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Rechtsextreme “Identitäre Bewegung” scheitert in Berlin


“Wir werden uns das Recht auf unsere Straßen so oder so nicht nehmen lassen”, sagte der Österreicher Martin Sellner in Berlin, nachdem der Aufmarsch der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB) bereits nach 800 Metern aufgrund von Blockaden durch Gegendemonstrant_innen zum Stehen kam. Nach zwei Stunden Stillstand erklärte der Anmelder Robert Timm den Aufzug für beendet – sofort rannten Teilnehmer_innen der (aufgelösten) Demonstration schreiend in die entgegengesetzte Richtung und versuchten gewaltsam Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Teilweise unter Einsatz von Pfefferspray gelang es den Einsatzkräften jedoch die „Identitären“ abzudrängen. Laut Medienberichten kam es anschließend zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstrant_innen und Anwohner_innen.

Für den 17. Juni 2017 hatte die IB zu einer Demonstration am S-Bahnhof Gesundbrunnen in Berlin aufgerufen, an der sich ca. 700 Anhänger_innen, zum Teil aus dem europäischen Ausland, beteiligten. Bereits in den vergangenen Jahren hatte die IB das Datum als Anlass für Aktionstage in verschiedenen deutschen und österreichischen Städten genutzt. Erstmals wurde zu einer Demonstration mit europaweiter Mobilisierung nach Berlin aufgerufen.

Neben mehrfach verurteilten Neonazis, “Reichsbürgern”, Funktionären der verfassungsfeindlichen NPD, Personen aus dem Umfeld der rechtsextremen Kleinpartei “Der Dritte Weg” sowie zahlreichen prominenten Vertreter_innen von Pegida und ihren Ablegern, nahmen mehrere Funktionäre der AfD und ihrer Jugendorganisation JA an der Demonstration teil. Offiziell distanziert sich die Führung der AfD von der vom Bundesverfassungsschutz beobachteten “Identitären Bewegung” – ein Beschluss, der innerhalb der Partei kontrovers diskutiert wird.

Das weitestgehend einheitliche Gesamtbild des Aufmarsches war durch zahlreiche schwarz-gelbe Fahnen und das Logo der Gruppierung (griechischer Buchstabe Lambda) geprägt. Die Veranstalter hatten im Vorfeld den Teilnehmenden untersagt, andere Fahnen bzw. Banner zu zeigen und angekündigt “Personen, die dem extremistischen politischen Spektrum zuzuordnen sind,” auszuschließen. Insbesondere in Form von Tattoos waren neonazistische Symbole wie die “Schwarze Sonne”, das Rutenbündel mit Beil (Symbol italienischer Faschisten) und ein Schriftzug der österreichischen Neonazi-Hooligangruppierung “Eisern Wien” zu sehen. Die Losung der Hitlerjugend “Blut und Ehre”, welche in Deutschland als Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verboten ist, zeigte ein Teilnehmer aus dem Umfeld der “Identitären Bewegung Harz” durch ein Tattoo im Nacken.

Die vorgebrachten Redebeiträge bezogen sich vor allem auf das von der IB vertretene Konzept des s. g. Ethnopluralismus. Paula Winterfeldt sprach von “Alltagsterror”, “Massenvergewaltigungen” und “Horden von Männern, die über Frauen herfallen” würden. Daniel Fiß, ehemaliges NPD-Mitglied und zentraler Akteur der IB, sagte in seiner Rede, dass der „große Austausch bereits in vollem Gange” sei. Eine gängige antisemitische Verschwörungstheorie geht davon aus, dass “die Elite” die “einheimische Bevölkerung” gegen “Fremde” austauschen wolle. Zusammen mit dem Leiter der “Identitären Bewegung Italien” Lorenzo Fiato warb Sellner für das Projekt „Defend Europe“, das darauf abzielt, die Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer zu verhindert. Neben den Slogans „Festung Europa, macht die Grenzen dicht“ und „Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation“ wurden Parolen wie “Lügenpresse” und der von der NPD bereits bekannte Slogan „Heute seid ihr tolerant und morgen fremd im eigenen Land“ skandiert. Im migrantisch geprägten Stadtteil Wedding riefen Teilnehmer_innen mehrfach “Abschieben” in Richtung von Anwohner_innen, die gegen den flüchtlingsfeindlichen Aufmarsch protestierten.

Sowohl das “Berliner Bündnis gegen Rechts“ als auch die Initiative von Künstler_innen „Die Vielen“, die durch die Mobilisierungsplattform „Berlin gegen Nazis“ unterstützt wurde, hatten jeweils zu Gegendemonstrationen aufgerufen und insgesamt etwa 1700 Menschen gegen den Aufmarsch auf die Straße gebracht. Die Berliner Polizei war mit einem Großaufgebot von 1000 Beamt_innen im Einsatz.

Die Demonstration zeigte, wie stark die Akteure des (neu-)rechten und rechtsextremen Spektrums vernetzt sind. Die Selbstinszenierung als “gewaltfreie” Jugendbewegung wird dadurch entlarvt, dass ein erheblicher Teil der Anhänger aus einem offen rechtsextremen bis neonazistischen Umfeld stammt. Auch wenn nur ein Bruchteil der vorgesehenen Strecke erreicht wurde und eine Inszenierung an der “Gedenkstätte Berliner Mauer” verwehrt blieb, stellt die IB die Demonstration als Erfolg dar. Die geschickte Inszenierung als einheitliche Bewegung mit martialischer Symbolik ist als Medienstrategie immer wieder erfolgreich, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Demonstration einen Misserfolg darstellt.

Akteur_innen der IB sind seit 2014 in Deutschland immer wieder medienwirksam in Erscheinung getreten und hatten sich bei Aktionen aus strategischen Gründen gegenüber der Polizei deeskalierend gezeigt. Bereits Ende 2016 waren diese dazu übergegangen, sich der Staatsgewalt in Form von Sitzblockaden zu widersetzen. Die gewollte Eskalation durch das Auflösen der Demonstration und das gewaltsame Durchbrechen von Polizeiketten stellt eine zunehmende Radikalisierung der Aktionsformen der “Identitären Bewegung” dar.

(20.7.2017)

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