Identitäre Gruppen rufen für Samstag, den 29. Juli 2023, zu einer Demonstration in Wien auf. Auch Aktivist:innen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz haben ihr Kommen angekündigt, darunter Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA). Mit Anna Leisten ist ein Mitglied des Bundesvorstandes als Rednerin angekündigt. Mit einschlägig rechtsextremen Personen wie Martin Sellner mobilisiert man für eine „Remigration“ und bedient die antisemitische Verschwörungserzählung von einem „Bevölkerungsaustausch“.
Die Demo
Hauptorganisator der „Remigrationsdemo“ ist Gernot Schmidt, einer der bekanntesten Aktivisten der österreichischen Identitären. Schmidt sprach vor wenigen Wochen in einem Interview mit der rechten Plattform Heimatkurier über seine Beweggründe, die Demonstration zu veranstalten. Man wolle das politische Konzept der „Remigration“ wiederbeleben und mit „jugendlicher Kraft“ auf die Straße gehen. In den beteiligten Gruppen sieht Schmidt „[d]as wahre, jugendliche, traditionelle und revolutionäre Europa, das in seinem Herzen, Wien, für seine Zukunft demonstriert.“
Dass gerade Wien Austragungsort ist, überrascht nicht. Die Stadt ist seit Jahren schon Mittelpunkt rechtsextremer Mobilisierung in Europa. Der letzten größeren Demonstration der „Identitären Bewegung“ (IB) im Juli 2021 schlossen sich knapp 300 Aktivist:innen an. Die damalige „Demo gegen das Unrecht“ richtete sich gegen das „Symbole-Gesetz“, im Zuge dessen ab August 2021 „das Darstellen, Tragen, Verbreiten und Verwenden“ von Symbolen der IB und der mit ihr verbundenen selbsternannten „Bürgerbewegung“ Die Österreicher (DO5) verboten wurde. Im Gegensatz zum erlassenen Gesetz zeigte der Protest jedoch keine Wirkung. Während es öffentlich ruhiger um die IB zu werden schien, fanden die Aktivist:innen andere Aktionsräume, änderten ihre Symbole und erzielten mit dem neuen Auftreten Einfluss auf Parteien wie der AfD.
Zwei Jahre später soll nun wieder demonstriert werden. Nach der Unterstützung des „Coronawiderstands“ wolle man sich, Sellner zufolge, wieder mit voller Kraft dem „Widerstand“ gegen den „Bevölkerungsaustausch“ widmen. Dies sei „wichtiger denn je“. Ähnlich sieht das der rechtsextreme Burschenschafter Schmidt. Die europäische Bevölkerung sei durch den zunehmenden Zustrom von Menschen unterschiedlicher Herkunft einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt. Dazu zähle die allmähliche Verdrängung der weißen Mehrheitsgesellschaft und eine Verminderung des „demographische[n] Potential[s]“, das rechtspopulistische Parteien wähle.
Sellner und Schmidt beziehen sich auf die für die sogenannte Neue Rechte zentrale antisemitische Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“. Diese geht auf den französischen Autoren Renaud Camus zurück. Demnach plane eine mächtige Elite, die „autochthone“ europäische Bevölkerung durch Zuwanderung aus Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten auszutauschen. Sellner, der am Tag der Demonstration neben Jakob Gunacker als Moderator fungieren soll, sieht in der „Remigration [...] die notwendige Antwort“ auf diese „aufgezwungene zerstörerische Bevölkerungspolitik der Globalisten.“ Zudem behauptet er, ebenfalls im Gespräch mit dem Heimatkurier, „Integration“ sei „eine Lüge“ und „Nationen“ würden „zu Vielvölkerstaaten“ mutieren. Gefordert wird die konsequente Abschiebung von Migrant:innen aus Europa in ihre Herkunftsländer:
„Jeder der schweigt, oder es unterlässt sichtbar zu widersprechen stimmt dem Bevölkerungsaustausch zu. [...] Wer am 29.7. Zeit hat, aber die Gelegenheit, ein klares Zeichen für Remigration zu setzen, auslässt, muss das vor sich selbst verantworten. Ich könnte das nicht, daher bin ich natürlich dabei!“ (Martin Sellner im Interview mit Heimatkurier – Fehler im Original)
Schmidt zufolge soll die Veranstaltung eine Vernetzungsplattform bieten, um alte Kontakte wiederherzustellen und neue zu knüpfen. Der Aktivist betont, dass das Engagement und die Präsenz auf der Straße entscheidender für das Vorantreiben der „Remigration“ und letztlich erfolgversprechender sei, als sich im Rahmen politischer Parteien zu engagieren. Im Zentrum steht die Heranbildung einer neuen Generation rechter junger Erwachsener und die Vernetzung des politischen Vorfeldes.
Die Beteiligten
Anders als noch vor zwei Jahren treten die IB und DO5 nicht als selbst Veranstalter auf. Zudem haben sich mitunter Gruppen angekündigt, die erst im Zuge des Verbots als Nachfolgeorganisationen neu gegründet wurden – eine strategische Reaktion, um staatliches Handeln zu umgehen und eigene Strukturen zu verschleiern. Um welche Gruppen es sich handelt, zeigt sich in einem mit heroischer Musik untermalten Mobilisierungsvideo.
Junge Tat
Die Schweizer Gruppe Junge Tat tritt seit etwa zwei Jahren in Erscheinung. Sie ist aus der Nationalistischen Jugend Schweiz hervorgegangen und erfuhr größere Aufmerksamkeit, als sie sich wiederholt mit Transparenten an die Spitze der Demonstrationen gegen den Corona-Infektionsschutz platzierte. Darüber hinaus finden kurze Aktionsvideos der Gruppe im Netz weite Verbreitung.
Nicht nur die Teilnahme an der Demonstration in Wien weist darauf hin, dass die Beteiligten auch über die Landesgrenzen hinweg vernetzt sind. Im Juli 2023 referierte der deutsche Aktivist Jonas Schick, Herausgeber des rechten Öko-Magazins „Die Kehre“, auf Einladung der Gruppe zum Thema „Ökologie & Nationalstaat“. Zu den führenden Köpfen gehören Manuel C. und Tobias L. Beide zeigen sich auch verantwortlich für die rassistische Aktion „Sichere Grenzen“, im Rahmen derer mit Flyer- und Plakataktionen auf eine vermeintlich „rasant steigende[] Migrantenkriminalität“ aufmerksam gemacht wurde. Im April sprach C. mit Schick über den Aktivismus in der Schweiz, einen „linken ‚Deep State‘“ und die „Probleme“, die durch eine „Ersetzungsmigration“ entstehen würden im Podcast der rechtsextremen Kampagnenplattform Ein Prozent.
Ein weiteres zentrales Thema der Gruppe ist vermeintlicher Umweltschutz, der völkisch als „Heimatschutz“ verstanden wird. Auf ihrer Website heißt es, die „majestätischen Alpen, tiefgrünen Wälder, mächtigen Flüsse und tiefen Seen“ gelte es „um jeden Preis zu bewahren“. „Naturverbundenheit“ sei „identitätsstiftend und somit essenziell für eine rechte Weltanschauung“. Man betont: „Je mehr Rücksicht auf Umwelt und Natur genommen wird, desto gesünder die Bevölkerung.“ Die größte Gefahr für die Umwelt ginge von der „Massengesellschaft“ und dem „damit einhergehende[n] Massenkonsum“ aus. Zudem wird ein rücksichtsloser Umgang mit der Umwelt zum Zwecke der Profitmaximierung moniert.
Formulierungen wie diese zeugen von einem Antikapitalismus von rechts. Dieser geht oft mit einer verkürzten Kapitalismuskritik einher, die lediglich bestimmte ‚Auswüchse‘ des Kapitalismus kritisiert, diesen selbst als moderne Gesellschafts- wie Wirtschaftsform jedoch nicht infrage stellt.
Auch die Auseinandersetzung mit Familie und Identität fußen auf homofeindlichen Ressentiments und beinhalten ein rückwärtsgewandtes Familienbild:
„Männliche Stärke, Zielstrebigkeit, Opferbereitschaft und Tatendrang werden durch die sanften, sozialen, schützend- & erhaltenden Fähigkeiten der Frau ergänzt. Unser Geschlecht ist fester Bestandteil unserer angeborenen Identität und des Lebenssinns.“
Immer wieder zeigt sich ein ausgeprägter Hass auf Migrant:innen. So betont die Junge Tat, die „Schweizer Kultur“ sei „vielfältig und wunderschön“, allerdings „ohne Kebab, Moscheen und Messerattacken“. Die größte derzeitige Krise sei „der Wandel in der Bevölkerungsstruktur“, weshalb man ein „straffe[s] Remigrationsprogramm“ fordert.
Ob Wanderungen, Boxtrainings oder Banneraktionen: Es ist davon auszugehen, dass es sich um ein kleines Kernteam von kaum mehr als 15 männlichen Personen handelt. Gegenüber Belltower News wies Fabian Eberhard von der Schweizer Zeitung Blick bereits im vergangenen Jahr darauf hin, dass die Gruppe „vom Personenpotenzial [...] zwar vernachlässigbar“ ,allerdings „medial [...] präsent wie keine andere“ sei.
Wackre Schwaben
Die Wackren Schwaben gründeten sich nach der offiziellen Auflösung der IB Schwaben im Jahr 2021. Seitdem versucht die Gruppe mit Banneraktionen Aufmerksamkeit zu erzeugen, die einem ähnlichen Schema folgen und stark an die Anfangsjahre der IB erinnern. Eine der ersten Aktionen war von einem Instagram-Post begleitet, in dem es hieß, man engagiere sich gegen „die Degeneration der Postmoderne“. Zuletzt forderten im Juli 2023 einige Aktivist:innen von einem Dach eines Schwimmbades: „Remigration für sichere Freibäder“. Die jeweils produzierten Bilder sind austauschbar und den Aktivist:innen gelingt es nicht, neue Aktionsformen zu finden. Umso unglücklicher ist, dass weite Teile der Medienlandschaft – wie in der Anfangszeit der IB – den Aktivist:innen erst zu einer größeren Reichweite und Bekanntheit verhelfen.
Die Gruppe, die zum Teil enge Verbindungen zur JA unterhält, führt rassistisch motivierte Aktionen vor Asylunterkünften oder Parteibüros der Grünen durch und begrenzt sich in ihrem Handeln, entgegen ihrem Namen, nicht allein auf die schwäbische Region. Hinter der Partei der Grünen wird generell die „[t]reibende Kraft“ hinter einer zunehmend „heimatfeindlichen Politik“ vermutet, wie es in einem Instagram-Post vom Februar heißt.
Zugleich veranstaltet man wiederkehrend sogenannte Aktivistenwochenenden, in deren Fokus rechte Ideologiebildung, gemeinsames Musizieren und sportliche Betätigung stehen (siehe Belltower News). Auch gewandert wird regelmäßig – selbstverständlich in Begleitung von Kameras, um im Anschluss schnittige Videos davon zu veröffentlichen.
Ähnlich wie bei der „Jungen Tat“ handelt es sich bei den Wackren Schwaben um eine Gruppe mit wenigen Mitgliedern. An Aktionen nehmen zwischen vier bis etwa 20 Personen teil.
Junge Alternative
Als „Jugend, die vorangeht“ bringt sich der AfD-Parteinachwuchs seit Längerem sowohl parteiintern als auch nach außen in Stellung. Dabei wird mit zunehmendem Selbstbewusstsein vorgegangen. Verbindungen zu offen rechtsextremen Akteur:innen werden immer deutlicher öffentlich zur Schau getragen. Aktionsformen und Auftreten von JA-Mitgliedern erinnern zuweilen an das Auftreten neonazistischer Gruppierungen wie den „Jungen Nationalisten“.
Dennoch – oder gerade deshalb – gewinnt die Rolle, die der JA im rechten „Mosaik“ zukommt, an Bedeutung. Einen großen Einfluss darauf hat die JA Brandenburg. Die Vorsitzende des Landesverbandes, Anna Leisten, hat auf Instagram ihre Teilnahme als Rednerin für den 29. Juli mit den Worten angekündigt:
„Wir […] verstehen uns vielmehr als Teil einer großen patriotischen Bewegung anstatt als reine Jugendorganisation. Daher ist es wichtig zu erkennen, das politische Veränderung, gerade in Kriesenzeiten, primär auf den Straßen und nicht in Parlamenten stattfindet, daher müssen Partei und Vorfeld Zusammenarbeiten.“ (Fehler im Original)
Die JA hat sich mittlerweile zu einem Scharnier zwischen Parlamentarismus und rechtsextremen Aktivismus entwickelt. Als Parteiorganisation kommt ihr angesichts der anderen genannten Gruppen eine bemerkenswerte Sonderrolle zuteil.
Wie viele ihrer Parteikolleg:innen unterhält Leisten enge Kontakte zum Verein „Filmkunstkollektiv“. Dieser setzt sich aus Personen zusammen, die mitunter auf eine einschlägige Vergangenheit bei der IB oder Ein Prozent zurückblicken und wird auch die Demonstration in Wien dokumentieren. Leisten selbst begleitete die Aktivist:innen schon des Öfteren bei Drehterminen, wie etwa im Juli 2022 bei den Bauernprotesten in den Niederlanden. Sie posiert immer wieder mit Kleidung der Neonazimarke „Phalanx Europa“ und nimmt wie viele andere ihrer Mitstreiter:innen an Veranstaltungen des Instituts für Staatspolitik von Götz Kubitschek teil. Auch von dem ehemaligen Identitären Paul Klemm ließ sie sich für Compact TV interviewen. Ihre Beteiligung an der „Remigrationsdemo“ in Wien ist daher nicht überraschend.
Die Agitation der JA führte im Mai 2023 zur Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Einstufung wird derzeit nach einem Einspruch der JA geprüft. Dieses Vorgehen zielt auf die Diskreditierung staatlicher Organe ab. Auch der Landesverband Brandenburg, dem neben Leisten auch der derzeitige JA-Vorsitzende Hannes Gnauck angehört, gilt seit Mitte Juli als gesichert rechtsextremistisch.
Einordnung
Die Demo in Wien wird voraussichtlich Hunderte rechtsextreme Aktivist:innen aus ganz Europa auf diese Straße bringen. Die Betrachtung der Beteiligten ermöglicht eine Bestandsaufnahme hinsichtlich identitärer Aktivitäten und Verbindungen in Europa, zumindest hinsichtlich des Aktivismus auf der Straße. Dieser ist ein elementarer Bestandteil der Arbeit des politischen Vorfeldes der sogenannten Neuen Rechten. Schon die NPD machte einst auf die Relevanz eines „Kampfes um die Straße“ aufmerksam. In Verbindung mit dem „Kampf um die Parlamente“ und dem „Kampf um die Köpfe“ solle so die politische Macht erreicht werden.
Vielen der Aktivist:innen, die sich am Samstag in Wien versammeln, ist es in den letzten Jahren gelungen, sich von der wenigen Jahren von Kubitschek als „bis zur Unberührbarkeit kontaminiert[en]“ (Götz Kubitschek) IB und durch neue Projekte, Gruppen und Strategien weiterhin an (parlamentarischem) Einfluss zu gewinnen.
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