Auch zu Corona-Zeiten fand es wieder statt: Das rechtsextreme, geschichtsrevisionistische “Gedenken” an die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Februar 1945 - alljährliches Stelldichein der neonazistischen Szene Deutschlands, früher einmal einer der größten Neonazi-Aufmärsche in Europa, mit in den letzten Jahren immer weiter sinkenden Teilnehmer:innenzahlen. So war es auch an diesem Samstag, den 13.02.2021. Nur wenige hundert Teilnehmer:innen konnten die Organisatoren des rechtsextremen “Gedenkens” an diesem Tag nach Dresden mobilisieren, darunter Aktivisten der rechtsradikalen Parteien NPD, “Der III. Weg”, “Die Rechte” sowie der NPD-Jugendorganisation “Junge Nationalisten”. Dies dürfte neben dem generellen Abwärtstrend auch an den winterlichen Temperaturen sowie den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gelegen haben. Auch die internationale Mobilisierung dürfte aus diesen Gründen deutlich geringer ausgefallen sein als in den letzten Jahren.
Ab 14 Uhr versammelten sich vor der Nacht- und Tabledancebar “Angels”, nahe des Dresdner Hauptbahnhofs, zwischen 300 und 400 Personen aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum zu einer stationären Kundgebung, um der Todesopfer der alliierten Luftangriffe in ihrem völkisch-nationalistischem Sinne zu “gedenken”. Auf der anderen Straßenseite fand zeitgleich, durch die Polizei von der Neonazi-Kundgebung abgeschirmt, eine von mehreren Gegenkundgebungen statt, die wie in den Jahren zuvor unter anderem vom Bündnis “Dresden Nazifrei” organisiert wurde. An ihr nahmen mehrere hundert Menschen teil. Da die rechtsextreme “Gedenk”-Veranstaltung in diesem Jahr als Kundgebung an einem festen Ort stattfand, gab es anders als in den Jahren zuvor keine antifaschistischen Blockaden.
Anmelder des geschichtsrevisionistischen “Gedenkens” war erneut der Dresdner NPD-Ortsbeirat Maik Müller, der auch stellvertretender Vorsitzender der “Jungen Nationalisten” ist. Bekannte Gesichter der rechtsextremen Szene, die vor Ort gesichtet wurden, waren unter anderem der rechtsextreme Berliner Video-Aktivist Nikolai Nerling, die NPD-Politiker Thorsten Heise und Stefan Trautmann, der Braunschweiger Neonazi Sebastian Weigler, die Dortmunder “Die Rechte”-Aktivisten Matthias Deyda und Alexander Deptolla, Matthias Fischer und Klaus Armstoff von der neonazistischen Partei “Der III. Weg” sowie Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung “Brigade 8”.
Da die Organisatoren offensichtlich Probleme damit hatten, geeignete Ordner:innen zu finden, begann das rechtsextreme “Gedenken” mit über einer Stunde Verspätung. Zuvor entrollte eine Gruppe von “Die Rechte”-Anhängern kurzzeitig auf einem Bahnsteig unmittelbar oberhalb des Veranstaltungsorts ein Banner, auf dem in großen Lettern “Bombenholocaust” sowie “Ihr nennt es Befreiung, wir nennen es Massenmord!” und “Gedenkt den 250.000 Opfern!” gedruckt war. Nach dem Eingreifen der Polizei musste die Gruppe das Transparent wieder einpacken. Die Aktivisten knüpften damit an die Legende von mehreren hunderttausend Todesopfern der alliierten Luftangriffe an. Die Zahl von 200.000 Toten wurde noch durch das NS-Regime in Umlauf gebracht und hielt sich lange im kollektiven Gedächtnis. Aktuelle geschichtswissenschaftliche Forschungsergebnisse gehen hingegen von maximal 25.000 Todesopfern aus.
Noch perfider ist hingegen die Charakterisierung der Bombardierung der Elbestadt als “Bombenholocaust”. Diese Formulierung wurde auch von Matthias Deyda von “Die Rechte” in seiner Rede verwendet. In mehreren Redebeiträgen wurde zudem erklärt, dass die alliierten Luftangriffe einzig auf die Ermordung der deutschen Zivilbevölkerung gezielt hätten, dass die Alliierten damit einen Vernichtungsplan ausgeführt hätten und dass es sich um einen “Völkermord” bzw. “Genozid” an der deutschen Bevölkerung gehandelt habe. Die Formulierung dient in der rechtsextremen geschichtsrevisionistischen Ideologie einer antisemitischen Täter-Opfer-Umkehr: Die von Deutschen durchgeführte Vernichtungspolitik gegen die europäischen Jüdinnen und Juden wird auf die Alliierten projiziert. Diese werden dadurch zu mörderischen Tätern, während die deutsche Bevölkerung als unschuldiges Opfer erscheint. Die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg und die Verantwortung für die Shoah werden geleugnet, die jüdischen Opfer verhöhnt und die realen historischen Zusammenhänge verdreht und umgedeutet.
Höhepunkte gab es kaum - zäh und träge wirkte die Veranstaltung insgesamt, eher wie eine erwartbare Aneinanderreihung von rechtsextremen “Gedenk”-Gemeinplätzen. Redebeiträge hielten neben Deyda unter anderem die langjährige NPD-Politikerin Edda Schmidt, der Vorsitzende der “Jungen Nationalisten” Paul Rzehaczek, nicht namentlich vorgestellte Neonazis aus Tschechien, Serbien und Spanien sowie der Anmelder Maik Müller. Außerdem wurden Gastbeiträge von der französischen “Gemeinschaft Irminsul” sowie vom Rechte-Szene-Anwalt und ehemaligen “Wiking-Jugend”-Vorsitzenden Wolfram Nahrath verlesen.
Vor Ort waren auch rechtsextreme Medienvertreter:innen. So filmte der ehemalige Berliner Grundschullehrer Nikolai Nerling auf der Veranstaltung. Nerling wurde Ende vergangenen Jahres in München wegen Holocaustleugnung verurteilt. Gegen das Urteil legte er Revision ein. Ebenfalls präsent war ein Team des rechtsradikalen Mediums “Deutsche Stimme”. Vereinzelt versuchten rechtsextreme Medienschaffende Fotos und Videos von anwesenden Pressevertreter:innen und Gegendemonstrant:innen anzufertigen.
Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich mit dem bekannten Holocaustleugner Reza Begi. Dieser tauchte relativ plötzlich als Teilnehmer der “Gedenk”-Kundgebung auf und fing an, die Gegendemonstrant:innen wüst zu beschimpfen: “Ihr seid die wahren Terroristen”, rief Begi mehrfach und näherte sich der Menge sichtlich erbost. Schließlich schrie er, dass in Gaza-Stadt ein Holocaust stattfinde (“die gesamte Menschheit weiß das”) - auch hierbei handelt es sich um eine antisemitische Relativierung der Shoah. Das, was in Forschung und Bildung als israelbezogener Antisemitismus bezeichnet wird, liegt unter anderem dann vor, wenn die Politik Israels (auf die Begi sich hier sehr wahrscheinlich bezieht) mit der Politik der Nationalsozialisten, hier: der antisemitischen Vernichtungspolitik, gleichgesetzt wird. Die Aussage, dass in Gaza-Stadt bzw. in Gaza insgesamt ein Holocaust stattfinde, ist ein wiederkehrendes Beispiel für israelbezogenen Antisemitismus.
Als Resümee muss man feststellen, dass das diesjährige rechtsextreme Dresden-”Gedenken” in einem sehr negativen Sinn “das Übliche” blieb: Eine zähe Zeremonie mit bekannten Gesichtern, aber keinen großen Überraschungen. Zu erwartende Relativierungen wurden verlässlich vorgetragen, geradezu abgearbeitet. Aber insgesamt schien die Szene Dresden in diesem Jahr lediglich als Pflichtübung zu sehen, der man nicht fernbleiben durfte. Dies ist jedenfalls der Eindruck, der sich nach zweieinhalb Stunden Kundgebung in eisiger Kälte aufdrängte. Damit bleibt nur zu hoffen, dass die Teilnehmer:innenzahlen in den Folgejahren auch bei besserem Wetter und günstigeren pandemischen Zuständen ebenso niedrig oder bestenfalls noch niedriger ausfallen werden.
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