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"Nein zur EU" – Ja zur "Festung Europa": AfD-Europawahlkampfauftakt in Magdeburg am 1. Juli 2023



Knapp eine Woche nachdem im thüringischen Sonneberg Robert Sesselmann zum ersten AfD-Landrat gewählt wurde, fand am 1. Juli in der sachsen-anhaltinischen Hauptstadt Magdeburg eine Europa-Wahlkampfveranstaltung der Partei unter dem Titel „Frieden und Souveränität für Europa!“ statt. Trotz Umfrage-Höchstwerten und angekündigter prominenter Parteifunktionäre wie Tino Chrupalla (Bundessprecher der AfD) zog die Veranstaltung nur 150 Personen auf den Alten Markt. Die Reden waren geprägt von rassistischer Hetze gegen Migrant:innen, Feindmarkierung und antisemitischen Codes.


Der schlechte Zulauf steht im klaren Gegensatz zu den derzeitigen hohen Umfragewerten der Partei. Die Proteste im Zusammenhang des Ukraine-Krieges und der Energiekrise hatten im vergangenen Jahr eine deutlich stärkere Mobilisierungskraft.


Die AfD bringt sich für die Europawahl in Stellung


Die Veranstaltung markiert den Beginn des AfD-Wahlkampfes für die Europawahl im Juni 2024. Das dazugehörige Wahlprogramm soll auf dem Bundesparteitag, der ebenfalls in Magdeburg stattfindet, an zwei Wochenenden Ende Juli und Anfang August, beschlossen werden. Der Leitantrag der Bundesprogrammkommission für das Europawahlprogramm macht nicht nur deutlich, welche Europapolitik die AfD anstrebt, sondern auch welche Vorstellung von Deutschland und Europa sie hat. Der 2019 noch verwendete Begriff „Dexit“ – ein Kunstwort, das ähnlich wie „Brexit“ den hypothetischen Austritt Deutschlands aus der EU beschreibt – wird darin nicht mehr verwendet. Eine Abschwächung der Partei-Position zur Europäischen Union (EU) bedeutet dies jedoch nicht. Was 2019 bereits als mögliche Konsequenz angekündigt wurde, wird im neuen Programm zum notwendigen Ziel: die Auflösung der EU.

01.07.2023, Magdeburg, „Frieden und Souveränität für Europa!“ (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin).

Die hohen Umfragewerte und der Wahlerfolg in Sonneberg animierten die Redner zu einer selbstsicheren Rhetorik. Maximilian Krah (Mitglied des Europäischen Parlaments) sprach von einer achtjährigen ostdeutschen Welle, die endlich auch im Westen angekommen sei. Er prognostizierte für das kommende Jahr einen Wert von weit über 20 Prozent. Als AfD-Wähler:in müsse man sich nicht mehr verstecken, vielmehr könne man stolz sagen, wen man wählt: „Die AfD, was sonst!“ Martin Reichardt (Landesvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt) zeigte sich ähnlich euphorisch und überzeugt, dass die Partei nicht mehr aufzuhalten sei. Dieser positive Trend sei nicht nur in Deutschland zu verzeichnen, der Wind drehe sich in ganz Europa – so in Ungarn und Polen und jetzt auch in Schweden oder Italien. Auch Dimitrios Kisoudis (Grundsatzreferent von Tino Chrupalla) sympathisierte mit autoritären Staaten und beschrieb den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als erstrebenswerten Partner für Deutschland. Polen hingegen, griff er für die Forderung nach Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg an, denn dieser läge „mittlerweile fast 80 Jahre“ zurück und gehöre der Vergangenheit an. In den Reden zeigte sich der deutliche Wunsch nach einer autoritären Wende für Europa bei gleichzeitiger Inszenierung als Verfechter der Rechtsstaatlichkeit und der einzig wahren Demokraten.



„Deutsches Vaterland“ / „Europa der Vaterländer“


Die Reden verdeutlichten zudem, welches Verhältnis die Politiker zwischen Deutschland, Europa und ihren Bürger:innen anstreben. Kisoudis zufolge sei Deutschland eine Heimat, in der der Einzelne stolz und selbstbewusst sein könne, ohne dass ihm das Wort verboten würde. Eine Heimat, die durch ihre Sprache, Geschichte und Tradition verbunden sei und klaren, unumstößlichen Regeln. Regeln, die von den eigenen Vorfahren aufgestellt wurden, Regeln des „Deutschen Vaterlands“. Die Einzelnen seien hier nicht alleine, sondern Teil eines Volkes“, einer „Schicksalsgemeinschaft“, die fest in ihrer Geschichte und Gemeinschaft als Deutsche verwurzelt sei. In den Ausführungen zeigt sich nicht nur eine völkische Vorstellung von Nation, sondern auch eine Relativierung der deutschen NS-Vergangenheit.


Diese völkische Vorstellung von Deutschland erfordert eine innere Homogenität, die nur durch eine klare Abgrenzung nach außen gewährleistet werden kann. Die gegenwärtige Politik der EU stehe dem im Weg. Reichardt zufolge diene die EU nicht den „europäischen Völkern“, sondern sei „gegen Europa gerichtet“ und zerstöre europäischen Traditionen. Daraus zog er das Fazit: „Nein zu dieser EU!“. Die Auflösung der EU wird auch im Programm für die Europawahl gefordert. An ihre Stelle soll eine europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft treten, ein „Bund europäischer Nationen“.


Das hier angestrebte neue Europa ist weder von einem Miteinander noch von gegenseitigem Austausch geprägt, sondern zeichnet sich vor allem durch die Möglichkeit „stolz auf das eigene“ sein zu können aus, so Kisoudis. Ein Europa der „Multipolarität“, in dem abgetrennte homogene Völker nebeneinander existieren. Dabei betrachtet er Deutschland als „Kapitän“ und somit Vorreiter dieses Völkerbunds. Zu diesem Thema hat Kisoudis ein Buch mit dem Titel „Mitteleuropa und Multipolarität“ geschrieben, das im neurechten Verlag Antaios von Götz Kubitschek erschienen ist.



Die „Partei des Grenzschutzes“ für die „Festung Europa“


Zur Erreichung dieses Ziels steht im Europawahlkampf für René Aust (stellvertretender Landesvorsitzender der AfD Thüringen) eine „Frage über allem“ und das ist die Migration. Die wichtigste Aufgabe jedes Europakandidaten sei es, beim Aufbau der „Festung Europa“ mitzuarbeiten. Oliver Kirchner (stellvertretender Landesvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt) zufolge, mache die Partei ausschließlich Politik für „die Deutschen“. Hierfür müssen die europäischen Außengrenzen gesichert werden und „zwar richtig“. Im Leitantrag zur Europawahl wird unter dem Punkt „Festung Europa“ erläutert, was dies bedeutet: die Errichtung physischer Barrieren und der Einsatz technischer Überwachung und Grenzschutzkräften. Einwanderung wird als „falsches Konzept“ (Krah) abgelehnt. Nur wer politisch verfolgt werde, sei berechtigt nach Deutschland zu kommen. Wer als legal und wer als illegal gilt, obliegt der Partei.


Diese Position gründet auf einer ethnopluralistische Weltanschauung, in der Menschen nicht aufgrund ihrer Abstammung, sondern anhand ihrer Kultur und Geschichte in Gruppen eingeteilt werden, was eine Umwegskommunikation für rassistische Vorstellungen darstellt. Unterschiedliche Völker können in dieser Sicht nur überleben, wenn sie sich von äußeren Einflüssen abschotten. Um dieses Narrativ zu untermauern, erschufen die Redner in ihren Beiträgen in Magdeburg eine bevorstehende Bedrohungslage. Es wurde beispielsweise wiederholt auf die aktuellen Proteste in Frankreich verwiesen, die eine Reaktion auf den Tod von Nahel Merzouk, einem 17-jährigen französischen Staatsbürger algerischer und marokkanischer Herkunft durch einen Polizeibeamten, sind. Mit Begriffe:n wie „Masseneinwanderung“, „Kulturkampf“, „traumatischen Ereignissen“ und „Sozialstaatsmagneten“ werden dabei Ängste beim Publikum geschürt.



Die einzige Alternative für Deutschland


Einig waren sich die Redner am vergangenen Samstag darin, dass die EU nicht den europäischen Interessen diene. Kisoudis behauptete in verschwörungsideologischer und antiamerikanischer Weise, dass man nur dem Geld folgen müsse, um herauszufinden, wem die EU wirklich nutze und wer die Welt regiere. Als Profiteure nannte er die US-amerikanischen Unternehmen Black Rock, J.P. Morgan und Pfizer. Der Globalismus sei der Feind der Völker Europas und gemeinsam zu bekämpfen. Was er unter Globalismus versteht, wurde insbesondere in seinen Ausführungen zum Krieg in der Ukraine und der Corona-Pandemie deutlich. Hinter dem Ausnahmezustand sieht er die USA, Globalisten und fremde Mächte am Werk. Explizit nannte er Bill Gates, die WHO und das WEF, wodurch er sich antisemitischen Codes bediente. Die aktuelle Regierung führe nur die Anweisungen der Mächtigen aus.

01.07.2023, Magdeburg, „Frieden und Souveränität für Europa!“ (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin).

Für Chrupalla sind die Grünen die „gefährlichste Partei Deutschlands“ und die „wahren Feinde der Demokratie“, die das Volk verachten. Gleichzeitig seien alle Parteien außer der AfD ein undifferenzierbarer „Sumpf“. Durch die Konstruktion dieses Feindbilds bei gleichzeitiger Negation der Unterschiede zwischen den Parteien, präsentiert man sich als einzige demokratische Partei, die sich um die Anliegen und Sorgen der Bürger:innen kümmert. Durch Aussagen wie „wir Ossis“ (Chrupalla) wird eine Nähe und Verbundenheit zum Publikum hergestellt und an die Ostidentität der Menschen appelliert. Die AfD sei die einzige Partei, die „stolz auf ihre Wähler“, auf die „Magdeburger“ (Krah) sei und sich für den Erhalt der Identität und Heimat der Menschen einsetze. Die Partei inszeniert sich so als Stimme der (ostdeutschen) Bürger:innen. Aus dieser Perspektive bedeutet eine starke und einflussreiche AfD auch eine Stärkung der eigenen Position für ihre Wähler:innen.



Sammelbecken für ein breites Spektrum an rechten Anhänger:innen

01.07.2023, Magdeburg, „Frieden und Souveränität für Europa!“ (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin).

Während der Rede von Reichardt zeigte ein Mann in der vordersten Reihe des Publikums den Hitlergruß. Kurze Zeit später wurde er von der Polizei in eine Maßnahme genommen. Gemäß Paragraf § 86a wurde gegen ihn Strafanzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisation gestellt. Im Publikum befanden sich mehrere Personen, die Kleidung von Marken wie Yakuza, Pro Violence oder Label 23 trugen, die in der Neonazi-Szene verbreitet sind. Mitarbeiter des Aufbau-Teams der Partei zeigten mit einem Wotansknoten und einem Sonnenrad zudem einschlägige Tattoos.


Die AfD wird allerdings nicht nur von Personen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild unterstützt, sondern kann mittlerweile ein breites Spektrum konservativer und rechter Anhänger für sich gewinnen. Dies wurde auch am Tag nach der Kundgebung knapp 70 Kilometer südöstlich von Magdeburg in der Stadt Raguhn-Jeßnitz deutlich, wo der Politiker Hannes Loth zum neuen Bürgermeister gewählt wurde. Im zweiten Wahlgang setzte er sich gegen den parteilosen Nils Naumann durch. Somit ist Loth der erste gewählte hauptamtliche Bürgermeister der AfD in Deutschland.

01.07.2023, Magdeburg, „Frieden und Souveränität für Europa!“ (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin).

Die Grenzen des Sagbaren sind durch die AfD mittlerweile spürbar verschoben worden, sodass die Partei offensichtlich als legitime Wahlmöglichkeit wahrgenommen wird. Laut Chrupalla werde man in den kommenden Wochen und Monate daran arbeiten, die vonseiten der anderen Parteien, insbesondere der CDU, häufig benannte „Brandmauer“ zur AfD zu beseitigen: „Wir werden sie einreißen! Wir werden sie niederreißen!“ Angesichts dessen liegt es in der Verantwortung der Politik und Öffentlichkeit, sich eindeutig gegen rassistische und menschenfeindliche Positionen zustellen. Das entmenschlichende Vokabular der AfD darf nicht übernommen werden, wie dies beispielsweise Friedrich Merz tat, als er vom „Sozialtourismus“ der ukrainischen Flüchtlinge sprach.

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