Juni ist Pride Month – wie jedes Jahr wurde im Juni einen Monat lang weltweit dem Kampf für die Gleichberechtigung queerer Menschen und gegen die queerfeindlichen Verhältnisse Ausdruck verliehen. Man erinnerte an zurückliegenden Kämpfe und feierte queeres Leben. Gleichzeitig wurde der Monat von rechten Gruppierungen genutzt, um queerfeindliche Positionen zu verbreiten.
Der Pride Month geht auf den 28. Juni 1969 zurück. Im New Yorker Viertel Greenwich Village fanden damals immer wieder gewaltsame Razzien der Polizei in Bars mit homo- und trans Publikum statt, bei denen insbesondere afro- und lateinamerikanische Dragqueens und trans Menschen angegriffen wurden. Bei solch einer gewaltsamen Razzia im Stonewall Inn in der Christopher Street in den frühen Morgenstunden des 28. Juni wehrten sich Betroffene verstärkt gegen die Gewalt. Der Widerstand mündete in mehrtägigen Straßenkämpfen mit der Polizei. Seit dem 29. Juni 1970 wird zum Gedenken des Aufstands der CSD – Christopher Street Liberation Day – gefeiert, der sich nach und nach zum Pride Month ausweitete.
Die Stonewall-Aufstände markieren einen wichtigen Tag für den – bis heute andauernden – Kampf für Rechte von queeren und trans Personen. Erst vor kurzem beschloss die neue Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag, das „Transsexuellen-Gesetzes“ (TSG) abzuschaffen und durch ein „Selbstbestimmungsgesetz“ zu ersetzen. Am 30. Juni 2022 wurde das Gesetz im Bundestag vorgestellt. Die Fortschritte der letzten Jahrzehnte, die den Kämpfen von queeren und trans Menschen zu verdanken sind, sind erfreulich. Queerfeindliche Einstellungen sind dennoch keine Seltenheit oder nur in bestimmten gesellschaftlichen Gruppierungen vorhanden. Zudem ist gesellschaftliche Emanzipation nicht linear, sondern von Widersprüchen, Ungleichzeitigkeiten und reaktionären Momenten gekennzeichnet. Die Pluralisierung von Genderidentitäten und sexuellen/romantischen Orientierungen bedeutet für viele das Ende einer (vermeintlichen) Eindeutigkeit. Die Auflösung von alten Sicherheiten ruft Feindschaft gegen die hervor, die diese Eindeutigkeit infrage stellen.
Dies hat nicht zuletzt der islamistische Anschlag auf eine Schwulenbar in Oslo gezeigt, bei dem zwei Menschen getötet und mehr als 20 Personen verletzt wurden. Queer- und Transfeindlichkeit ist nicht nur Teil von Islamismus, sondern auch Grundelement rechter Ideologie. Dies wird in den Kampagnen, Aktionen und Texten deutlich, welche verschiedenste rechte Gruppen im Kontext des Pride Month 2022 durchführten und veröffentlichten. Das Spektrum reicht von der Umdeutung und Instrumentalisierung des Themas für die eigene Ideologie bis hin zu expliziter Hetze.
„Patriotsmonth statt Pridemonth“
Die österreichische Freiheitliche Jugend Wien (FJW) deutete den „Pridemonth“ zum „Patriotsmonth“ um. Mit der Kampagne wird der Kampf einer marginalisierten Gruppe instrumentalisiert, um die eigene Ideologie im öffentlichen Diskurs zu platzieren. Die FJW ist die Nachwuchsorganisation der rechten österreichischen FPÖ. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) konstatiert der Jugendorganisation eine „zunehmende Verschränkung“ mit dem „‘identitären’ oder ‘neu-rechten’ Segment des nicht-parteiförmigen Rechtsextremismus.“ Im Zuge der Kampagne „Patriotsmonth statt Pridemonth“ veranstaltete die FJW am Abend des 11. Juni nahe der Endveranstaltung der Pride-Parade in Wien eine „Patriotenfeier“ im gruppeneigenen Keller. Dem Presseservice Wien zufolge nahmen an der Veranstaltung neben der FJW Personen aus dem Kreis der „Identitären“, der Gruppierung „Studenten stehen auf“ sowie der FPÖ teil. Dazu zählten auch Funktionäre der FPÖ wie Leo Kohlbauer, Maximilian Kraus oder Udo Guggenbichler. Die Veranstaltung fand im Anschluss an den „Marsch für die Familie“ statt, an dem die FJW ebenfalls teilnahm und ein Banner mit der Aufschrift „Vater+Mutter+Kinder= Familie“ mit sich führte. Die Verbindung beider Veranstaltungen ist kein Zufall, liegt der Bewahrung des „deutschen Volks“ im völkischen Denken die Bewahrung der „deutschen Familie“ zugrunde.
Ein ähnliches Phänomen ist auch bei der Jungen Alternative Deutschland (JA), der Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD) zu beobachten. Die JA änderte zum Beginn des Monats Juni auf ihren Social Media Kanälen ihr Profilbild. Hinter dem Logo der JA – ein für Freiheit stehendes Feuer –, sind seitdem die Farben Schwarz, Rot und Gold aufgefächert in unterschiedlichen Schattierungen zu sehen, wodurch Assoziationen an die Regenbogenfahne der queeren Bewegung geweckt werden. Im Zuge dessen veröffentlichte die JA am 01. Juni dasselbe Bild mit der Caption: „++Jetzt Nationalstolz zeigen! ++ Zeige jetzt deinen Nationalstolz und setze ein Zeichen gegen den linken Zeitgeist!“ Die JA nutzt den Pride Month als Bezugspunkt, um ihrem Stolz auf die eigene Nation Ausdruck zu verleihen. Sie vereinnahmt dabei symbolisch den Raum einer marginalisierten Gruppe und negiert damit ihre Anliegen. Die Betrachtung des Grundsatzprogramms der JA verdeutlicht, weshalb gerade der Pride Month für diese Strategie genutzt wird. Die JA „setzt die Familie in den Mittelpunkt ihres Handelns“, „Alles, was Familien nicht stärkt, sondern schwächt oder zerstört“ werde aufs „entschiedenste“ bekämpft. Homosexualität und trans Identität sind natürlich keine Gefahr für familiäres Zusammenleben, stellen jedoch das heterosexuelle und binäre Geschlechtersystem infrage und damit das klassische gegengeschlechtliche Familienkonstrukt.
Beide Gruppen instrumentalisieren durch ihre Strategie einen emanzipatorischen Kampf, um ihre eigenen Belange in Stellung zu bringen. Durch die Bezugnahme auf den Pride Month kann der Eindruck entstehen, sie würden ein Linie zwischen ihren eigenen Belangen und derer queerer Personen ziehen und sich so als marginalisierte Gruppe inszenieren. Dabei kämpfen die einen für die Ausweitung von Rechten und die anderen für die Einschränkung von Rechten. Die Vereinnahmung des Pride Month mit den dargelegten Strategien kann als Mittel verstanden werden, das queere und trans Menschen verhöhnt und ihre Anliegen abwertet, ohne sie direkt anzugreifen.
Hetze gegen die queere Bewegung im Gewand des Kinderschutz
Während die FJW und die JA den Pride Month umdeuten, um ihre eigene Weltsicht zu untermauern, stellt er für andere rechtsextreme Gruppierungen einen Anlass dar, ihren Hass gegen queere und trans Personen direkt zu verbalisieren. Für die rechtsextreme Kleinstpartei „Der III. Weg“ wurde der Pride Month zum „Aktionsmonat gegen Homopropaganda“. Sie posteten im eigenen Telegram Kanal und auf ihrer Website ein Foto, welches mit dem Schriftzug „Pride Month?“, „Nicht mit uns“ versehen ist und verteilten nach eigenen Angaben u.a. in Dresden, Freital und Roßlau Flugblätter um „konsequente Aufklärungsarbeit zu leisten“.
Zudem veröffentlichten sie auf ihrer Website am 06. Juni den Artikel „Bunte Schändung des Reichstags“. Das Hissen der Regenbogenfahne des Reichstags zum Christopher Street Day wurde als Ausgangspunkt genommen, um sich dagegen auszusprechen, dass eine „sexuelle Minderheit“ und „desorientierte Randgruppe“ vom „arbeitenden Volk“ unterstützt werden solle. Sie werfen queeren Personen vor, sich absichtlich mit HIV zu infizieren und würden somit eine erhebliche Belastung für das Krankenkassensystem darstellen. Sexualität wird hier mit deviantem und gefährlichen Verhalten in Beziehung gesetzt – ein gängiges homofeindliches Narrativ, dass u.a. zu Zeiten der AIDS-Epidemie verbreitet wurde.
Während Menschen gegenwärtig immer noch für die Anerkennung von queeren Lebensweisen und trans Identitäten kämpfen, wirft ihnen der III. Weg vor „omnipräsent, in den Nachrichten, in der Werbung und in den Schulen, ja auch in den Köpfen unserer Kinder!“ zu sein. Diese Vorstellung einer allgegenwärtigen „Transgender-Propaganda“, die eine Gefahr für Kinder darstelle, findet sich auch auf der Website des Kreisverbands Rhein-Erft von der neonazistischen Kleinstpartei „DIE RECHTE“. Sexuelle Aufklärung würde Kinder verwirren und traumatisieren, was sie zu „leichten Opfern für pädophile Übergriffe“ mache. Hier zeigt sich ein zentrales Motiv rechter Strategie: die Verhandlung von sexualpädagogische Maßnahmen in Schulen unter dem Begriff der „Frühsexualisierung“. Ansätze, die Kindern ein positives Körpergefühl geben und zur Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität führen sollen, werden durch Umdeutung, selektive Darstellung und Falschinformation instrumentalisiert, um ein Feindbild zu konstruieren, gegen das man sich selbst als fürsorgliche Instanz inszeniert.
Ginge es ihnen tatsächlich um den Schutz von Kindern und jungen Erwachsenen, würden sie sich jedoch auch an anderer Stelle für das Wohl von Kindern einsetzen und nicht im Gegenteil die vermeintliche psychische Verfassung von Kindern, die von sexualisierten Gewalt betroffen sind, in den Fokus rücken, wodurch eine Schuldumkehr stattfindet.
In einem weiteren Beitrag, der bereits am 05. Mai veröffentlicht wurde, positioniert sich der III. Weg gegen das neue „Selbstbestimmungsgesetz“ und die Entpathologisierung von trans Identitäten, da diese „unnatürlich“ seien. Mit Bezug auf ein Taz Interview mit dem Jugendpsychiater Alexander Korte wird angegeben, dass 85 Prozent aller trans Personen „biologische Mädchen“ seien. Als Erklärung wird das Fehlen von „positiven weiblichen Rollenvorbildern“ und verwirrende „gesellschaftliche Rollenklischees und Schönheitsideale“ ausgemacht. Weiter heißt es, dass diese „Politik“ schwerwiegende Folgen für die deutsche Jugend, deutsche Familien und letztlich das ganze deutsche Volk.“ habe. Der III. Weg vertrete daher ein
„natürliche[s] Familienbild: Mutter, Vater, Kind. Es gibt keine Vielzahl an Geschlechtern, sondern lediglich zwei biologische Geschlechter. Eine Rückkehr zu diesen simplen, aber richtigen Feststellungen ist dringend geboten. Daher werden wir die Regenbogenideologie gnadenlos bekämpfen und unsere ganze Kraft zur Gesunderhaltung der deutschen Familie aufwenden!“
Bei den Ausführungen des III. Wegs wird deutlich, um was es rechten Gruppierungen unterschiedlichster Ausprägung bei der Agitation gegen queere und trans Personen wirklich geht. Qua Identität gefährden diese Männlichkeits- und Weiblichkeitsideal, stellen die binäre Geschlechterordnung infrage und werden als Gefahr für die heterosexuelle bzw. gegengeschlechtliche Familie angesehen. Letztere ist nicht nur das Kernelement der kapitalistischen Gesellschaft, sondern auch die „Keimzelle“ der „Volksgemeinschaft“. Durch die Abwertung, Diffamierung und Unsichtbarmachung, aber insbesondere auch die Markierung als ‘unnatürlich’ – welche durch Beschreibungen wie „unnormal“ oder „entartet“ vollzogen wird – wird ein Feindbild konstruiert, dem die eigene Vorstellung einer „natürlichen“ und „normalen“ „Familie“, „Gemeinschaft“ und einem „Volk“ entgegengesetzt wird. Dies drückte sich während des Pride Month beim III. Weg und DIE RECHTE durch direkte verbale Abwertung von queeren und trans Personen sowie ihren Kämpfen aus.
Da Queer- und Transfeindlichkeit in der sog. „Mitte der Gesellschaft“ ebenfalls tief verankert ist, jedoch aber ein Gleichheitsgebot herrschst, ist die etwas subtiler Strategie der FJW und JA, bei welcher der Nationalstolz und die heterosexuelle Familie in den Vordergrund gestellt wird, wahrscheinlich anschlussfähiger für ähnliche Ressentiments.
Queerfeindlichkeit ist ein vernachlässigtes Grundelement rechter Ideologie, welches durch seine Anschlussfähigkeit in der gesamten Gesellschaft besonders gefährlich ist.
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