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Neonazi-Aufmarsch in Weimar am 7. August 2021 – Völkische Ideologie statt “Frieden und Freiheit”




Die Rückerlangung deutscher Souveränität, das Verhindern des Todes aller freien Völker und der Zusammenschluss der deutschen Rechten – dies waren die proklamierten Ziele einer kleinen Neonazi-Demonstration, die am 7. August 2021 in Weimar stattfand. Eingeladen hatten verschiedene Gruppen, allen voran die “Neue Stärke Erfurt”.


Bereits seit Ende Juni kursierten Plakate, Einladungstexte und martialische Videos, die Rechtsextreme aus ganz Deutschland nach Weimar mobilisieren sollten. Zu dem Zeitpunkt war für die Veranstaltung mit einem Poster geworben worden, auf dem neben den Logos kleinerer Neonazi-Gruppen auch die der NPD und der Partei “Die Rechte” zu sehen waren. Die Logos verschwanden in späteren Versionen des Posters und die Mobilisierung ging im Anschluss primär von der “Neuen Stärke” aus. Unterstützt wurde die Veranstaltung von “Die Rechte” Braunschweig/Hildesheim, der “Aktionsgruppe Dessau/Bitterfeld”, der “Kameradschaft Rheinhessen” sowie “Speerspitze Widerstand”.


Bei der “Neuen Stärke Erfurt”, die wohl nicht zufällig auch mit “NS Erfurt” abgekürzt wird, handelt es sich um eine erst seit Sommer 2020 unter diesem Namen auftretende Abspaltung der neonazistischen Kleinstpartei “Der III. Weg”. Ihre Mitglieder waren zuvor teilweise in der NPD, bei der Partei “Die Rechte” oder in anderen rechtsextremen Parteien und Gruppen organisiert.


Der Aufmarsch am 7. August startete am Weimarer Hauptbahnhof, führte wenige Kilometer durch die Stadt und anschließend auf derselben Strecke wieder zurück zum Bahnhof. In einer Rede formulierte Anmelder und “Neue Stärke”-Vorstand Michel Fischer die Ziele der Demonstration: Man wolle die Spaltung innerhalb der Rechten überwinden und die “organisationsübergreifende” Stärke bündeln für den gemeinsamen Kampf “Schulter an Schulter”. Zwar unterstützten einige Kameradschaften die “Neue Stärke Erfurt”, einen breiten Anklang über die eigenen Reihen hinaus fand die Veranstaltung jedoch nicht. Laut Polizeiangaben nahmen nur ca. 130 Personen teil.


In den Redebeiträgen wurde an vielen Stellen Bezug auf aktuelle Themen genommen. Holger Niemann von der Partei “Die Rechte” thematisierte in seiner Ansprache die Flutkatastrophe von Mitte Juli. Bei den offiziellen Opferzahlen von bislang fast 200 Toten handele es sich um “staatliche Lügen”, so Niemann. In Wahrheit seien über 2.000 Menschen ums Leben gekommen. Bei dieser Aussage handelt es sich nicht nur um eine Falschaussage, sondern auch um eine Verschwörungserzählung, die nahelegt, dass deutsche Politiker:innen und Medien die Bevölkerung über das wahre Ausmaß der Katastrophe im Unklaren ließen. Zudem bediente sich Niemann klassischer Narrative des Reichsbürgerspektrums, wonach Deutschland kein freier und souveräner Staat sei, da es keinen sogenannten “Friedensvertrag” gebe. Vielmehr sei die BRD ein “Konstrukt alliierter Herrschaft”.


Das Narrativ der vermeintlichen Nicht-Souveränität Deutschlands griff auch der Neonazi-Kader und ehemalige “Die Rechte”-Vorsitzende Christian Worch in seiner Rede auf. Die Ansprache war durchzogen von völkischer Ideologie. Er forderte das “deutsche Volk” auf, sich seiner Macht bewusst zu werden und die Staatsgewalt zurückzugewinnen. Nur so könne es wieder ein “Volk für sich” sowie ein “Volk an und für sich” werden. Dies sei derzeit nicht der Fall, da das deutsche Volk ein Volk für eine “kleine Schicht von Bonzen” sei. Der von ihm so identifizierten Elite bescheinigte er eine “sadistische Lust an der Macht”. Die aktuelle Politik und die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bezeichnete er als ihr “letztes Aufbäumen”. In einer gewaltvollen Drohung deutete er an, dass den Bonzen und den “Unterdrückern” am Ende “Stricke” drohten, sollte das deutsche Volk sich erheben.


Auch in anderen Ansprachen wurde direkt auf die Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen Bezug genommen. Jakob Brock von “Speerspitze Widerstand” sprach gar von “Euthanasie” – ein Begriff, der nicht nur aufgrund seiner Geschichte in diesem Kontext als NS-verharmlosend gelten muss. Das dahinterstehende Narrativ, wonach durch Impfungen und die Corona-Politik Menschen umgebracht würden oder in einer sonstigen Form ‘Bevölkerungskontrolle’ durchgeführt würde, gehört zu einem sehr verbreiteten in der verschwörungsideologischen Szene rund um ‘Querdenken’.


Florian Grabowski von der Neonazi-Kameradschaft Rheinhessen lobte das Ziel der Veranstaltung und forderte “alle nationalen patriotischen Kräfte” auf, in Zukunft “organisationsübergreifend […] an einem Strang” zu ziehen. Seine Rede fiel besonders durch etliche rassistische Passagen auf, in denen er sich unter anderem über Migranten und “Moscheen in jeder Stadt” ausließ und die Bundesrepublik Deutschland als “asoziales System” bezeichnete. Deutsch Bürger seien, so Grabowski, “Sklaven des Großkapitals”. Deutsche Politiker, die “Ausländer ins Land” holten, hätten “Blut an ihren Händen” und seien Verbrecher, die nicht in den Reichstag gehörten, sondern “in den Knast”. Er schloss seine Rede mit der Aussage, dass das deutsche Volk erst wieder frei sein könne, “wenn die schwarz-weiß-rote Fahne am Reichstag weht”.


Die Verweise auf “Bonzen” oder das “Großkapital” sind Teile von Versuchen, eine rechte Kapitalismuskritik zu formulieren. Diese sind typisch für die Ideologie des III. Wegs und seines Umfelds. Den Feindbildern Kapitalismus (der in antisemitischer Manier in den ‘raffgierigen Kapitalisten’ personifiziert wird) und Kommunismus (der “roten Pest”), die es beide zu “zerschlagen” gilt, wird ein dritter Weg gegenübergestellt: der “Nationale Sozialismus” oder eben Nationalsozialismus. Diese völkische Ideologie ist zumeist durchzogen von antisemitischen Stereotypen und personalisierter Kapitalismuskritik. So wird nicht ein Wirtschaftssystem als solches kritisiert; Kritik und Hass konzentrieren sich vielmehr auf die meist jüdisch konnotierte “Elite”, die wie am 7. August in Weimar mit Codes und Chiffren umschrieben wird.


Wie schon andere Redner vor ihm, fiel auch ein rechter Aktivist der Aktionsgruppe Dessau/Bitterfeld durch entmenschlichende Schmähreden gegenüber politischen Gegner:innen auf. Linke Gegendemonstrant:innen bezeichnete er unter anderem als “Gesindel” und “dreckiges Pack” sowie mit etlichen weiteren Beleidigungen, die unter seinen Kameraden für großen Applaus sorgten. Seine von gewaltsamer Sprache durchzogene Rede schloss er mit Drohungen gegen linke Aktivist:innen, dass man gegen sie “mit allen Mitteln” kämpfen werde und es passieren könne, “dass der eine oder andere dabei auf der Strecke bleibt”.


Neben den Rede-Inhalten ist auch das Auftreten der Veranstaltungsteilnehmenden zu betonen. Die “Neue Stärke Erfurt” war mit Schildern und Fahnen vor Ort, die denen des III. Weges stark ähnelten. Die Demonstranten traten überwiegend mit einheitlicher Kleidung in gewohnt martialischer Aufmachung auf. Auch die angereisten Kameradschaften gaben ein ähnliches Bild ab. Ständig wiederholte Slogans richteten sich unter anderem gegen politische Gegner:innen. Gefordert wurde in Sprechchören ein “Nationaler Sozialismus”. Viele Teilnehmende hatten Szene-typische Tätowierungen oder trugen Kleidung mit NS-verherrlichenden und anderen rechtsextremen Aufdrucken. In einer Analogie auf den NS-Propagandaslogan “Deutschland erwache” wurde zudem “Weimar erwache” skandiert.


Auffällig war der Versuch, durch den in vielen Reden wiederholten Bezug auf die Corona-Politik sowie durch Slogans, die “Frieden, Freiheit und Souveränität” forderten, auch Kreise außerhalb der kameradschaftlich organisierten extremen Rechten zu erreichen. Die Szene rund um die “Neue Stärke Erfurt” scheint hier das Ziel zu verfolgen, sich nicht nur dem Reichsbürger-Spektrum zu öffnen, sondern mit entsprechenden Narrativen auch für die verschwörungsideologische Szene interessant zu werden, die sich gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland stellt. Versatzstücke entsprechender Erzählungen aus dem Querdenken-Umfeld fanden ihren Weg in etliche der Reden in Weimar – wie der Begriff “Corona-Diktatur”.


Mit der “Neuen Stärke” scheint sich in Thüringen eine neonazistische Gruppierung formiert zu haben, die in Rhetorik und Auftreten dem äußeren Rand der extremen Rechten zugeordnet werden muss. Ihr Mobilisierungspotenzial hält sich jedoch augenscheinlich in Grenzen. Die Veranstaltung für “Frieden, Freiheit und Souveränität” am 07. August 2021 war wohl nicht der durchschlagende Erfolg, den sich Neonazi-Kader und -Kameradschaften aus dem Umfeld der “Neuen Stärke Erfurt” erhofft hatten. Die Demonstration war schlecht besucht und die gerufenen Slogans und gehaltenen Reden reproduzierten Inhalte, wie sie auf vergleichbaren Veranstaltungen seit vielen Jahren immer wieder wiederholt werden. Rassismus, Antisemitismus, völkische Ideologie, Gewaltphantasien und der Hass auf alles, was als “links” gilt, waren auch am 7.8. wieder zentrale Elemente der gehaltenen Reden. Das Ansinnen der “Neuen Stärke”, andere Akteure der extremen Rechten in Deutschland zu erreichen, kann aufgrund der ausgebliebenen Beteiligung von führenden Personen der NPD oder anderen Organisationen wohl als gescheitert bezeichnet werden. Ob der Versuch, über die extreme Rechte hinaus in verschwörungsideologische Anti-Corona-Bewegungen hinein anschlussfähig zu werden, gelingen wird, bleibt abzuwarten.


Parallel zur Neonazi-Kundgebung fanden in Weimar verschiedene Gegendemonstrationen antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Gruppierungen statt, die dem rechten Aufmarsch zahlenmäßig weit überlegen waren.


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