“Tretet in Kliniken, Heimen und Praxen für fünf Minuten ans Fenster, trinkt eine Tasse Kaffee oder raucht eine Zigarette, winkt hinaus. Auf der Straße davor werden sich Eure Unterstützer aus der Bevölkerung zeigen. Nach 16 Uhr trifft man sich sich vielerorts dann zum montäglichen Spaziergang, dem sich alle anschließen können.”
Der Ankündigungstext des “Impfstreik Bündnis Deutschland” liest sich auf den ersten Blick beinahe unscheinbar. Für Montag, den 28. Februar, ruft ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen, Medieneinrichtungen und Institutionen ab 16 Uhr zu einem bundesweiten 5-Minuten-Impfstreik auf. Adressiert werden in erster Linie Angestellte in der Pflege, in Kliniken, in Heimen und in medizinischen Praxen. Die “symbolische Aktion” verfolgt das Ziel, ein “Warnsignal” an “die Politik” zu senden. Zudem soll sie erst den Auftakt einer “große(n) und länger dauernde(n) Arbeitsniederlegung” darstellen.
Nun ist einleitend zu betonen, dass die genannte Berufsgruppe schon seit Jahren mit prekären Arbeitsbedingungen konfrontiert ist. Daran haben auch die zahlreichen Hilferufe diverser Einzelpersonen, Einrichtungen oder Expert:innen vor und während der anhaltenden Pandemie nichts geändert. Solidarische Aktionen oder Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen sind dementsprechend dringend notwendig. Die Aktion des “Impfstreik Bündnis Deutschland” jedoch verfolgt ein anderes Ziel.
Betrachtet man die am Bündnis beteiligten Akteure, so zeigt sich: Der Aufruf wurde von verschiedenen Organisationen und Einrichtungen gestartet, die während der letzten zwei Jahre maßgeblich an den Corona-Protesten bzw. an der Verbreitung von Verschwörungsideologien und Desinformation involviert waren. Neben den rechtsextremen Nachrichtenplattformen Compact Magazin, PI News und der rechtsextremen Partei “Freie Sachsen” beteiligen sich zudem die “Alternative Gewerkschaft Zentrum” und der “Demokratische Widerstand” an dem sich nach außen hin als bürgerlich inszenierten Zusammenschluss. Der Aufruf wird außerdem unterstützt durch Initiativen wie die sog. “Ärzte für Aufklärung” und einzelnen AfD-Politiker:innen.
Das Ziel der Beteiligten ist klar: Auf diese Weise soll sich solidarisch mit Beschäftigten im Gesundheitswesen gezeigt werden. Das unterstreichen die im vorhinein veröffentlichten Appelle. Oliver Hilburger etwa, Vorsitzender der “Alternative Gewerkschaft Zentrum” und unter anderem ehemaliger Gitarrist der rechten Band “Noie Werte”, betont in einem Mobilisierungsvideo auf dem Telegram-Kanal des Bündnisses vom 21. Februar: “Zeigt Solidarität gegen Berufsverbote, für eine freie Impfentscheidung und bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Und für ein Gesundheitssystem, bei dem der Mensch und nicht das Kapital im Mittelpunkt steht.” Auch Jürgen Elsässer, Chef des Compact Magazins, spricht in einem dreiminütigen, mit dramatischer Musik untermalten Aufruf davon, die Impflicht für das Gesundheitswesen könne nur dann verhindert werden, “wenn die Beschäftigten jetzt aktiv” würden. An anderer Stelle heißt es von Anselm Lenz (“Demokratischer Widerstand”): “Kommt auf die Gewinnerseite und lasst euch so feiern von uns allen wie es euch wirklich gebührt.”
Die Aktion stellt sich mit der gewählten Wortwahl vermeintlich in den Dienst der Pflegekräfte und somit in den Dienst derer, die besonders unter der Pandemie und den Auswirkungen auf das Gesundheitssystem leiden. Statt sich jedoch konkret für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen oder eine bessere Bezahlung einzusetzen, wird die möglicherweise bevorstehende Impfpflicht genutzt, um die Adressat:innen gegen die politisch Verantwortlichen anzustacheln. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird als vermeintliches Instrument der Regierung dargestellt, das angeblich zum Kollaps des Gesundheitswesens führen soll. Zudem sei das angebliche Ziel, einen Notstand zu erzeugen. Dieser solle dann – so die Beteiligten – wiederum als Argument dienen, den “Impfzwang für die gesamte Bevölkerung” durchzusetzen.
Des Weiteren werden gezielt Politiker:innen adressiert. Auf der Website des Bündnisses etwa heißt es: “Die Extremisten um Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach halten an der Impfpflicht für das Gesundheitswesen (ab 15. März) mit Zähnen und Klauen fest.” Ferner wolle Lauterbach so das “Haus anzünden, damit er Feuerwehr spielen kann!” Bei der diskutierten Impfpflicht handele es sich außerdem um ein gezieltes Instrument, die eigenen Interessen durchzusetzen. Durch die gewählten Worte werden einerseits Falschinformationen verbreitet und andererseits die Adressat:innen gegen Politiker:innen und Entscheidungsträger:innen aufgehetzt. Personen wie Karl Lauterbach dienen seit Beginn der Protestbewegung als Zielscheibe und erhalten Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen. Die vorgeschobene Solidarität verfolgt somit allein das Ziel, die eigene demokratiegefährdende Agenda voranzutreiben.
Bekannte Strategie
All diese Inszenierungen sind keineswegs neu. Um sich dessen bewusst zu werden, muss man nicht lange zurückblicken. Während die Corona-Maßnahmen im vergangenen Sommer weitestgehend aufgehoben wurden, fand die rechte bzw. rechtsextreme Szene in der Flutkatastrophe im Ahrtal eine andere Krise, im Zuge derer sie sich als bürgernah und empathisch inszenieren konnte. Nach eigenen Angaben eröffnete das Compact Magazin damals gar ein Büro vor Ort und brachte Hilfsgüter im Wert von 7000 Euro in die Region. Anlass genug für Chefredakteur Jürgen Elsässer, sich mit hochgekrempelten Ärmeln und Bohrmaschine als Anpacker ablichten zu lassen. Die dabei kommunizierte Message ist eindeutig: “Wir sind für Euch da”.
(Screenshot Compact Magazin)
Zur selben Zeit unterstützte die Partei “Freie Sachsen”, wie auch andere Organisationen und Einzelpersonen aus dem rechtsextremen Spektrum, die Fluthilfe der Initiative Leisnig.info, die der verschwörungsideoligischen Szene zuzuzählen ist. Nach Angaben der Partei wurden innerhalb weniger Tage insgesamt fünf Fahrzeuge organisiert, um Sachspenden in die Flutregion zu transportieren. Ob diese tatsächlich ankamen, ist ungewiss.
Es zeigt sich, dass die genannten Akteure die in Teilen dramatische Situation von Menschen oder gesamten Berufsgruppen in Krisensituationen instrumentalisieren und auf unterschiedliche Weise für ihre Zwecke nutzen. Sie versuchen durch entsprechende Aktionen ihr Image aufzupolieren und inszenieren sich als bürger:innennahe Helfer:innen in Krisen. Dadurch wir das Ziel verfolgt, diejenigen Menschen für ihre Politik zu gewinnen, die sich gesellschaftlich im Stich gelassen fühlen. Bei dem angekündigten Impfstreik handelt es sich folglich um keine solidarische Aktion, sondern um einen strategischen Versuch, sich als Freund und Helfer zu inszenieren und somit Ängste und Sorgen für die eigene Agenda zu instrumentalisieren.
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