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"Schluss mit Multikulti-Wahnsinn": AfD-Proteste gegen Geflüchtetenunterkunft in Prenzlau


Es sind fast 400 Menschen, die sich am Montagabend des 17. April auf dem Marktberg vor der Prenzlauer Marienkirche versammelt haben. Neben vielen älteren sind auch jüngere Teilnehmende zu beobachten, die meisten mutmaßlich aus der Region. Nicht wenige von ihnen, darunter auch Ordner, tragen Kleidung von Marken, die in der Neonaziszene beliebt sind, wie Thor Steinar, Yakuza oder Amstaff.


Anlass ihres Kommens ist eine Kundgebung des AfD-Kreisverbandes Uckermark gegen eine geplante Geflüchtetenunterkunft im nahegelegenen Gewerbegebiet Prenzlau Ost. Am Folgetag, dem 18. April, findet eine Kreistagssitzung statt, in der über die Unterbringung von etwa 300 Geflüchteten entschieden werden soll.


Die ausschließlich männlichen Redner nutzen diese Abstimmung, um bereits am Vorabend rassistische, entmenschlichende Hetze zu betreiben und die Zuhörenden aufzustacheln. Ihre Agitation reiht sich in eine bereits seit Monaten deutschlandweit zu beobachtende Entwicklung von rechten bzw. rechtsextremen Protesten gegen (geplante) Unterkünfte für Asylbewerber:innen ein.


Nicht der erste Protest dieser Art


Auch in Prenzlau fand bereits vor wenigen Wochen, Ende März, eine ähnliche Kundgebung statt. Anlass war damals ein Vorfall kurz zuvor, in den Männer mit tschetschenischem Hintergrund verwickelt waren. Insbesondere die Jugendpartei der AfD, die Junge Alternative (JA), versuchte die Gelegenheit zur Selbstinszenierung zu nutzen: Mit „Schiebt sie ab!“ Transparent in der ersten Reihe, lief man Parolen skandierend durch die brandenburgische Kreisstadt und ließ sich dabei von einem Filmteam des IB-nahen sogenannten Filmkunstkollektivs ablichten. Der Auftritt erinnerte an Aufmärsche der rechtsextremen Identitären und der neonazistischen NPD.


JA-Vorsitzender als zentrale Figur


Die meisten jener JA-Aktivist:innen sind zwar am 17. April nicht zugegen, abgesehen davon deckt sich die Veranstaltung jedoch weitestgehend mit der vor wenigen Wochen. Auffällig ist: Die Redner fordern die Anwesenden immer wieder zum Handeln auf, ohne zu konkretisieren, worin dieses bestehen soll. Bei Außenstehenden kann dadurch der Eindruck entstehen, es handele sich um einen Aufruf zur Selbstjustiz.

Hannes Gnauck auf der kleinen Bühne in Prenzlau (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin)

Auch auf der Bühne zeigt sich ein identisches Bild zur Kundgebung im März, denn die Redner, darunter der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck, sind dieselben. Gnauck ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und Vorsitzender der JA, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird und enge Verbindungen zur rechtsextremen sogenannten Identitären Bewegung (IB) pflegt. Vor seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter war er Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Dort wurde ihm das Betreten der Kaserne verboten und ein Uniformtrageverbot erteilt, nachdem er vom Militärischen Abschirmdienst als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde. Als Abgeordneter unterstützt Gnauck unter anderem das rechte Kampagnennetzwerk Ein Prozent finanziell. Neben dem Bundestagsabgeordneten sprechen Felix Teichner (Mitglied des brandenburgischen Landtages), Tony Riller und Klaus-Martin Bastert (beide Mitglieder des örtlichen AfD-Kreisverbandes). Im Anschluss an die etwa einstündige Kundgebung schließen sich etwa 50 Personen einem wöchentlichen Montagsaufmarsch an. Die Teilnehmenden ziehen mit „Abschieben! Abschieben“ und „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“-Parolen unwidersprochen durch die Straßen. Einer derjenigen, der sich an diesem Protestzug ganz am Ende beteiligt, ist Hannes Gnauck.


Zunehmende Proteste und Gewalt gegen Unterkünfte


Die Proteste in Prenzlau sind nicht singulär zu betrachten, sondern stehen im Kontext von seit geraumer Zeit zunehmenden Protesten gegen die Unterbringung von Geflüchteten im Allgemeinen. Diese Dynamik lässt sich vor allem in ostdeutschen Bundesländern, aber auch vermehrt im Westen beobachten. Die Proteste der AfD und anderer rechter bis rechtsextremer Gruppierungen oder Parteien, wie der Freien Sachsen, erinnern stark an Aufmärsche im Jahr 2015 im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise. Auch die skandierten Parolen sind oftmals identisch.


Dass es darüber hinaus nicht nur bei Protesten bleibt und die Aufrufe von der Bühne Menschen tatsächlich zum Handeln animieren können, spiegelt sich in Zahlen wider: Im Jahr 2022 wurden insgesamt 121 Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte verübt, deutlich mehr als im Vorjahr (70). Das entspricht einem Anstieg von fast 58 Prozent.


Rassistische Inhalte prägend


Auf Protesten wie in Prenzlau werden Geflüchteten aufgrund ihrer Herkunft bestimmte kulturelle Eigenschaften zugesprochen, die nicht mit einer bestehenden deutschen Kultur vereinbar seien. Hannes Gnauck spricht diese Ansichten offen an, wenn er etwa in einem Interview mit dem österreichischem Heimatkurier darauf verweist, dass es sich bei den vermeintlichen Tätern um Angehörige „fremde[r] Volksgruppen“ handele, die sich zudem „asozial“ verhielten. Auch in seiner Rede am 17. April nutzte der JA-Vorsitzende eine ähnliche Wortwahl.


Generell wird bei vielen dieser Proteste auf kulturelle Differenzen zwischen Geflüchteten und Deutschen verwiesen und Menschen mit Migrationsgeschichte kriminelles Verhalten durch ihre vermeintlichen natürlichen Eigenschaften unterstellt. Diese Erzählungen werden oft eingebunden in die antisemitische Verschwörungserzählung des „Großen Austausch“. In Anlehnung an den französischen Autor Renaud Camus handelt es sich hierbei um ein insbesondere in neurechten Kreisen verbreitetes Narrativ. Demzufolge plane eine geheime „Elite“ den Austausch der „autochthonen“ Bevölkerung Europas durch Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen oder Mittleren Osten. Es handelt sich um eine Erzählung, die sowohl rassistische als auch antisemitische Motive enthält und die auch am 17. April in Prenzlau von Hannes Gnauck verbreitet wird.


Gerade in ländlichen Regionen, sind die hier geschilderten Vorgänge vielerorts zu beobachten. Umso wichtiger ist es, fernab der Großstädte, die Dynamiken und die beteiligten Akteure genauestens zu beobachten und fortlaufend auf die damit zusammenhängende Gefahr für Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte hinzuweisen.



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