
„Hört, der Tag der Abrechnung ist nahe. Erinnert euch an alles, was sie uns angetan haben.“
Mit diesen Worten soll sich Mala Zimetbaum (1918–1944) von einigen Häftlingen in der Krankenbaracke in Auschwitz verabschiedet haben, bevor sie auf das Gelände des Krematoriums abgeführt und dort auf brutale Weise hingerichtet wurde. Die jüdische Widerstandskämpferin ist heute nur noch wenigen Menschen bekannt, obwohl sie vielen Häftlingen in Auschwitz zum Überleben verhalf. Heute, an ihrem Todestag, wollen wir an ihr Leben und ihre Taten erinnern, indem wir ihre Geschichte erzählen. Malka Zimetbaum, genannt „Mala“ kam am 26. Januar 1918 in der polnischen Kleinstadt Brzesko als jüngstes von fünf Kindern des Ehepaars Pinkas Zimetbaum-Hartman (1881–1943) und Chaja Zimetbaum, geb. Schmelzer (1881–1943) zur Welt. Mala wuchs in einem kleinen Stetl, einer Siedlung mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil auf. Da ihr Vater einige Jahre in Deutschland gearbeitet und die Familie bis kurz vor Malas Geburt noch in Mainz gelebt hatte, sprachen die Kinder Deutsch, Polnisch und Jiddisch.
Aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen beschlossen die Zimetbaums, ihren Heimartort Brzesko erneut zu verlassen und diesmal endgültig aus Polen auszuwandern. 1924 zog Malas Vater zunächst nach Ludwigshafen und zwei Jahre später nach Antwerpen, wo er als Hausierer arbeitete. Einige Monate später folgten ihm Malas ältere Schwester Gitla „Gusta“ und Malas älterer Bruder Salomon. Im März 1928 siedelte schließlich auch die damals zehnjährige Mala gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer vierzehnjährigen Schwester Marjem Jachwet, die von allen nur „Jochka“ genannt wurde, nach Antwerpen über.
Da ihr Vater bereits im frühen Alter erblindete und wenig Einkommen erwirtschaftete, mussten Salomon und Jochka schon als Jugendliche im Diamantengewerbe arbeiten, um die Familie miternähren zu können. Obwohl Mala eine ausgezeichnete Schülerin war, konnte sie aufgrund der finanziellen Sorgen der Familie keine höhere Schule besuchen. Stattdessen machte sie eine Ausbildung als Näherin und arbeitete bei Maison Lilian, einem großen Antwerpener Modehaus. Ihre Schwester Jochka, die die Shoah überlebte, sowie weitere Zeitzeugen, beschreiben Mala als selbstbewusste und wissbegierige Jugendliche, die gerne mit ihren Mitmenschen interagierte und diskutierte. In ihrer Freizeit unternahm Mala gerne Ausflüge mit dem Fahrrad, las viele Bücher und interessierte sich für Geschichte und Geografie.
Mala trat der zionistischen Jugendorganisation Hanoar Hatzioni bei, in der sie auch ihren Freund Charles Sand kennenlernte, mit dem sie sich gegen Ende 1940 verlobte. Früh erkannte Mala die lebensbedrohliche Situation von Jüdinnen:Juden in Belgien und baute Kontakte zu Widerstandsgruppen in Antwerpen auf. Unter anderem half sie den Brüdern von Charles dabei, in die Schweiz zu emigrieren. Am 14. April 1941 verübten Mitglieder des Vlaams Nationaal Verbond, der „Volksverwering“ und der flämischen SS einen Pogrom in Antwerpen und brannten zwei Synagogen nieder. Aus dem Fenster ihrer Wohnung beobachteten die Zimetbaums, wie das jüdische Viertel, in dem sie wohnten, von der Menschenmenge verwüstet und jüdische Geschäfte zerstört wurden. Dabei wurden Parolen wie „Jude verrecke!“ gerufen.
Aufgrund der vielen Sprachen, die sie beherrschte – Deutsch, Polnisch, Jiddisch, Französisch, Flämisch, Englisch und ein wenig Russisch –, erhielt Mala Anfang 1942 eine Anstellung als Sprachensekräterin in der American Diamond Company. Die Firma musste nur wenige Monate später aufgelöst werden, da den jüdischen Firmeninhaber:innen das Geschäft untersagt wurde. Sie wanderten in die USA aus und rieten Mala dazu, mit ihnen auszureisen. Doch weil Mala ihre Eltern nicht allein in Antwerpen zurücklassen wollte, entschied sie sich dazu, bei ihnen in Belgien zu bleiben.
1942 wurde Malas Bruder Salomon zur Zwangsarbeit an der nordfranzösischen Küste verpflichtet. Seine Söhne Max und Bernhard, die zu diesem Zeitpunkt sechs und fünf Jahre alt waren, wurden im jüdischen Waisenhaus untergebracht, während der zweijährige Herman zu seinen Großeltern kam. Nach drei Monaten Zwangsarbeit gelang es Salomon, aus dem Arbeitslager zu entkommen und rechtzeitig vor einer weiteren Verhaftung unterzutauchen.
Auch Mala überzeugte ihre Eltern davon, mit ihr unterzutauchen und organisierte mit Hilfe von Charles ein Versteck in Brüssel. Doch nur wenige Tage bevor sie mit ihren Eltern untergetaucht wäre, wurde Mala am 22. Juli 1942 während einer Razzia am Zentralbahnhof in Antwerpen verhaftet. Zunächst wurde sie nach Fort Breendonk, ein Auffanglager zwischen Brüssel und Antwerpen, und fünf Tage später in das SS-Sammellager Mecheln deportiert. Mehr als 25.000 Menschen wurden zwischen 1942 und 1944 nach Mecheln deportiert – fast alle Deportationszüge fuhren von dort aus in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in Polen.
Mala blieb einige Wochen in Mecheln, da ihr eine Arbeit in der Registrierung der im Lager eintreffenden Jüdinnen:Juden zugeteilt wurde. Ihren Posten nutzte sie dazu aus, Menschen zu helfen, indem sie Nachrichten und Wertgegenstände nach außen schmuggelte. Durch einen jungen Laufboten, der sich innerhalb und außerhalb des Lagers bewegte, übermittelte Mala ihrer Mutter Schmuckstücke von Gefangenen und dazugehörige Adressen, sodass Malas Mutter die Schmuckstücke an Angehörige der Gefangenen zurückgeben konnte. Als Mala eines Tages die Namen ihrer Neffen Max und Bernhard auf einer Liste der in Mecheln neu angekommenen Jüdinnen:Juden entdeckte, tat sie alles in ihrer Macht Stehende, um die Freilassung der beiden Kinder zu erwirken. Durch ihre guten Kontakte im Lager gelang es ihr, Max und Bernhard nach Antwerpen zu ihren Großeltern bringen zu lassen.
Giza Weisblum, eine Verwandte Malas, die die Shoah überlebte, berichtete später, dass Mala eine Flucht aus Mecheln nach Frankreich geplant hatte. Mala gab vor, Zahnschmerzen zu haben und bat um eine Erlaubnis für einen Zahnarztbesuch unter der Begleitung eines SS-Offiziers. Sie hatte es geschafft, ihrem Verlobten eine Nachricht aus dem Lager zukommen zu lassen, in der sie ihn um Unterstützung bei ihrem Fluchtversuch während des Arzttermins bat. Doch kurz bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte, wurde sie am 15. September 1942 zusammen mit 1.047 anderen Jüdinnen:Juden nach Auschwitz deportiert. Nur 17 von ihnen überlebten das Vernichtungslager.
Als der Transport nach einer zweitägigen Fahrt in einem Viehwaggon am 17. September in Auschwitz ankam, wurden 717 Menschen unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet. Mala gehörte zu den 331 Jüdinnen:Juden, die die erste Selektion überstanden und erhielt die Häftlingsnummer 19880. Aufgrund der vielen Sprachen, die sie beherrschte, bekam sie eine Arbeit als Laufbotin im Lager zugeteilt. Als Laufbotin war es Mala möglich, sich freier als andere Gefangene auf dem Lagerkomplex zu bewegen, außerdem hatte sie durch ihre Arbeit viel Kontakt zu dem SS-Wachpersonal und einen tieferen Einblick in die Hierarchien des Lagers.
Mala nutzte ihre Position und ihr Wissen dazu, anderen Menschen in Auschwitz zu helfen und überall, wo es ging, Widerstand zu leisten. In Berichten von Überlebenden, die Mala persönlich kannten, wird stets ihr Mut und ihre enorme Solidarität gegenüber Mitgefangenen betont. Für Mala spielte die ethnische Zugehörigkeit und die politische Ausrichtung der Menschen, denen sie half, keine Rolle. Ihr Ziel war es, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Als Gefangene in Auschwitz war es erforderlich, sich auf das eigene Überleben zu konzentrieren und Mala ging tagtäglich ein hohes Risiko damit ein, sich über Anordnungen der SS hinwegzusetzen.
Anna Palarczyk, Auschwitz-Überlebende und eine Freundin Malas, sagte später: „Meiner Meinung nach, bestand der Widerstand in Birkenau darin, sich einander beim Überleben zu helfen. Und Mala wollte unbedingt helfen, das war tief in ihrer Ethik verwurzelt“. Überlebende berichteten vielfach, dass Mala ihnen zusätzliches Essen, Kleidung oder Medikamente organisierte und ihnen somit das Leben rettete. Durch ihre Arbeit als Laufbotin konnte sie sich teilweise unbeaufsichtigt bewegen und tauschte heimlich Nachrichten oder Gegenstände zwischen Gefangenen in verschiedenen Lagerblöcken aus.
Die Auschwitz-Überlebende Raya Kagan schildert in einem Zeitzeugenbericht folgende Begegnung, die sie im April 1944 mit Mala hatte: „Ich eilte auf die Toilette, den üblichen Platz aller heimlichen Begegnungen und Besprechungen. Dort stand Mala, schön und groß. Sie hatte ein merkwürdig ruhiges Auftreten und erweckte sofort Vertrauen. „Deine Freundin läßt dich grüßen“, sagte sie. „Hast du sie gesehen? Wie geht es ihr?“ „Sie ist krank und liegt im Revier, in Block 18.“ „Was soll ich machen, wie kann ich ihr helfen?“, fragte ich. „Sie braucht Medikamente, Herzstärkungsmittel, Digitalis, Cardiazol.“ „Ich habe keine Medikamente“, sagte ich verzweifelt, „ich werde mich bemühen, sie zu beschaffen, aber niemand ist bereit, irgendetwas nach Birkenau zu schmuggeln, die Durchsuchungen…!“ Mala unterbrach mich mit einer Geste: „Ich werde es machen.“ Mit Mühe und Not gelang es mir, ein kleines Fläschchen des gewünschten Medikamentes zu „organisieren“, und Mala überbrachte es meiner Freundin in Birkenau.“
Wenn sie bei ihrer Arbeit mitbekam, dass wieder eine Entlausungsaktion durchgeführt werden sollte, versteckte sie Kleidung von einigen Häftlingen, damit nicht alle Kleider in das Entlausungsbad geworfen wurden. Nach dem Bad bekamen die Häftlinge ihre Kleidung nass zurück, sodass viele Menschen dadurch krank wurden. Außerdem strich sie einige Namen von den Selektionslisten und ersetzte sie durch Namen von bereits verstorbenen Lagerinsassen, um auf diese Weise einige Lebende vor der Vergasung retten zu können. Wenn sie Häftlinge für Arbeitseinsätze einteilen musste, kümmerte sie sich darum, dass den schwächsten Häftlingen eine leichtere Arbeit zugeteilt wurde und warnte Häftlinge aus dem „Krankenblock“ vor anstehenden Selektionen, sodass sie sich gesund melden konnten.
Eine Überlebende berichtet, wie Mala sie und ihre Schwägerin vor dem Tod rettete, als sie beschlossen hatten, sich aufgrund ihrer Typhus-Infektion krankzumelden: „Jemand erzählte Mala, dass wir in das Lagerkrankenhaus verlegt werden sollten, und vor den Augen der SS-Wachen schrie sie uns an: »Ihr faulen Schlampen, ihr seid absolut gesund. Geht an die Arbeit! Vorwärts!« Als wir am Abend von der Arbeit zurückkamen, erfuhren wir, warum Mala alles getan hatte, um uns vom Betreten der Station abzuhalten. An diesem Tag waren alle Menschen im Lagerkrankenhaus vergast worden.“ Fast 2.000 Frauen wurden an jenem Tag, am 12. Dezember 1943, in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Vermutlich Ende 1943 passierte etwas, das in Auschwitz nur äußerst selten vorkam: Mala verliebte sich in einen Mitgefangenen. Edward „Edek“ Galinski, geboren 1923 und polnischer Katholik, wurde bereits am 14. Juni 1940 mit einem der allerersten Transporte als politischer Häftling nach Auschwitz deportiert. Er arbeitete als Schlosser beim Bau des Lagers mit. Durch seine Arbeit hielt er sich auch in Nebenlagern von Auschwitz, wie dem Frauenlager in Birkenau, auf. Mala und Edek wurden ein Liebespaar, obwohl dies unter Gefangenen strengstens verboten war. Manchmal hatten die beiden die Gelegenheit, sich allein in einem Nebenraum der Krankenbaracke zu treffen, in dem der SS-Arzt Dr. Josef Mengele seine Röntgengeräte aufbewahrte und medizinische Experimente an Gefangenen durchführte.
Gemeinsam mit seinem polnischen Mitgefangenen Wiesław Kielar plante Edek seine Flucht aus Auschwitz. Wiesław veröffentlichte 1972 unter dem Pseudonym Anus Mundi seine Memoiren „Fünf Jahre Auschwitz“. Als Mala von dem Fluchtplan erfuhr, bat sie darum, mitgenommen zu werden. Edek war einverstanden, Wiesław jedoch hielt es für zu riskant, mit einer Jüdin zu fliehen. Schließlich entschloss sich Edek dazu, allein mit Mala zu fliehen, während Wiesław mit einem anderen Mitgefangenen nachkommen sollte. „Diese Lösung war sehr bequem für mich: Die Versuchskaninchen sollten Edek und Mala sein. Sie trugen das Risiko, und ich versteckte mich bequem hinter ihrem Rücken. Edek ließ mich nicht spüren, daß ich feige war“, erinnert sich Wiesław.
Sie arbeiteten einen Fluchtplan für Samstag, den 24. Juni 1944 aus, da sich an den Wochenenden weniger SS-Wachen im Lager aufhielten. Einige Überlebende berichteten, dass Malas Persönlichkeit im Sommer 1944, kurz vor ihrer Flucht, verändert wirkte, oft auch verzweifelter angesichts der Zunahme an ankommenden Transporten und Massenvernichtungen im Lager. Tausende ungarische Juden kamen in diesem Sommer jeden Tag in Auschwitz an und wurden vergast. „Sie war verschlossener, stiller, ernster und trauriger. Ihre Augen waren tief, als hätten sie tausende Tote in sich begraben. Aber über all der Trauer loderte hoch die Flamme des Stolzes und Hasses“, erinnert sich eine Mitgefangene an Mala.
Mala vertraute ihrer Verwandten aus Belgien, Giza Weisblum, und ihren engsten drei Freundinnen ihren Fluchtplan an. Sie halfen ihr dabei, eine Karte von Südpolen, ein unauffälliges Kleid, das sie unter einer männlichen Arbeitskleidung tragen konnte, sowie einen Passierschein aus der Verwaltung, in der eine ihrer Freundinnen arbeitete, zu beschaffen. Edek organisierte sich eine SS-Uniform.
Am Tag ihrer Flucht verwickelte Malas Freundin Herta Roth die SS-Männer aus dem Wachhaus in ein längeres Gespräch, während Mala in den Waschraum ging. Giza Weisblum beschreibt die Flucht folgendermaßen: „Aus der Ferne konnte ich sehen, wie Mala das Wachhaus verließ, gebeugt unter dem Gewicht der Waschschüssel auf ihrem Kopf, ihr Gesicht fast vollständig davon verdeckt. Draußen wartete Edek. Er hatte sich in einem Kartoffelbunker unweit des Wachhauses versteckt. Edek ließ Mala den Vortritt und folgte ihr ein paar Schritte hinterher. Das war die Prozedur für einen SS-Mann, der einen Gefangenen führte. Das Paar musste eine weitere Wache passieren, bevor Mala das Waschbecken abstellen und ihren Overall ausziehen konnte, sodass sie den Anschein erweckten, ein SS-Offizier sei mit seiner Freundin außer Dienst.“ Noch am selben Tag wurde das Verschwinden der beiden beim Appell bemerkt. Am nächsten Morgen wurden Telegramme mit Malas und Edeks Personenbeschreibung an die Polizeiposten und Kontrollstellen in der Umgebung geschickt.
Einigen Aussagen zufolge nahm Mala auch Dokumente aus dem Lager mit auf die Flucht, um der Außenwelt Beweise für die Massenvernichtungen in Auschwitz liefern zu können, gesichert ist diese Information jedoch nicht. „Malas Flucht wurde schnell zur Legende. Man flüsterte sich zu, daß Mala nicht in erster Linie deswegen geflohen sei, um ihre Freiheit zu gewinnen; maßgebend für ihren Entschluß zur Flucht soll der Wunsch gewesen sein, der Welt von dem, was in Auschwitz und Birkenau vor sich ging, Nachricht zu geben. Man sagte, daß Mala deswegen auch die letzten SS-Listen – die Verzeichnisse der »Sonderbehandelten« – von ungarischen Judentransporten aus dem Büro der Drechsler entwendet habe“, schildert Raya Kagan in ihrem Zeitzeugenbericht.
Nach 13 Tagen in Freiheit wurden Mala und Edek am 6. Juli 1944 gefasst und auf die Polizeistation in Bielsko gebracht. Laut Aussagen von Häftlingen, die in der Registratur von Auschwitz arbeiteten und Zugang zu den Akten hatten, wurden sie beim Versuch, die Grenze zur Slowakei zu überqueren, von einer deutschen Grenzpatrouille in den Beskiden gefangen genommen. Am nächsten Tag wurden sie zurück nach Auschwitz gebracht.
Mala und Edek wurden in getrennten fensterlosen Zellen im Keller des sogenannten „Block des Todes“ inhaftiert, wo sie wochenlang verhört und gefoltert wurden. Sie wussten, dass ihr Todesurteil bereits feststand, und sie schworen sich, keine Mitgefangenen zu verraten. Statt die Namen ihrer Helfer:innen zu nennen, stellten beide ihre Flucht so dar, als seien sie getrennt in SS-Uniformen geflohen. Dadurch veranlassten sie ihre Folterer zu einer Suche nach Kompliz:innen bei der SS. Mala und Edek war es möglich, ihre Aussagen aufeinander abzustimmen, da sie Helfer:innen hatten, die heimlich Nachrichten zwischen den beiden austauschten. In einer Nachricht teilte Edek seinem Freund Wiesław Kielar mit, dass er und Mala sich nicht lebendig in die Hände des Henkers begeben würden.
Am 15. September 1944 wurde Edek öffentlich im Männerlager von Auschwitz hingerichtet. Während sein Urteil verlesen wurde, legte er seinen Kopf eigenmächtig in die Schlinge und stieß den Hocker mit den Füßen ab. Die SS-Männer aber lockerten die Schlinge und stellten den Hocker wieder auf. Nachdem das Urteil zu Ende verlesen wurde und vollkommene Stille geherrscht hatte, rief Edek: „Lang lebe Polen!“, dann stieß der Henker den Hocker weg. Edek wurde nur 20 Jahre alt.
Malas Hinrichtung war für denselben Tag im Frauenlager geplant. Auch für sie wurde ein Generalappell angeordnet, damit Tausende Frauen dabei zusehen sollten, wie Mala gehängt würde. „Malas Hinrichtung sollte ein abschreckendes Beispiel für alle werden, so befahl die Lagerführerin Mandel. Diese Hinrichtung prägte sich tief in die Herzen aller Häftlinge ein, allerdings in einem anderen Sinn, als es die Mandel gewünscht hatte“, schildert Raya Kagan.
Während ihr Urteil vor allen Häftlingen vorgelesen wurde, schnitt Mala sich plötzlich mit einer Rasierklinge, die ihr heimlich jemand beschafft haben musste, eigens in ihr Handgelenk. Giza Weisblum beschreibt, dass alle Umstehenden „vor Entsetzen wie versteinert“ waren. Als ein SS-Wachmann bemerkte, dass Mala sich selbst die Pulsadern aufschneiden wollte, schlug er ihr die Rasierklinge aus den Händen. Mala schlug den SS-Mann daraufhin vor allen Anwesenden mit ihrer blutigen Hand in sein Gesicht. Die Urteilsverkündung wurde unterbrochen und die SS-Wachen prügelten auf Mala ein, brachen ihr die Hand und schlugen sie fast tot. Es herrschte Unruhe, die Häftlinge wurden in ihre Baracken zurückgeschickt und Mala wurde in die Krankenbaracke gezerrt, wo den Häftlingskrankenschwestern jedoch verboten wurde, sich um Malas Wunden zu kümmern. Die Lageraufseherin Maria Mandl soll geschrien haben: „Diese Bestie muss bei lebendigem Leibe verbrannt werden“ und befahl, Mala zum Krematorium zu bringen.
Einige Mitgefangene wurden dazu gezwungen, die bereits sterbende Mala auf einem Handkarren zum Krematorium zu ziehen. „Dann wurde sie durch das ganze Lager geführt und in eine kleine Kiste geworfen. Als man sie in der Kiste in das Krematorium gebracht hat, ist sie an unserem Bürotor vorbeigezogen. Sie war nur noch ein Klumpen. Sie hat nur noch geröchelt“, erinnert sich ein Mitgefangener. Die genauen Todesumstände Malas sind nicht bekannt, da sich die Berichte der Überlebenden voneinander unterscheiden. Laut einigen Augenzeugen verblutete sie bereits auf dem Weg zum Krematorium, andere hingegen sagten aus, dass Mala noch lebte, als sie verbrannt wurde. Wieder anderen zufolge soll ein SS-Mann sie erschossen haben. Doch alle berichten von Malas enormen Mut und ihrer Selbstbestimmtheit, mit der sie sich den SS-Männern sogar bei ihrer Hinrichtung widersetzte.
Mala und ihr Tod hinterließen ohne Zweifel einen starken Eindruck bei den Gefangenen und ihre missglückte Hinrichtung wurde unter den Häftlingen schnell zu einem Symbolbild des Widerstandes in Auschwitz.
„Es regte sich kaum noch Leben in ihrem Körper; ihr ungebrochener Geist schwebte über Birkenau als Sinnbild von Tapferkeit – von Heldentum“, beschreibt Raya Kagan Malas letzte Minuten.
Literatur:
DER SPIEGEL 11/1979: Niemand kommt hier raus – Vernichtungslager Auschwitz: Häftling Nr. 290, Wieslaw Kielar, berichtet.
Kagan, Raya (1979): Mala. In: Adler, H.G.; Langbein, Hermann; Lingens-Reiner, Ella (Hg.): Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, S.209-212.
Schwalbová, Margita (1994): Elf Frauen. Leben in Wahrheit. Eine Ärztin berichtet aus Auschwitz-Birkenau 1942–1945.
Sessi, Frediano (2019): L'angelo di Auschwitz: Mala Zimetbaum, l'ebrea che sfidò i nazisti
Sichelschmidt, Lorenz (1995): Mala. Ein Leben und eine Liebe in Auschwitz.
Comments