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Zum internationalen Frauenkampftag 2023 - Hannah Karminski

Es wird mehr denn je unsere Aufgabe sein, dieses Jüdische sichtbar und fühlbar zu machen“ - Hannah Karminski 1933

Anlässlich des internationalen Frauenkampftags widmen wir diesen Beitrag Hannah Karminski. Sie wurde am 24. April 1897 in der Spandauer Vorstadt, Berlin Mitte, geboren und wurde über den Berufsweg der Kindergärtnerin und Sozialpädagogin zur Geschäftsführerin des Jüdischen Frauenbundes (JFB). Von 1924 bis zur Auflösung des JFB 1938 war sie Mitherausgeberin der Monatsblätter. Nach dessen Auflösung war sie weiter für den Bereich der Wohlfahrt als Ausreisehelferin“ vornehmlich für alleinstehende Frauen und einige Kindertransporte in der Reichsvertretung der Juden in Deutschland zuständig. [1] Sie selbst blieb, bis zu ihrer Ermordung 1942, engagierte und widerständige Frauenrechtlerin.


Über die Kindheit von Karminski ist wenig bekannt: Sie ist die Tochter von Abraham Karminski (geboren 1861) und Selma Karminski (geborene Cohn, 1874) und hat eine zwei Jahre jüngere Schwester, Erna (geboren 1899), zu der sie eine enge Beziehung pflegte. [2] Nach Hannah Karminskis Ausbildung in Berlin 1913 kam sie nach Frankfurt am Main und begann von diesem Zeitpunkt an in jüdischen Organisationen zu arbeiten. Dadurch traf sie auf Bertha Pappenheim, mit der sie eine den Lebensweg prägende, langjährige Freundschaft einging. Durch Pappenheim kam sie auch zur Arbeit im Jüdischen Frauenbund, für die sie nach Berlin zurückkehrte. Dort war sie eine der Wenigen, die für die damalige Zeit radikale feministische Positionen vertrat: So kämpfte Karminski für eine politische wie rechtliche Gleichstellung der Frau und für gleiches Geld für gleiche Arbeit. Ihre Schriften in den Blättern des Jüdischen Frauenbundes zeugen davon.

In diesen beschreibt sie einen Zeitpunkt in der Mitgestaltung des öffentlichen Lebens, in dem Frauen direkt miteinbezogen wurden und die Frauenbewegung für sie zum Alltag dazu gehörte. [3] Interessant ist außerdem die Aufsatzreihe des JFB, in der sich die Professorin Selma Stern auf die „Jüdin der Gegenwart“ bezieht, welche sie als eine beschreibt, die die Ideen der Frauenbewegung versteht und vertritt: nämlich den revolutionäre[n] Drang der Unterdrückten, der sich gegen jede Art von Unterdrückung erhebt”. So sind Selma Stern und Hannah Karminski zufolge die Frauen und Töchter einer Gemeinschaft, die Knechtschaft und Einengung” über Jahrtausende am eigenen Leib erfahren mussten in einem Kampf ums Recht” besonders geeignete Mitkämpferinnen. [4]

Karminski betrachtet die junge Bewegung des jüdischen Frauenweltbundes als mit einer besonderen Schwungkraft und Lebendigkeit ausgestattet, voller Elan und Hingabe. Sie möchte, so wörtlich, nicht nüchtern beurteilen, welche Kraft von der Frauenbewegung ausgeht. Das sei ihr beim besten, ehrlichsten Willen“ nicht möglich. Deswegen steht sie für einen lebendigen, glühenden Funken der jüdischen Frauenbewegungen der 1930er Jahre. [5]

Zur Zeit der Novemberpogrome, am Morgen des 10. Novembers 1938, musste Karminski sich als Herausgeberin der Blätter des Jüdischen Frauenbundes, so wie alle Berliner Redakteur:innen von jüdischen Zeitschriften, im Polizeigefängnis der Alexanderstraße melden und wurde zum ersten Mal verhaftet. Auf die Verhaftung folgte das Verbot der weiteren Veröffentlichung der Schriften. Dadurch verschob sich Karminskis Arbeit: Sie war ab Dezember 1938 an der Organisation und Umsetzung von Kindertransporten, also der Rettung jüdischer oder wegen ihrer jüdischen Herkunft im nationalsozialistischen Deutschland bedrohter Kinder beteiligt und begleitete diese nach Großbritannien - kam aber jedes Mal wieder zurück nach Deutschland. Und das auch, obschon ihre Eltern und ihre Schwester sich bereits bemühten, sie zu überzeugen, ihnen in die Schweiz zu folgen. [6]

Der Jüdische Frauenbund wurde im Zuge der Novemberpogrome verboten, die Mehrzahl seiner Einrichtungen demoliert und geschlossen. Hannah Karminski setzte ihre Arbeit in der Reichsvertretung der deutschen Juden fort, welche ab 1939 der Befehlsmacht des Reichssicherheitshauptamtes unterstellt wurde und von nun an kaum mehr eigenständig agieren konnte. Karminski leitete die Abteilung der Wohlfahrtspflege und beriet vor allem alleinstehende Frauen in Auswanderungsfragen. Darin lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit zur weiblichen Selbsthilfe. Die Deportation ihrer engen vertrauten Cora Berliner (1890-1944) und der Lebensgefährtin Paula Fürst (1894-1942) im Frühsommer 1942 ließ Hannah Karminski verzweifeln und trauern, dennoch schreibt sie: Aber, da man mit Menschen zu tun hat, gibt es hin und wieder Augenblicke, in denen das Noch-Hier-Sein sinnvoll scheint - und das muß als ‘Befriedigung’ genügen“. [7] In vielen Briefen verlieh Karminski ihrem Schmerz und ihrer Trauer Ausdruck. Außerdem beschreibt sie, dass die Jahre, die sie mit Paula Fürst in der gemeinsamen Wohnung verbracht hat, zu den glücklichsten ihres Lebens gehörten. Diese Beziehung und die weiteren Frauenfreundschaften mit Cora Berliner und Hildegard Böhme (1884-1943), die sich über das soziale und politische Engagement ergeben hatten, ermöglichten ihnen ein starkes Netz des Zusammenhalts, über das viele männliche Kollegen in dieser Weise nicht verfügten.

Am 9. Dezember 1942 wurde Hannah Karminski von Berlin aus mit 1.000 anderen Gefangenen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ottilie Schönewald (1983-1961), selbst jüdische Frauenrechtlerin des JFB, die die Verfolgung überlebt hat, sagte über Hannah Karminski, sie habe ganz gewiss einen ‘Frauenbund’ in sich selbst repräsentiert“.[8] Dieses ungebrochene, solidarische Engagement kostete Hannah Karminski und viele weitere Freundinnen und Mitstreiterinnen im jüdischen Frauenbund wegen der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie ihr Leben.

Die Biografie von Hannah Karminski und die heutzutage bedrohliche Lage für Frauen weltweit geben uns Anlass im Rahmen des internationalen Frauenkampftages zu betonen, wie wichtig Archive zur Sichtbarkeit der Widerständigkeit des Frauenkampfes und der Frauenarbeit sind und deren Ausbau weiter zu fordern. Ohne diese Zeugnisse, ohne das Wissen über die Geschichte der Frauenkämpfe lässt sich nicht an diese erinnern. Es besteht ein enormer Forschungsbedarf gegenüber den Biografien der Akteurinnen der jüdischen Frauenbewegung in Deutschland. Diesen Bedarf können symbolische Praxen wie die der Straßenumbenennungen – seit 2002 befindet sich in Berlin-Charlottenburg beispielsweise die Hannah-Karminski-Straße – alleine nicht decken.


Quellen:

[1] Leo Baeck Insitute und Walk, Josef. 2014 [1988]. Kurzbiographien zur Geschichte der Juden: 1918-1945. Berlin: De Gruyter. S. 184.


[2]Maierhof, Gudrun. 1999. Hannah Karminski. For the Shalvi/Hyman Encyclopedia of Jewish Women. https://jwa.org/encyclopedia/article/karminski-hannah (zuletzt abgerufen am 07.03.2023).


[3]Karminski, Hannah. 1929. Internationale jüdische Frauenarbeit. Der Morgen, Jg. 5. Heft Nr. 3. Berlin: Philo Verlag. S. 280.


[4]Karminski, Hannah. 1929. Internationale jüdische Frauenarbeit. Der Morgen. Jg. 5. Heft Nr. 3. Berlin: Philo Verlag, S. 281.


[5]Karminski, Hannah. 1929. Internationale jüdische Frauenarbeit. Der Morgen. Jg. 5. Heft Nr. 3. Berlin: Philo Verlag. S. 287.


[6]Maierhof, Gudrun. 2004. Die Seele des Frauenbundes”. Hannah Karminski 1897-1942. Jüdisch-sein, Frau-sein, Bund-sein: der Jüdische Frauenbund 1904-2004. Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte. 20(2004) 45/46. Kassel: Archiv der deutschen Frauenbewegung e.V.. S. 112f.


[7]Maierhof, Gudrun. 2004. Die Seele des Frauenbundes”. Hannah Karminski 1897-1942. Jüdisch-sein, Frau-sein, Bund-sein: der Jüdische Frauenbund 1904-2004. Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte. 20(2004) 45/46. Kassel: Archiv der deutschen Frauenbewegung e.V.. S. 114.


[8]Maierhof, Gudrun. 2004. „Es bleibt uns Frauen nur übrig, unsere Pflicht zu tun!” Weibliche Selbsthilfe im Jüdischen Frauenbund in Nazideutschland. Jüdisch-sein, Frau-sein, Bund-sein: der Jüdische Frauenbund 1904-2004. Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte. 20(2004) 45/46. Kassel: Archiv der deutschen Frauenbewegung e.V.. S. 54.


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