„Das Volk muss weiter aufstehen und eine immer größere Kraft von innen heraus entwickeln [...] Wir müssen fest zusammenstehen.“ (Karl Krökel am 01.10.2022 in Berlin)
Immer lauter artikulieren insbesondere rechte Gruppierungen den Traum von einer Querfront und markieren damit ihr Anliegen, das demokratische System mit Hilfe von Linken zu ihren Gunsten zu drehen. In Berlin kam es nun am 01.10.2022 – trotz vorab laut warnender Stimmen – zum Zusammenschmelzen zweier Versammlungen, deren politischer Anspruch vordergründig nicht unterschiedlicher sein könnte. Dabei handelte es sich um eine Versammlung einer rechten Initiative aus Dessau und einer aus der traditionellen deutschen Friedensbewegung. Die erste Versammlung fand am Fuße des Fernsehturms am Alexanderplatz statt und stand unter dem Motto „Friedenspolitik statt Krieg, keine Waffenlieferungen an die Ukraine sowie den Stopp von Sanktionen“. Veranstaltet wurde diese von der bisher in Dessau in Erscheinung getretenen Gruppierung „“Handwerker für den Frieden“ um den Kreishandwerksmeister und Obermeister der Metallinnung Dessau-Roßlau Karl Krökel, der gemeinsam mit Jürgen Elsässer, Chef des vom Verfassungsschutz seit Dezember 2021 als gesichert rechtsextrem eingestuften COMPACT-Magazins, mobilisiert hatte.
Die zweite Veranstaltung wurde von der Friedenskoordination Berlin (Friko) organisiert. Sie fand als „Aktionstag der Friedensbewegung“ unter dem Motto „Sofortiger Waffenstillstand – Verhandeln statt schießen“ in unmittelbarer Nähe am Neptunbrunnen statt. Auf beiden Versammlungen wurde der Einmarsch Russlands in die Ukraine als Folge einer gegen Russland gerichteten Aggression durch die NATO und die USA gewertet, die den 3. Weltkrieg provozieren könnte. Die Handwerker für den Frieden Die „Handwerker für den Frieden“ um Karl Krökel sind eine relativ neue Gruppierung, die bereits in Dessau große Versammlungen mit mehreren Tausend Teilnehmenden organisierte. Vordergründig richten sich diese gegen die Russland-Sanktionen der Bundesregierung und deren ökonomische sowie soziale Folgen für Handwerksbetriebe. Neben Anhänger:innen der „Freien Sachsen“, einer rechtsextremen Splitterpartei, waren auch selbsternannte „Freie Thüringer“, „Freie Brandenburger“ und weitere Gruppierungen vor Ort, die seit 2020 gegen den Infektionsschutz demonstrieren. Dazu gehörten etwa die sich als Protestpartei gegen den Corona-Infektionsschutz herausgebildete „Die Basis“, „Freie Linke“ sowie Abgeordnete der AfD und einige als Neonazis erkennbare Personen. Obwohl sich Krökel selbst immer wieder von Rechten distanzierte, war eine Zusammenarbeit mit diesem Spektrum nicht zu übersehen. Der Berliner Bezirkspolitiker der AfD Andreas Wild hatte seinen LKW als Bühne bereitgestellt und kümmerte sich um die Veranstaltungstechnik, sein Mitarbeiter war als Pressevertreter vor Ort. Jürgen Elsässer selbst inszenierte sein Projekt COMPACT öffentlichkeitswirksam in der ersten Reihe.
Entsprechend des Aufrufs der Handwerker-Kundgebung richteten sich die allermeisten Plakate der Demonstrierenden gegen die Russland-Sanktionen der Bundesregierung, aber auch generell gegen die NATO und vor allem die USA, die angeblich der größte Profiteur des russischen Eroberungsfeldzug gegen die Ukraine sei. Wider jeglicher Tatsachen behauptet ein Plakat zum Beispiel, dass deutsche Panzer wieder in Russland rollen würden. Andere Plakate forderten Verhandlungen mit Putin und suggerierten, dass Friedensverhandlungen am Westen und der Ukraine scheitern würden. Bezüglich der Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 & 2 verstiegen sich sowohl Teile des Publikums als auch der Veranstalter selbst in unbewiesene Behauptung, die USA würde hinter diesem Anschlag stecken. Die Frage, wer der größte Profiteur in diesem Krieg sei, „um als Großmacht erhalten zu bleiben“, beantwortete Karl Krökel in seiner Eröffnungsrede gleich selbst: „China nicht, Russland nicht, Deutschland und Europa nicht'“. Damit bliebe nur die USA. „Und wir müssen dafür bezahlen.“ Für seinen Antiamerikanismus, der sich in den Forderungen „Schluss mit dem Wirtschaftskrieg“ gegen Russland, „USA raus aus Europa“ und „Deutschland raus aus der NATO“ zeigte, erntete der Kreishandwerksmeister unter strömenden Regen reichlich Applaus. Dem russischen Angriffskrieg und seinen Folgen für die ukrainische Bevölkerung begegnete man mit Gleichgültigkeit oder gar mit der Überzeugung, dass dieser nur ein Produkt westlicher Propaganda sei.
Nach dem Ende der einstündigen Kundgebung zwischen dem Bahnhof Alexanderplatz und dem Fernsehturm rief Karl Krökel auf, sich der nahtlos anschließenden Demonstration der Friko auf der anderen Seite des Fernsehturms anzuschließen. Das taten die Anwesenden auch – zuerst nur aufgehalten von der Polizei, die den Demonstrationscharakter des Zuges unterbinden wollte. Kundgebung der Friko Berlin Anhänger:innen der Partei „Die Basis“, der „Freien Linken“, „Freie Thüringer“, „Freie Brandenburger“ trafen mit Transparenten und Flaggen nach und nach am Kundgebungsort der Friko am Neptunbrunnen ein und mischten sich unter Flaggen der DKP, SDAJ, Attac oder der aus der Friedens-Querfront von 2014 hervorgegangenen Gruppierung „Stopp Ramstein“. Auf den Stufen vor dem Brunnen positionierte sich der extrem rechte Verein „Zentrum“ (vormals „Zentrum Automobil“), deren Transparent mit Widerstandsforderungen und verschwörungsideologishen Schlagworten bedruckt war. Lange unternahmen die Verantwortlichen der Friko nichts und fuhren ihr eigenes Programm trotz der sichtbaren rechten Teilnehmerschaft fort. Der ehemalige Chefredakteur von COMPACT TV und heutige Chef des Berliner Ablegers des verschwörungsideologischen Kanals Auf1 führte in der Nähe des Lautsprecherwagen Interviews. Streamer:innen der rechten Kundgebung, positionierten sich vor dem Bühnenwagen, um bestmögliche Sicht auf das Geschehen zu haben. Erst als der stadtbekannte Antisemit und Shoah-Leugner Reza Begi mit einem Megaphon auf sich aufmerksam machte, sprach man sich von der Bühne in Lippenbekenntnissen gegen die Teilnahme von rechten Personen aus und kontextualisierte auch das Transparent des Vereins „Zentrum“. Unter lauten „Nazi raus“ Rufen und Pöbeleien verhinderten darauf Teilnehmende, dass sich die „Gewerkschaftler“ dem folgenden Demonstrationszug der Friko anschließen konnten.
Andere Gruppen wie die „Die Basis“ mit sichtbaren Parteilogos oder die „Freien Linken“, die seit 2021 eine der Speerspitzen in der pandemieleugnenden Protestbewegung darstellen, konnten dagegen weiterhin ungehindert teilnehmen und fanden sich ebenfalls am Abschlusskundgebungsort im Regierungsviertel ein.
Dass der Graben zwischen den diversen politischen Strömungen im Angesicht der von Russland verursachten derzeitigen wirtschaftlichen Lage nicht besonders groß ist, zeigte sich nicht nur auf Plakaten und Transparenten, die sich auf beiden Seiten pauschal gegen die NATO und die USA sowie die Sanktionspolitik gegen Russland richteten. Etliche Teilnehmende aus dem traditionellen Lager der Friedensbewegung waren davor auch Teilnehmende der Handwerker-Versammlung gewesen, darunter auch „Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg”, die sich selbst laut als überzeugte und stolze „Putin-Versteher“ charakterisierten.
Das Demonstrationsgeschehen vom 1. Oktober in Berlin zeigte ähnlich wie zuvor bereits ansatzweise in Leipzig am 5. September oder Brandenburg an der Havel am 17. September, dass im Zuge des Ukraine-Krieges und seinen weltweiten Auswirkungen vor allem rechte Gruppen versuchen, eine neue Querfront zu bilden. Das fehlende Problembewusstsein dafür auf Seiten der Friko führte dazu, dass dieser Versuch hier erfolgreich war. Der späte Versuch der Friedensbewegten am Neptunbrunnen, sich von der rechten Teilnehmerschaft der „Handwerker“ zu distanzieren, scheiterte eben an der räumlichen Nähe, der zeitlichen Abfolge und den inhaltlichen Schnittmengen. Beide Versammlungen hatten betreffend der Russland-Sanktionen, Waffenlieferungen an die Ukraine und das Verhältnis Deutschland zur NATO die gleichen Forderungen und politischen Einstellungen. Unabhängig von der Tatsache, dass Russland derzeit den ersten Eroberungskrieg seit über 70 Jahren in Europa führt, werden altbekannte Slogans der 1980er Jahre wie „NATO raus“ und „Ami Go Home” reaktiviert.
Dennoch scheint man auch in der Friedensbewegung derzeit nicht gewillt zu sein, sich die populistische Agenda der Friko und anderer linker Organisationen zu eigen zu machen. Nach wochenlanger Mobilisierung blieben die Teilnehmerzahlen, trotz Verstärkung aus dem extrem rechten Milieu, nur im mittleren dreistelligen Bereich.
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