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In Gedenken an den Terroranschlag in Christchurch am 15. März 2019



Heute vor drei Jahren, am 15. März 2019, wurde ein Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch, Neuseeland verübt, während dort die Freitagsgebete stattfanden. Dabei wurden 51 Menschen ermordet und 50 weitere verletzt. Das jüngste Opfer war drei Jahre alt, das älteste 77. Es war und ist weiterhin der größte Anschlag in Neuseelands Geschichte.


Die Masjid-al-Noor-Moschee im Zentrum war das Hauptziel, aber auch im Linwood Islamic Centre wurden weitere sieben Menschen ermordet. Die Menschen, die sich zu dieser Zeit in den Moscheen befanden, gehörten zur muslimischen Minderheit in Neuseeland, welche aus ungefähr 50.000 Muslim:innen besteht. Die meisten von ihnen sind Neuseeländer:innen, Einwander:innen aus Bangladesch, Pakistan und Syrien, viele darunter sind auch Geflüchtete. Eine von der BBC erstellte Galerie versucht den Opfern auf individuelle Art und Weise mit Namen und Bildern zu gedenken.


Herauszustellen ist ebenfalls, dass der Täter die Tat filmte und die Videos live im Internet übertragen wurden. In Zeiten der rasend schnellen Verbreitung von Videos und Bildern stellt das eine große Problematik dar, da sich so schneller Nachahmer:innen finden und Falschnachrichten einfacher entstehen und weitergetragen werden können. Die Darstellung der Tat im Internet und das Manifest deuten auf einen gamifizierten Terrorismus hin, welcher sich auch beim Attentat in Halle findet: Es findet hierbei eine erschreckende Wechselwirkung zwischen sozialen Medien, Spielekultur und rassistischen und antisemitischen Ideologien statt. Der Resonanzraum Gaming- und Internetkultur verbindet sich hier also mit rechtsextremen und gewalttätigen Ideenwelten, es zählt insbesondere die Livestream-Übertragung, der Bodycount sowie die vermeintliche Qualität der Durchführung der Hassverbrechen.


Das Motiv des Täters wurde durch verschiedene Einflüsse geprägt. Unter anderem nahm sich der Attentäter serbische Kriegsverbrecher zum Vorbild, die einen Krieg gegen die Bosniak:innen – die muslimische Bevölkerungsgruppe Bosnien-Herzegowinas – führten und in Srebrenica einen Genozid an ihnen verübten. Auch ist die Überzeugung des Täters, es würde eine Auslöschung des europäischen Volkes durch “Invasoren” stattfinden, zu denen angeblich Muslim:innen, Schwarze Menschen und Juden:Jüdinnnen zählen, in seinem Pamphlet erkennbar. In diesem Verständnis werden multikulturelle Gesellschaften als Bedrohung wahrgenommen, gegen die es vorzugehen gilt. Auch ist in der Durchführung des Anschlags wie auch in der Motivation ein Zusammenhang zu dem rechtsterroristischen Anschlag am 22. Juli 2011 in Oslo und Utøya zu erkennen, dessen Täter eindeutig rechtsnational, extremistisch, demokratie-feindlich und anti-islamisch eingestellt war. Innerhalb kurzer Zeit nach dem Anschlag gestand der Täter in allen Anklagepunkten und wurde zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit einer früheren Entlassung verurteilt.


Auch heute ist das Attentat noch sehr prägend für Christchurch und hat weitreichende Konsequenzen nach sich gezogen. Unter den Überlebenden und Angehörigen der Opfer sind viele traumatisiert und die Angst vor einem weiteren Anschlag ist für viele sehr greifbar. Zudem wurde auf den Anschlag folgend das Waffengesetz in Neuseeland stark verschärft, da besonders oft auf die Frage hingewiesen wurde, wie der Täter an ein ganzes Arsenal an hochgefährlichen Waffen kommen konnte. Außerdem fand eine mediale Thematisierung bezogen auf den Umgang der sozialen Medien mit dem Anschlag statt. Durch die schnelle Verbreitung der Videos und Bilder des Massakers ist es in diesem Kontext besonders wichtig, den Einfluss und die damit einhergehende hohe Verantwortung der Plattformen zu thematisieren. Allein auf Facebook kursierten nach dem Anschlag 1,5 Millionen Kopien des Tatvideos, die in den 24 Stunden nach dem Anschlag aber auch gelöscht wurden.


Nur wenige Minuten, bevor er in die Al-Noor-Moschee eindrang und das Massaker verübte, verschickte der Täter, unter anderem auch an die neuseeländische Ministerpräsidentin Jacinda Ardern, ein Pamphlet mit dem Titel “The Great Replacement”. In diesem bekannte er sich offen als ein Anhänger der Verschwörungsideologie des “Großen Austausches”. Diese rechtsextreme Ver-schwörungsideologie unterliegt der Annahme, dass die weiße Bevölkerung durch die Migration von Geflüchteten und anderen Zuwander:innen ausgetauscht werden soll. In dieser Vorstellung lenke eine geheime Weltelite die weltweiten Fluchtbewegungen, um den Globalen Norden zu schwächen und die weiße Bevölkerung auszutauschen, um so eine vermeintlich lenkbare Masse zum Regieren zu erzeugen. Neben “den Eliten” ist auch oft von “Globalisten” die Rede, da auch die Globalisierung und die mit ihr einhergehende kulturellen und wirtschaftlichen Verflechtungen zu einem Feindbild erklärt werden. Die globale rechtsextreme Bewegung sieht sich in einem Kampf gegen den angeblichen Untergang der westlichen Kulturen durch Überfremdung.


Auch die Verschwörungsideologie des großen Austausches ist, wie die meisten Verschwörungsideologien, strukturell antisemitisch. In dem Kontrast zwischen “global agierend” und “heimatverbunden” liegt der Topos der ‚heimatlosen Juden‘, die alle anderen heimatlichen Völker zerstören möchten. Es wird auf die jüdische Welt-verschwörung angespielt, wobei “Die Eliten” und “Globalisten”, als antisemitische Chiffren für Juden:Jüdinnen verwendet werden. Im Zentrum der Verschwörungs-ideologie des großen Austausches stehen vor allem der US-amerikanische Investor George Soros und die Familie Rothschild, deren Namen als Codes für eine angeblich jüdische Weltverschwörung genutzt werden. Der Kreis der angeblich Beteiligten, die den großen Austausch planen und durchführen, wird jedoch ständig erweitert.


Seinen Ursprung findet die Verschwörungsideologie des großen Austausches bereits kurz nach 1945, als ehemalige Angehörige der Waffen-SS die angebliche Nachricht verbreiteten, dass Europa von Schwarzen und Asiaten – den amerikanischen und russischen Soldaten – “kolonialisiert” würde und jüdische Drahtzieher hinter diesem geplanten “großen Austausch” stecken würden. Durch eine neue Widerstandsbewegung müsse Europa von der Besatzung befreit werden.


Der Ausdruck “der große Austausch” wurde durch das gleichnamige 2011 erschienene Werk des rechtsextremen französischen Schriftstellers Renaud Camus geprägt. In seinen Schriften behauptet er, dass die Regierungen der westlichen Staaten eine Auflösung ihrer Völker planen und dies mittels ihre Migrations- und Asylpolitik durchführen. Innerhalb rechtsradikaler Szenen finden seine Schriften eine weite Verbreitung, da der sogenannte „Ethnopluralismus“ und die damit verbundene Globalisierungsskepsis zentrale Ideologiefragmente der Rechten sind.


Im letzten Kapitel seines Werkes schreibt Camus: “Wenn ihr wie ich der Überzeugung seid, dass das bei weitem wichtigste Problem unserer Zeit die Auflösung der Völker und der Zivilisation ist, die Eroberung durch ethnische Überschwemmung, der Große Austausch: Wenn ihr aus ganzem Herzen und mit allen Fasern eures Seins die Kolonisation unseres Vaterlandes und Europas ablehnt, dann revoltiert!”


An diesen Erläuterungen wird die Gefahr an Verschwörungsideologien deutlich, da solche grausamen Taten davon angestiftet werden. Der Terroranschlag in Christchurch war nicht nur das Attentat eines Einzeltäters, sondern das Produkt einer globalen neofaschistischen Bewegung, die sich in ihrem Verschwörungsglauben in einem Kulturkampf sieht.

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