abend des 11. Februar. Was hat es damit auf sich?


Dr. Thorsten Hindrichs: Offiziell haben die ungarischen Behörden die Veranstaltungen am 12. und 13. Februar in Budapest untersagt. Im Anschluss an dieses Verbot wurde vonseiten der Organisatoren jedoch bereits angekündigt am Samstag eine Pressekonferenz abzuhalten, was möglicherweise verklausuliert sagen soll: “Wir treffen uns trotzdem”.


Der “Tag der Ehre” ist seit Ende der 1990er ein zentrales Event im Jahreskalender der rechtsextremen Szene Europas. Damit verbunden treffen sich jedes Jahr im Februar zahlreiche Akteure aus ganz Europa, um der SS und ungarischen Aufständischen zu gedenken. Organisiert wird das Ganze, soweit ich das überblicke, durch die ungarische Blood & Honour-Fraktion. Damit verbunden finden zum Beispiel Wanderungen statt, meistens über zwei Tage.


Auffällig war während der letzten Jahre, dass die Teilnehmer:innen partei- bzw. organisationsübergreifend vor Ort waren. Dazu gehörten Mitglieder der Partei “Der III. Weg”, Personen von Blood & Honour oder der Hammerskins. In den 2000er Jahren war auch Udo Voigt von der NPD zugegen.


Seit ein paar Jahren findet im Vorfeld dazu auch ein kleines RechtsRock-Festival mit mehreren Bands statt, das unter dem Motto “Festung Budapest” läuft.

Welche Bands bzw. Netzwerke sind an dem diesjährigen Event beteiligt?


Im Line-up war eine ganze Weile die deutsche Nazi-Band “Germanium” angekündigt. Aufgrund der Corona-Verordnungen und einer angeblichen Verletzung eines der Bandmitglieder ist das jedoch nicht mehr der Fall. Mittlerweile besteht das Line-up aus drei ungarischen Bands sowie einer aus Tschechien.


Zwar hat 2021 pandemiebedingt kein Konzert stattgefunden, in den Jahren zuvor war jedoch immer mindestens eine deutsche Band mit dabei, 2020 war es beispielsweise die RechtsRockband “Flak”. Ich gehe davon aus, dass zumindest das Konzert nicht allein von Blood & Honour Ungarn, sondern auch von den Hammerskins kooperativ veranstaltet wird, trotz der angeblichen Konkurrenzsituation zwischen beiden.


Es ist anzunehmen, dass trotz Pandemie wieder zahlreiche deutsche extreme Rechte vor Ort sein werden. Und zwar nicht nur “irgendwelche”, sondern wahrscheinlich auch prominente Akteure.

Welchen Stellenwert hat das Konzert in Budapest für die rechtsextreme Musikszene?


Für das Wochenende selbst dient das Konzert am Vorabend als eine Art “Welcome”-Veranstaltung mit Musik. Im Jahreskalender der europäischen RechtsRock-Szene gleicht es quasi einer Saisoneröffnung, trotz der Tatsache, dass die Konzerte in Budapest in den letzten Jahren nie so groß waren wie andernorts. Da waren vielleicht 100–150 Leute in einer relativ kleinen Location. Dennoch ist es meist das erste offizielle Event des Jahres, durch das die RechtsRock-Spielzeit eingeläutet wird.

Betrachtet man die extrem rechte Musikszene in Deutschland, so scheint es, als wäre es derzeit recht still. Wie ist das zu erklären?


Diese Wahrnehmung ist richtig und die Erklärung hierfür ist relativ naheliegend. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Corona-Pandemie haben auch die Neonazi-Szene und die extrem rechte Musikszene in Deutschland und in anderen Ländern getroffen, sodass im Jahr 2021 eigentlich keine wirklich nennenswerten Konzerte stattgefunden haben. Auffällig war eine hohe Zahl von sog. Liederabenden, bei denen meist ein Sänger bzw. eine Sängerin im kleinen Kreis gesungen hat. Das war so das Standardmodell.


Den nicht stattfindenden Konzerten wurde versucht durch eine erhebliche Produktionstätigkeit entgegenzuwirken. Bemerkenswert ist: Insgesamt sind im Jahr 2021 in Deutschland rund 250 Tonträger veröffentlicht worden. Das entspricht fast doppelt so vielen wie in den Jahren zuvor. Viele dieser Veröffentlichungen sind Re-Issues, also Neuauflagen von längst vergriffenen Tonträgern, zum Beispiel aus den 1990er Jahren. Damit einhergeht auch der Verkauf von weiteren Merchandise Produkten. Auf diese Weise wird versucht, die nicht vorhandenen Konzerteinnahmen zu kompensieren.


Ebenfalls auffällig ist, dass es zunehmend Kooperationen von neurechten Musiker:innen und klassischen RechtsRock-Projekten gibt. So ist unter anderem eine Kollaboration zwischen “Prototyp” und Philipp “Flak” Neumann geplant.

Mit welcher Entwicklung ist für die extrem rechte Musikszene in Deutschland zu rechnen?


Grundsätzlich ist es meines Erachtens nicht vorstellbar, dass in naher Zukunft wieder Großveranstaltungen wie in Ostritz oder Themar stattfinden werden, wo bis zu 6000–7000 Personen teilnahmen. Zwar ist das eine etwas riskante Einschätzung, ich denke jedoch, dass sich Aufwand und Ertrag in diesem Zusammenhang nicht lohnen. Der logistische bzw. finanzielle Aufwand steht dabei in Kontrast zu den möglicherweise 1000 Konzertbesucher:innen. Mittelgroße Veranstaltungen dagegen, mit drei oder vier Bands an einem Abend, wird es wahrscheinlich bald wieder geben.


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