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"Pax Terra Musica" - Ein Friedensfestival?


„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“ Dieses fälschlicherweise Voltaire zugeschriebene Zitat findet in verschwörungsideologischen Kontexten seit Jahren schon Verwendung, um unliebsame Kritik zurückzuweisen und sich als Opfer eines vermeintlich undemokratischen Regimes zu stilisieren. Auch die Verantwortlichen des Festivals "Pax Terra Musica" nutzen es auf ihrer Website, um sich im Vorfeld gegen kritische Stimmen zu immunisieren und Inhalte ihres Programms zum notwendigen Bestandteil der Meinungsfreiheit zu erklären.


Das Festival findet seit 2017, mit Ausnahme von 2020-21 wegen der Corona-Schutzmaßnahmen, jährlich nahe Berlin statt. Anfängliche finanzielle Schwierigkeiten scheinen überwunden und die Veranstalter:innen erwarten ein gut besuchtes Festival mit bis zu 1500 Teilnehmenden.


Das brandenburgische Friesack wird damit erneut Ort für einen niedrigschwelligen Einstieg in die verschwörungsideologische Szene. Das Programm umfasst Workshops, Konzerte, Showeinlagen, Vorträge und einen Ausstellerbereich, in dem sich verschiedene „Alternativmedien“ und Projekte vorstellen können. Ein Kinderbereich rundet das Programm ab. Offiziell gibt sich das Festival unpolitisch und soll über vier Tage für Unterhaltung und Spaß sorgen. Doch die harmlose Außendarstellung täuscht.


Ursprung und ideologischer Hintergrund des Festivals


Der Ursprung des Events liegt in der sogenannten neuen „Friedensbewegung“, die ab 2014 anlässlich des 1. Ukraine-Kriegs mit bundesweiten Mahnwachen in Erscheinung trat. Veranstalter ist der frühere Mahnwachen-Moderator Malte Klingauf, der ab 2017 den politischen Protest durch eine Eventisierung des Geschehens zugänglicher zu gestalten versuchte, womit gleichzeitig der Bedeutungsverlust der Mahnwachenbewegung kompensiert und neue Zielgruppen erschlossen werden sollten.


Daher überrascht es nicht, dass "Pax Terra Musica" personell und inhaltlich mit den Mahnwachen fast identisch ist und heute Schnittmengen zu den Coronaprotesten aufweist. Diese Szene ist gut vernetzt und begreift sich als „Menschheitsfamilie“ - ein Begriff, der von Daniele Ganser, einer Gallionsfigur der verschwörungsideologischen Szene, geprägt wurde und sich fest etabliert hat.


In Teilen fallen die friedensbewegten Initiativen seit Jahren durch die Verbreitung von verschwörungsideologischen Inhalten mit antisemitischem Kern, pauschalem Antiamerikanismus und prorussischer Propaganda auf. Bei "Pax Terra Musica" werden auch dieses Jahr prominente Verschwörungsideolog:innen, Akteure der Corona-Proteste sowie Impfgegner:innen Vorträge halten und Workshops anbieten. Dazu gibt es musikalische Unterstützung in Form von Reggae, Truthrap, Singer-Songwriter oder Goa mit einer Nähe zu Spiritualität und Esoterik


Der Tagesspiegel hat in diesem Rahmen bereits einzelne Akteure genauer betrachtet und Verbindungen in das verschwörungsideologische Milieu aufgezeigt (2017, 2022).


Das "Pax Terra Musica" versuchte in der Vergangenheit wiederholt kritische Berichterstattung zu verhindern und inszeniert sich als Opfer einer Rufmordkampagne. Im Jahr 2019 wurde der Tagesspiegel aufgrund seiner Recherche von den Veranstaltenden verklagt. Durch diese Bemühung sollte das Presserecht eingeschränkt werden. Der Rechtsstaat hingegen hätte die Klage vor Gericht mit Berufung auf die Meinungsäußerungsfreiheit abgewiesen, weshalb sich der Veranstalter für die kostengünstigere Variante entschied und die Klage zurückzog. Es erweckt den Anschein, als ob die hier gepriesene freie Meinungsäußerung nur als inhaltslose Phrase seitens der Veranstaltenden zu verstehen ist, um eigene Inhalte zu transportieren. Diese sind häufig von Esoterik, Antisemitismus, Antiamerikanismus und verkürzter Kapitalismuskritik geprägt und richten sich gegen die Moderne.


Schon im Jahr 2017, als ein kritischer Beitrag auf der Plattform www.haGalil.com die Hintergründe des Festival offen legte, unterstellten die Organisatoren Malte Klingauf und Mathias Tretschog dem Autor Denunziationen in Form von „bewussten falschen Darstellungen, unhaltbaren Vorwürfen und Diffamierungen aller Protagonisten des Festivals“, für die die Herausgeberin der Plattform haGalil letztendlich verantwortlich sei. Auch hier lässt sich widersprüchliches Handeln feststellen: Die Frage, wie verschwörungsideologische Inhalte oder eine Täter-Opfer-Umkehr und das damit zusammenhängende Verständnis für Russlands Angriffskrieg mit den angeblichen Werten des Festivals zu vereinbaren sei, bleibt laut Tagesspiegel unbeantwortet.

Ende Juni diesen Jahres hat die Initiative „Stopp Air Base Ramstein“, die seit Jahren auf dem Festival mit vertreten ist, zu einem Friedenscamp mobilisiert. Laut Tagesschau kamen hier Putinist:innen und Aktivist:innen der Corona-Proteste zusammen. Es stand auch hier eine „Verbrüderung unter dem angeblichen Verfolgungsdruck des Staates“, d.h. eine Vernetzung der einzelnen Initiativen im Vordergrund. Aus der „neuen“ Friedensbewegung bekannte Musiker:innen wie Äon, Kilez More oder Morgaine sind omnipräsent und treten auch auf dem "Pax Terra Musica" auf.


Inhaltlich stehen Desinformationen und eine relativierende Haltung, beispielsweise gegenüber der Corona-Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine, im Vordergrund. Russland wird romantisiert und sowohl Kriegsverbrechen als auch Menschenrechtsverletzungen ignoriert. Die Vereinigten Staaten Amerikas werden dämonisiert und zum Feindbild schlechthin stilisiert. Dieses Narrativ wird mit antisemitischen Stereotypen aufgeladen und verbindet die einzelnen Akteur:innen in ihrem Weltbild. Antiamerikanismus und Antisemitismus unterliegen teilweise den selben stereotypen Feindbildern, wie beispielweise „Geld, Zins, Börse“ und werden so mit der gesellschaftlichen Modernisierung des Westens assoziiert. Dadurch entsteht ein abstraktes Prinzip, welches in einer verkürzten, personifizierten Kapitalismuskritik mündet und zur Ablehnung der Moderne führt.


Für die Veranstalter:innen sind alle auf dem Festival verbreiteten Inhalte von der Meinungsfreiheit gedeckt und zudem die Frage der Verantwortung geklärt, da sie auf das Individuum umgelenkt wird. Es wird beteuert, dass das Festival die Menschenliebe fördere und es sich bei dem Pax Terra Musica lediglich um einen Ort handele, an dem die Möglichkeit bestünde, verschiedene Ansichten und Meinungen miteinander auszutauschen und zu diskutieren. Mit einem „Statement für die Menschlichkeit“ grenzen sich Malte Klingauf und Mathias Tretschog, öffentlich von Rassismus oder „Hetze jeglicher Art“ ab. Stets betont werden Herzlichkeit und Menschlichkeit sowie der Kampf für eine nicht näher benannte bessere Welt.


Das ändert nichts an der Tatsache, dass beispielsweise Dr. Heiko Schöning, bekannt aus der Corona-Protestbewegung und einer der Initiator:innen der „Ärzte für Aufklärung“, sein Projekt „WIRKRAFT“ vorstellen wird. Der Telegramkanal des Projekts bewirbt u.a. QAnon, teilt antisemitische Propaganda und verharmlost mitunter die Verbrechen der Nationalsozialisten, indem Parallelen zu den Corona-Schutzmaßnahmen gezogen werden. Schöning fällt zudem durch regelmäßige Präsenz auf rechten bzw. verschwörungsideologischen Alternativmedien wie „AUF1“ oder „KLA.TV“ auf. Letzteres Portal geht auf den christlich fundamentalistischen Sektenführer Ivo Sasek zurück, der auch verantwortlich für die propagandistische Initiative „Anti-Zensur-Koalition“ ist, die ein Forum für esoterische, rassistische und antisemitische Inhalte bietet.


Aufschlussreich ist ein Blick in die Liste der Partner:innen und Unterstützer:innen. Beispiele sind u.a. der YouTube-Kanal „eingeschenkt.tv“ oder das Magazin „free21”. Dabei handelt es sich um Plattformen, die verschwörungsideologische Inhalte verbreiten und antisemitische Narrative bedienen. Das Online-Medium "eingeschenkt.tv", das unmittelbar aus den Mahnwachen hervorgegangen ist, ist zudem seit April 2022 Partner von Auf1, Plattform, die auf den österreichischen Rechtsextremisten Stefan Magnet zurückgeht.


Pressefeindlichkeit


Kritische Stimmen werden vonseiten des Pax Terra Musica als „mediale Kugeln“ angesehen und als Angriff auf die eigene Identität von sich gewiesen. Aufgrund des Verschwörungsdenkens liegt ein generelles Misstrauen gegenüber etablierten Medien vor, da sie auf Seiten der Verschwörung gewähnt werden. Dieses Misstrauen spiegelt sich nicht nur in der Medienwelt wider, sondern wird auf medizinische, politische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Bereiche exponiert. Dabei entstehen selbstreferenielle Systeme, die sich in ihrem eigenen Glauben stärken, sodass sich spezifische Einstellungen zu einer geschlossenen Ideologie manifestieren können und eine Denkbewegung verhindern. Die sogenannten alternativen Medien fungieren dahingehend, die gewünschte Meinung bzw. Ideologie abzubilden und sie unwidersprochen zu verbreiten. Die manifestierten Überzeugungen entziehen sich jeglicher Realitätsprüfung und sind von einer Aufklärungsresistenz gekennzeichnet, sodass die Intention bestehende Verhältnisse anzugreifen und im Bestfall zu korrigieren durch die Statik des geschlossenen Denkens verhindert wird. Generell herrscht eine pressefeindliche Stimmung wie schon bei den „Pegida“-Demonstrationen und Corona-Protesten vor.


Funktionen der Erlebniswelt im Rahmen von Protestbewegung


Das Festival dient als Vernetzungstreffen innerhalb der verschwörungsideologischen Szene und ist identitätsstiftend. Ausgelassene Stimmung, Musik, Workshops, Vorträge sowie Kinderprogramm sollen für jede:n etwas bieten und gleichzeitig den vermeintlichen Kampf für eine bessere Welt beleben. Zwischen den Zeilen oder ganz direkt werden dabei ungestört verschwörungsideologische Inhalte verbreitet und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit präsentiert. Politische Inhalte werden verkürzt transportiert und die Werbetrommel für kommende Demonstrationen der einzelnen Initiativen gerührt, um möglichst viele Personen für die eigene Sache zu mobilisieren.


Die Außendarstellung, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen mag, ist ein Trugschluss. Es kommt hier eine politische Querfront zusammen, die im konstitutiven Weltbild vereint ist und in Teilen keinerlei Berührungsängste zu Antisemitismus und Antiamerikanismus aufweist.


Der eventartige Charakter ermöglicht einen niedrigschwelligen Einstieg und ist innerhalb der Szene identitätsstiftend. Das Attraktivitätsmoment dient hier nicht als primäre Ursache für einen Einstieg, kann dabei aber als Katalysator begriffen werden, der bereits vorhandene Bedürfnisse anregt und verstärkt.


Fazit


Das Pax Terra Musica ist ein Versuch, gleichgesinnte Menschen mit korrelierenden Weltbildern zusammen zu bringen und der eigenen Bewegung Aufschwung zu verschaffen. Dabei sollen vordergründig der Dialog gefördert und Brücken zwischen einzelnen Lagern verschiedener politischer und gesellschaftlicher Akteure geschlagen werden. Das Festival dient als Vernetzungstreffen dem bloßen Selbstzweck.


Voltaire bietet hier eine Identifikationsfläche, gilt er doch als einer der wichtigsten Verfechter des 18. Jahrhunderts für Toleranz und gegen Zensur. Als solche Aktivist:innen verstehen und inszenieren sich sowohl die Veranstalter:innen als auch die Besucher:innen des Festivals teilweise. Die Beteiligten geben sich missionarisch und möchten den Rest der Bevölkerung vor den Verschwörer:innen, die den Weltfrieden verhindern, warnen sowie Mitstreiter:innen für ihren Kampf gewinnen. Dabei findet ein enormes emotionales als auch kognitives Investment statt, um die subjektive Wahrheit aufrechtzuerhalten und damit die eigene Identität zu schützen.


Zwar begreifen sich die einzelnen Akteure als Friedensaktivist:innen, weil sie sich gegen das fantasierte Übel der Welt durch ihren Protest stellen, jedoch fehlt es in Teilen an der Analyse gesellschaftlicher Veränderungen, Krisen oder ökonomischer Dynamiken.


Sowohl inhaltlich als auch personell gibt es Schnittstellen der Akteure des Pax Terra Musica zur Mahnwachenbewegung im Jahr 2014, die durch die Umdeutung zeitgenössischer Ereignisse, rechtsextreme und verschwörungsideologische Inhalten sowie einer Nähe zu Staatsleugner:innen aufgefallen ist. Über einen ausgeprägten Personenkult soll den Aktivisten:innen das Gefühl von gesellschaftlicher Tragweite vermittelt werden. Dabei lässt sich eine thematische Anpassungsfähigkeit der aktuellen gesellschaftlichen Themen feststellen. Corona, Krieg oder Klimawandel werden miteinander verknüpft und in wiederkehrenden Erzählmustern reproduziert.



Der "Pax Terra Musica"- Veranstalter Malte Klingauf 2016 auf einer Versammlung am Alexanderplatz mit Lars Mährholz und dem Truther Wojna (Die Bandbreite)

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