top of page

Gewalt gegen Presse und uralte Hetze gegen Juden auf rechtsextremer Kundgebung in Berlin, 20.03.2021

Aktualisiert: 2. Aug. 2021

Sie scheinen mittlerweile in Deutschland zur Normalität zu gehören: Rechtsextreme Angriffe auf Pressevertreter:innen, Relativierungen der Shoah und antisemitische Verschwörungsideologien auf den Kundgebungen und Demonstrationen, die sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richten. Von Beginn an beteiligten sich Neonazis und Rechtsradikale an den Protestveranstaltungen und scheinen mittlerweile in der losen Bewegung der Corona-Skeptiker:innen bzw. Corona-Leugner:innen zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. Das ließ sich auch am Samstag, den 20.03.2021 in Berlin beobachten.


Hier fanden an diesem Tag mehrere Kundgebungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung statt. Zum Protest hatten auch Rechtsextreme aufgerufen, u.a. aus dem Spektrum militanter “Anti-Antifa”-Gruppen. Am Morgen versammelten sich zunächst zwischen 35 und 50 Personen vor dem Brandenburger Tor zu einer Kundgebung mit offenem Mikrofon. Am Mittag setzte sich die Versammlung, die mittlerweile auf 150 bis 200 Personen angewachsen war, als Demonstration auf der “Straße des 17. Juni” in Richtung Siegessäule in Bewegung. Die Polizei stoppte die Demonstration jedoch bereits nach wenigen Metern, da gegen die Vorschrift zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verstoßen wurde und Abstände nur unzureichend eingehalten wurden. Nachdem die Versammlung von der Polizei aufgelöst worden war und es kurzzeitig zu tumultartigen Szenen im Tiergarten kam, fanden sich am frühen Nachmittag ca. 200 Menschen vor dem Reichstagsgebäude zu einer Kundgebung ein, darunter auch Personen, die bereits an der aufgelösten Demonstrationen teilgenommen hatten.


Übergriffe auf Pressevertreter:innen


Im Laufe des Tages kam es zu mehreren Übergriffen auf Pressevertreter:innen und Gegendemonstrant:innen durch Neonazis und Rechtsextreme. Gegen 10 Uhr versuchte ein rechter Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor anwesende Pressevertreter:innen einzuschüchtern und an ihrer Arbeit zu hindern. Er schubste einen Journalisten und drohte weiteren. Die Polizei musste einschreiten.


Am frühen Nachmittag wurde auch ein Mitarbeiter des Jüdischen Forums zum Ziel eines Angriffs durch einen mutmaßlich rechtsextremen Versammlungsteilnehmer. Auf der Straße des 17. Juni wurde der Pressevertreter des JFDA von einem Demonstranten attackiert, während er die Festnahme eines Mannes filmte, der einen Gegenstand auf Gegendemonstrant:innen geworfen hatte. Der Angreifer näherte sich dem Mitarbeiter des Jüdischen Forums, bedrängte ihn und versuchte ihn am Filmen zu hindern. Dann schlug er mit der Hand auf die Kamera des Pressevertreters. Die Attacke konnte durch eintreffende Polizeibeamte gestoppt werden, die den Angreifer festnahmen und seine Personalien feststellten. Ähnlichen Attacken waren Mitarbeiter:innen des JFDA während ihrer Arbeit in der Vergangenheit immer wieder ausgesetzt.


Rechtsextreme prägen Charakter der Versammlung


Die Versammlung am 20.03.2021 im Zentrum Berlins wurde von Anfang an durch die teilnehmenden Rechtsradikalen geprägt. So grölten diese, als sich der Demonstrationszug in Richtung Großer Stern in Bewegung setzte, die neonazistische Parole “Frei, sozial und national”. Nach der Auflösung durch die Polizei durchstreiften Neonazis in Kleingruppen den Tiergarten. Am Morgen präsentierten Teilnehmer:innen direkt vor dem Brandenburger Tor ein Transparent der fremdenfeindlichen Hooligan-Gruppierung “HoGeSa” (“Hooligans gegen Salafisten”), die 2014 bundesweit durch gewaltsame Ausschreitungen auf sich aufmerksam gemacht hatte. Andere Teilnehmer trugen Kleidungsstücke mit einschlägigen aufgedruckten Codes und Symbole der rechten Szene wie beispielsweise die sogenannte “Schwarze Sonne” und die Bezeichnung “Anti-Antifa”. Zudem wurde eine Fahne mit dem "Hammer und Schwert"- Symbol geschwenkt, eines der wenigen nicht verbotenen Symbole des NS.


Offener Antisemitismus eines Versammlungsteilnehmers


Erschreckend war auch der unverhohlene Antisemitismus, den ein Mann in Lederjacke auf der Kundgebung zeitgemäß auf seiner Maske zur Schau stellte. Auf dem Mund-Nasen-Schutz des Mannes, der im Stile der Nationalflagge des Staates Israel gestaltet war, stand in großen Druckbuchstaben “JDN LGN”. Auf den ersten Blick eine kryptische, unverständliche Botschaft, doch ergänzt man die Vokale, ergibt sich die (gewünschte) allzu deutliche antisemitische Botschaft: “JuDeN LüGeN”.


Um seine antisemitische Botschaft zu verbreiten bediente sich der Maskenträger nicht nur eines aktuellen modischen Trends zur Vermittlung politischer Botschaften, wie er von Aufdrucken wie “FCK NZS” bekannt ist, sondern griff auch auf einen alten Trick vieler Rechtsextremer zurück: Er verpackt seine volksverhetzende und möglicherweise strafbare Botschaft in einen Code, der für Eingeweihte (und die Öffentlichkeit) unschwer zu entschlüsseln ist, der für sich genommen aber unverfänglich ist. Dies erinnert an bekannte rechtsextreme Codes wie “88” (für den achten Buchstaben im Alphabet H, “Heil Hitler”), “18” (für den ersten und achten Buchstaben, “Adolf Hitler”) oder “AH” (“Adolf Hitler”).


Antisemitische Codes als bekannte rechtsextreme Strategie


Dies ist eine bekannte Strategie, die viele Neonazis und Rechtsradikale verwenden, um ihre rassistischen und antisemitischen Hassbotschaften zu verbreiten. Sie geben sich naiv, aber reizen dabei bewusst die Grenzen der Strafbarkeit aus. Auf diese Taktik greift beispielsweise auch Nikolai Nerling, bekannt als “Der Volkslehrer”, zurück. Nerling ist ein völkischer Aktivist und ehemaliger Grundschullehrer. Im November 2020 wurde er vom Landgericht München in zweiter Instanz wegen Holocaust-Leugnung verurteilt. Dagegen legte er Revision ein. Das ist jedoch kein Grund für ihn, sein antisemitisches Treiben einzustellen. So veröffentlichte Nerling vor Kurzem auf seiner Website ein Video, in dem er fragte “Glaubt ihr an den Holocaust?” Dabei stand er vor einer Plakette zur Erinnerung an die Todesopfer eines nationalsozialistischen Todesmarsches im April 1945. Die Botschaft hinter Nerlings Video: Der Holocaust sei ein Märchen, an das man glauben könne, das aber nicht Fakt sei. Offen ausgesprochen, ist diese Aussage strafbar. Nerling weiß das und greift daher bewusst auf einen Trick zurück, indem er die gewünschte Botschaft nicht selbst ausspricht, sondern nach der Meinung seiner (anonymen) Zuhörer:innen fragt. So entgeht er der Strafbarkeit, aber die Botschaft, die Leugnung der NS-Verbrechen, kommt trotzdem bei Eingeweihten und der eigenen Szene an.


Mit diesen und weiteren Strategien versuchen Rassist:innen, Antisemit:innen und Neonazis Stück für Stück die öffentliche Meinung nach rechts zu verschieben. Sie spielen ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Institutionen des demokratischen Rechtsstaats und zielen darauf, Judenhass, die Verharmlosung und Leugnung der Shoah und plumpen fremdenfeindlichen Rassismus wieder sagbar zu machen. Dieser Angriff auf die Demokratie hat bereits vor einigen Jahren begonnen und die aktuelle Situation ist ein Ausdruck dafür, dass Verantwortliche in Politik, Polizei und Justiz dem bisher nicht entschieden genug entgegengetreten sind. Wenn ein Demonstrant im Zentrum der deutschen Hauptstadt eine Maske mit der jahrhundertealten antisemitischen Vorstellung “Juden lügen” tragen kann, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, muss sich die Gesellschaft fragen lassen, wie salonfähig Antisemitismus in Deutschland bereits wieder geworden ist und was man dem entgegensetzen kann.



bottom of page