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Neonazi-Aufmarsch in Wunsiedel – „Heldengedenken“ des III. Wegs

Aktualisiert: 29. Nov. 2021


Pathos geladene Selbstinszenierung und Täterglorifizierung sind wahrlich keine neuen Phänomene in der rechtsextremen und neonazistischen Szene. Doch warum genau nehmen Jahr für Jahr Hunderte hierfür den Weg in die oberfränkische Provinz auf sich? Wie schon die letzten Male wurde der üblicherweise jährlich stattfindende und als „Heldengedenken” deklarierte Fackelmarsch, der seit einigen Jahren im Zeitraum um den sogenannten Volkstrauertag in Wunsiedel abgehalten wird, durch die rechtsextreme Kleinstpartei „Der III. Weg” organisiert. Dem 2013 von dem ehemaligen NPD-Kader Klaus Armstroff gegründeten III. Weg geht es dabei nicht um eine signifikante Erhöhung seiner Mitgliederzahl. Die Partei versteht sich als nationalrevolutionär und „neonazistische Elite“ (https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/die-extreme-rechte/organisation/der-dritte-weg).


Worauf die Verantwortlichen mit ihrem „Heldengedenken” abzielen, ließ sich schon im Zuge der vorangegangenen Mobilisierung nachvollziehen. So war auf der Website der Partei unter anderem zu lesen, man wolle jenen gedenken, „die für den Fortbestand [des] Vaterlandes [...] ihr Leben ließen”. Beim Blick auf den Ankündigungstext wird schnell deutlich, dass es hier um eine Täter-Opfer-Umkehr geht, die deutsche Soldaten zu Märtyrern umdeutet und auf diese Weise glorifiziert (https://der-dritte-weg.info/2021/09/13-november-2021-heldengedenken-in-wunsiedel/).


An der Veranstaltung am 13. November 2021 in Wunsiedel nahmen etwa 180 Personen aus dem rechtsextremen Spektrum teil. Zu Beginn des sogenannten „Heldengedenkens“ sammelten sich die Teilnehmer:innen an einem Stand für Heißgetränke in der in einem Wohngebiet gelegenen Goethestraße. Schnell wurde deutlich, dass sich unter ihnen auch einige Jugendliche, darunter auch mehrere junge Frauen, befanden. Bereits 2018 gab es Anzeichen dafür, dass der III. Weg gezielt versucht, Kinder und Jugendliche zu indoktrinieren und anzuwerben (https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2018/03/19/braune-erziehung-durch-den-iii-weg_25828).

Unter den Teilnehmer:innen befanden sich weiterhin die im rechtsextremen Spektrum aktive Rechtsanwältin Nicole Schneiders sowie andere rechtsextreme Kader. Begleitet wurde das Geschehen durch Musik, in deren Text Wehrmachtssoldaten zu Opfern umgedeutet wurden.


Nach den Eröffnungsreden stellten sich die Teilnehmer:innen zum Fackelmarsch auf. An der Spitze marschierte eine Person, die ein Holzkreuz mit einem aufgesteckten Wehrmachtshelm trug. Dahinter liefen Personen mit Fahnen des III. Wegs und Fackeln sowie weitere Teilnehmer:innen. Diese gespenstisch anmutende Inszenierung wurde untermalt von klassischer Musik, die in hoher Lautstärke aus einem Lautsprecher abgespielt wurde. Der Marsch durch das Wohnviertel endete schließlich wieder an der Goethestraße. Dort stellten sich die Teilnehmer:innen in einem Karree mit Fackeln und Fahnen vor dem Rednerpult auf. Neben Julian Bender, dem Vorsitzenden des Landesverbandes West, Tony Gentsch, dem Landesvorsitzenden aus Sachsen und zugleich Stadtrat aus Plauen sprach dort auch Matthias Fischer, der neu gewählte Parteivorsitzende des III. Wegs. Die Reden waren geprägt durch menschenverachtende und biologistische Inhalte. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde dazu aufgerufen, sich ab 19:30 Uhr am „Kriegerdenkmal“ in Wunsiedel zu einer Abschlusszeremonie zu versammeln, im Rahmen derer unter anderem das Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gesungen wurde.


Auffallend war das mehrfache „Anrufen“ von „Ahnen“ während der gesamten Veranstaltung, das sich auf gestorbene Personen aus dem rechtsextremen Spektrum ebenso bezog wie auf gestorbene Wehrmachtssoldaten. So wurde unter anderem der 2009 gestorbene Vorsitzende der neuheidnisch-völkischen „Deutschen Artgemeinschaft“ Jürgen Rieger „angerufen“. Rieger war ein zentraler Organisator des sogenannten Rudolf-Heß-Gedenkmarsches in Wunsiedel. Die Ideologie der „Artgemeinschaft“ ist antisemitisch, rassistisch, esoterisch und biologistisch geprägt. Ihr zentrales Motiv ist die „Ahnenverehrung“. Den „Ahnen“ wird die Bedeutung zugeschrieben, ein „genetisches Erbe“ an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben (https://de.wikipedia.org/wiki/Artgemeinschaft_%E2%80%93_Germanische_Glaubens-Gemeinschaft_wesensgem%C3%A4%C3%9Fer_Lebensgestaltung).


Obwohl die Teilnehmer:innen mehrheitlich Jacken mit einem Aufdruck des III. Wegs trugen und die Symbolik der „Artgemeinschaft“ nicht offen zu sehen war, erinnerten die Reden sowie die gesamte Inszenierung an deren Ideologie. Die Verehrung und „Anrufung“ von Toten sowie die Verklärung von Kampf und Sterben zog sich durchgängig durch das Spektakel und erinnerte an einen finsteren Totenkult. Mehrfach wurde Wunsiedel durch Redner als „Märtyrerstadt“ bezeichnet und damit als Kultort weiter festgeschrieben.

„Märtyrerstadt Wunsiedel”

Wie entwickelte sich Wunsiedel zum Ort für das „Heldengedenken“? Um diese Frage zu beantworten, gilt es, einen Blick in das Jahr 1987 zu werfen. Am 17. August verstarb damals Rudolf Heß durch Suizid im Kriegsverbrechergefängnis Berlin Spandau. Heß war während des Nationalsozialismus ein enger Vertrauter und zudem Stellvertreter von Adolf Hitler. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erlangte er durch sein fortwährendes Bekenntnis zum Nationalsozialismus den Status als Ikone der deutschen Neonazi-Szene, gerade aufgrund seiner jahrzehntelangen Haftstrafe. Kurz vor seinem Ableben hatte Heß zudem den Wunsch geäußert, im Grab seiner Eltern bestattet zu werden: auf dem evangelischen Friedhof in Wunsiedel.


Nachdem diesem Wunsch nachgekommen war, entwickelte sich die knapp 10.000 Einwohner:innen umfassende Kleinstadt zu einer Art Pilgerstätte der Neonazi-Szene in Deutschland. Schon im Jahr 1988 wurde der erste Gedenkmarsch abgehalten, organisiert durch Szene-Größen wie Michael Kühnen oder Christian Worch. Die Veranstaltung etablierte sich daraufhin schnell als zentrales Ereignis im Kalender deutscher Neonazis und so wuchs die Zahl der Teilnehmenden in den nächsten Jahren schnell in den vierstelligen Bereich. Zwar wurden ähnliche Heß-Märsche auch in anderen Städten organisiert, Wunsiedel pflegte jedoch seitdem den Ruf der „Märtyrerstadt”.


Ab 1991 wurde der Marsch in Wunsiedel verboten. Nach anfänglicher Empörung der Veranstalter und großen Protesten gegen das Demonstrationsverbot (im Jahr 1991 versammelten sich hierzu ca. 1.500 Menschen in Bayreuth), sank die Zahl der Teilnehmenden in den Folgejahren. Die rechtsextreme Szene setzte fortan auf kleinere, dezentrale Aktionen im In- und Ausland, bei denen man allerdings nicht an die erfolgreiche Mobilisierung der Anfangszeit anknüpfen konnte. Das im Jahr 2001 gekippte Demonstrationsverbot sorgte jedoch für eine Wiederbelebung des „Heldengedenkens” in Wunsiedel. In den Jahren darauf, nach der erneuten Genehmigung, reisten jeweils mehrere tausend Teilnehmende für den Rudolf-Heß-Gedenkmarsch nach Oberfranken. Seinen Höhepunkt hatte die Veranstaltung im Jahr 2004, als mehr als 7.000 Rechtsextreme und Neonazis vor Ort erschienen. Ein schließlich durch das Bundesverfassungsgericht bestätigtes Verbot sorgt seit 2005 nun dafür, dass ein offizielles Gedenken an Rudolf Heß verhindert wird. Seit 2009 gibt es Ersatzveranstaltungen in Wunsiedel rund um den Volkstrauertag, bei denen es untersagt ist, einen inhaltlichen Bezug zu dem überzeugten Nationalsozialisten herzustellen. Seit 2013 wird das „Heldengedenken” aus dem Umfeld der im gleichen Jahr gegründeten Neonazi-Partei „Der III. Weg” veranstaltet - trotz der Tatsache, dass Heß’ Grab nach Ablauf des Pachtvertrags schon 2011 aufgelöst wurde.


Das vorerst letzte „Heldengedenken” in Wunsiedel fand im Jahr 2019 statt (pandemiebedingt hat es 2020 keine entsprechende Veranstaltung gegeben). Damals folgten ca. 200 Teilnehmende dem Aufruf und zogen mit Fackeln durch die Kleinstadt. Der Organisator und damalige Parteivorsitzende des III. Wegs, Klaus Armstroff, nahm die damalige Veranstaltung unter anderem zum Anlass, das Gedenken an die Opfer des NSU anzugreifen.

Wie ist das „Heldengedenken” zu beurteilen?

Deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg waren keine „Helden”, auch wenn die extreme Rechte versucht, das so darzustellen. Zwar existierte in Deutschland lange Zeit das Bild von der sauberen Wehrmacht”, doch wurde dadurch die Beteiligung einfacher deutscher Soldaten am Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in Osteuropa und an der Shoah, der Ermordung von sechs Million europäischen Jüdinnen und Juden, ausgeblendet. Die Ausstellung „Die Verbrechen der Wehrmacht” des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) korrigierte Anfang der 2000er Jahre dieses historisch falsche Bild.


Die extreme Rechte allerdings hält weiterhin an diesem Mythos fest. Sie glorifiziert deutsche Soldaten als „Helden” und stellt die breite deutsche Bevölkerung, die das NS-Regime bis zuletzt zu großen Teilen mitgetragen hat, als „Opfer” dar. Es verwundert daher nicht, dass Neonazis vor 20 Jahren gegen die „Wehrmachtsausstellung” des HIS und die darin gezeigten historischen Tatsachen protestierten.


Im Neonazismus ist die Ideologie des Nationalsozialismus nach wie vor ein fester Bestandteil des Weltbildes. Die Verbrechen der Nazis müssen daher geleugnet oder positiv umgedeutet werden. Denn der Holocaust und die von Deutschen begangenen Verbrechen stehen einer ungebrochenen positiven Identifikation mit Deutschland im Wege. Darin liegt die ideologische Motivation des alljährlichen „Heldengedenkens” deutscher Neonazis.


In der extremen Rechten gehören die Relativierung und Leugnung des Holocaust zum festen Ideologie-Repertoire: Die tatsächlichen Zahlen ermordeter Jüdinnen:Juden werden verharmlost, die Existenz von Gaskammern wird geleugnet, der Holocaust wird als Verteidigung gegen eine angebliche Bedrohung durch „die Juden” dargestellt, Jüdinnen:Juden wird eine Mitschuld oder Beteiligung am Holocaust zugeschrieben - all dies sind rhetorische Versuche von Neonazis und Rechtsextremen, Deutschland und die Deutschen zu entlasten.


Dabei spielt Antisemitismus eine entscheidende Rolle: Jüdinnen und Juden wird unterstellt, dass sie aus der Erinnerung an die Shoah finanzielle Vorteile ziehen würden und dass sie die Deutschen mit einer „Auschwitzkeule” unterdrücken würden. Auf diese Weise knüpfen Rechtsextreme an traditionelle antisemitische Ressentiments an und versuchen, das Verhältnis zwischen jüdischen Opfern und deutschen Täter:innen umzukehren.


Im „Heldengedenken” der rechtsextremen Szene wird auch an die völkische Ideologie des Nationalsozialismus angeknüpft: Deutsche Soldaten seien im Zweiten Weltkrieg nicht bloß als Einzelne gestorben, sondern für ihr „Volk” gefallen, sie seien „die Gefallenen unseres Volkes”, wie die Neonazi-Partei „Der III. Weg” schreibt. Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht, der mehrere Millionen jüdischer und nichtjüdischer Todesopfer zur Folge hatte, war in diesem Weltbild kein beispielloses Verbrechen, sondern ein Beweis für „selbstlosen Opfermut”.


Eine weitere Strategie ist es dabei, die Deutschen als Opfer darzustellen. So „gedenken” Rechtsextreme immer wieder den Bombardierungen deutscher Städte und den dabei getöteten Zivilist:innen, wie beispielsweise jährlich in Dresden - ohne jedoch zu erwähnen, dass die Bombenangriffe durch die Alliierten eine Folge des vom Deutschen Reich begonnenen Krieges waren. In ähnlicher Weise lässt sich dies in Erzählungen über deutsche ‘Vertriebene’ beobachten.

Ausblick

Wie also deutlich geworden ist, handelt es sich bei sogenannten „Heldengedenken” folglich um kein Ereignis, das sich allein auf Wunsiedel reduzieren lässt. Zwar kommt der Kleinstadt aufgrund ihrer historischen Verbindung zum Nationalsozialisten Rudolf Heß in der Neonazi-Szene eine große Bedeutung zuteil, entsprechende Veranstaltungen finden jedoch in den Tagen rund um den Volkstrauertag in ganz Deutschland statt. Die entsprechende Rhetorik und die damit verbundene Täter-Opfer-Umkehr ist außerdem ein fester Bestandteil extrem rechter Ideologie.


Organisiert durch die neonazistische Partei „Die Rechte” wurde z.B. am 14. November in Braunschweig eine Veranstaltung unter dem Motto „Ehre, wem Ehre gebührt” begangen, die dem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS, Paul Peller, gewidmet ist. Daran nahmen insgesamt ca. 55 Personen teil. Auch in Leipzig (Junge Nationalisten Sachsen), Düsseldorf (Aktionsgruppe Düsseldorf) oder Zweibrücken (Kameradschaft Rheinhessen) fanden am gleichen Tag ähnliche Veranstaltungen statt, die durchweg durch extrem rechte Gruppierungen organisiert werden. Das sogenannte „Heldengedenken” erweist sich dementsprechend als ein fester Bestandteil der gesamten Neonazi-Szene deutschlandweit.


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