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In Gedenken an die Widerstandskämpferin Hannah Szenes



Mein Gott, mein Gott,

lass niemals enden,

den Sand und das Meer,

das Rauschen des Wassers,

das Leuchten des Himmels

und das Beten des Menschen.

Dies ist die erste Strophe des Gedichts „Ein Spaziergang nach Caesarea“, das die jüdische Widerstandskämpferin Hannah Szenes 1942 verfasste. Bereits 1945 wurde das Gedicht von dem israelischen Komponisten David Zehavi vertont und wird heute häufig bei Gedenkveranstaltungen am Jom haScho’a, dem nationalen israelischen Holocaust-Gedenktag gespielt. Während die Erinnerung an Hannah Szenes in Israel sehr präsent ist, ist die jüdische Widerstandskämpferin in Deutschland weitestgehend unbekannt.

Hannah Szenes wurde am 17. Juli 1921 in Budapest geboren. Ihr Vater, Béla Szenes (1894–1927), war ein bekannter Schriftsteller und Dramatiker, der vor allem Kinderbücher verfasste. Kurz bevor Hannah sechs Jahre alt wurde, starb ihr Vater bereits im Alter von 33 Jahren an einem Herzinfarkt. Nach seinem Tod wurden seine Werke jedoch weiterhin inszeniert, sodass die Familie Szenes in keine finanziellen Schwierigkeiten geriet.


Bereits in ihrer Kindheit beschäftigten sich Hannah und ihr ein Jahr älterer Bruder György viel mit Musik und Literatur. Noch bevor Hannah schreiben lernte, diktierte sie ihrem Bruder Gedichte und Lieder, die ihre Großmutter für sie in einem Notizbuch aufbewahrte.


Als Hannah schreiben lernte, gab sie mehrere Monate lang eine eigene Zeitung für ihre Familie heraus, die sie „Kis Szenesek Lapja“ („Die Zeitung der kleinen Seneshes“) nannte. Hannah tippte die Zeitung auf einer Schreibmaschine und illustrierte sie selbst. Als Jugendliche begann sie, Tagebuch zu schreiben und träumte davon, Schriftstellerin zu werden.


Da die Familie Szenes assimiliert lebte, bekam ihre jüdische Identität für Hannah erst eine wichtige Bedeutung, als sie auf der christlichen Mädchenschule, die sie besuchte, mit Antisemitismus konfrontiert wurde. Besonders ein Vorfall im Jahr 1937 prägte sie sehr: Hannah wurde von ihren Mitschüler:innen in die literarische Gesellschaft der Schule gewählt. Doch schon bei der ersten Sitzung wurde Hannah von der Schulleitung mitgeteilt, dass das Amt, in das sie gewählt worden war, nicht von jüdischen Schüler:innen besetzt werden dürfe und es eine Neuwahl geben werde.

Laut Hannahs Mutter, Katherine Szenes, veränderte sich Hannah zu diesem Zeitpunkt. Sie begann, Hebräisch zu lernen und viele Bücher über das Judentum und Zionismus zu lesen. Auch dadurch, dass ihre Oma verstorben und ihr Bruder für sein Studium nach Frankreich gezogen war, wurde Hannahs Wunsch, Ungarn zu verlassen und stattdessen in Palästina zu leben, immer stärker. Im Alter von 17 Jahren trat sie der zionistischen Jugendbewegung Maccabea bei und wandte sich an ein Büro der WIZO (Woman‘s International Zionist Organization), das ihr zur Einwanderung nach Palästina verhalf. Ihrer Mutter fiel es sehr schwer, Hannah gehen zu lassen, respektierte ihre Entscheidung allerdings letztendlich.


Nach ihrem Schulabschluss emigrierte Hannah schließlich im September 1939 nach Palästina und besuchte dort zwei Jahre lang eine Landwirtschaftsschule in Nahalal, einem Moschaw in der Nähe von Nazareth. Der Abschied von ihrer Mutter fiel auch Hannah sehr schwer und die harte landwirtschaftliche Arbeit war ungewohnt für sie. In ihrer Freizeit führte sie weiterhin Tagebuch und schrieb Gedichte, von dort an auch in hebräischer Sprache.


Im September 1941 besuchte Hannah den ungarisch-israelischen Schriftsteller Avigdor Hameiri (1890–1970), der bereits 1921 nach Palästina ausgewandert war und in Ramat Gan lebte. Avigdor Hameiri und Béla Szenes waren gut miteinander bekannt gewesen, und die ersten Worte, die er zu Hannah sagte, waren, dass sie „genauso wie ihr Vater aussehe“. Er war sehr glücklich darüber, Hannah zu sehen und erzählte ihr von vielen seiner Erinnerungen an ihren Vater. Er betonte, wie sehr er seine Theaterstücke mochte, aber teilte ihr auch mit, dass der humoristische Stil, in dem Béla Szenes seine Theaterstücke verfasst hatte, nicht in die heutige Zeit nach Palästina passen würden und es somit schwer sein würde, die Stücke aufzuführen. Hannah trug ihm zwei ihrer eigenen Gedichte vor, wobei sie vorgab, eine Freundin von ihr habe die Gedichte verfasst. Avigdor Hameiri war begeistert von ihrem Schreibstil und schlug ihr vor, eines der Gedichte in seiner Zeitung zu veröffentlichen. Hannah lehnte dies jedoch ab. In ihrem Tagebuch erläuterte sie, dass es sich für sie nicht wie der richtige Zeitpunkt für eine Veröffentlichung anfühlte und es für sie nur wichtig gewesen sei, sich die neutrale Meinung eines Schriftstellers über ihre Lyrik einzuholen.


Nach Abschluss ihrer zweijährigen Ausbildung in Nahalal trat Hannah dem Kibbuz Sdot Yam bei, der an der Mittelmeerküste südlich von Haifa liegt. Hannah arbeitete in der Küche und in der Wäscherei des Kibbuz.


Als die Nachrichten über die fortschreitende Judenvernichtung den Kibbuz Sdot Yam erreichten, war Hannah zutiefst erschüttert. Auch die Tatsache, dass ihre Mutter noch immer in Ungarn war, besorgte sie sehr und sie verspürte zunehmend den Wunsch, nach Ungarn zurückzukehren, um Jüdinnen:Juden zur Flucht nach Palästina zu verhelfen. Kurze Zeit später erfuhr Hannah, dass der Palmach, eine paramilitärische Einrichtung der jüdischen Untergrundorganisation Hagana zur Selbstverteidigung der Kibbuzim, eine Rettungsmission vorbereitete. Hannah meldete sich zunächst bei dem Palmach und 1943 schließlich auch bei der britischen Armee.


Zur selben Zeit bereitete sich György auf die Einwanderung nach Palästina vor, wo er sich ebenfalls einem Kibbuz anschließen wollte. Im Dezember 1943 schrieb Hannah in einem Brief an ihren Bruder:

„Übermorgen beginne ich etwas Neues. Vielleicht ist es Wahnsinn. Vielleicht ist es fantastisch. Vielleicht ist es gefährlich. […] Ich muss mich auf den Moment vorbereiten, in dem du an der Landesgrenze ankommst und auf den Moment wartest, in dem wir uns nach sechs Jahren wiedersehen und du fragen wirst: ‚Wo ist sie?‘, und sie dir unvermittelt antworten werden: ‚Sie ist nicht hier.‘ Ich frage mich, wirst du das verstehen? Ich frage mich, ob du mir glauben wirst, dass es mehr ist als ein kindlicher Wunsch nach Abenteuer, mehr als jugendliche Romantik, die mich angezogen hat? Ich frage mich, ob du das Gefühl haben wirst, dass ich nicht anders konnte, dass es etwas war, das ich tun musste?“


Doch als György schließlich Anfang 1944 die Einreise nach Palästina gelang, traf Hannah ihren Bruder direkt nach seiner Ankunft in Tel Aviv. Es war das letzte Mal, dass Hannah und György sich sahen. Kurz darauf verließ Hannah Palästina. Ihr Tagebuch und andere persönliche Schriften übergab sie dem Kibbuz Sdot Yam, wo diese in einem Lagerhaus für sie aufbewahrt wurden.


Als Mitglied der „Woman’s Auxiliary Air Force“, wurde Hannah gemeinsam mit 36 weiteren Frauen und Männern in Kairo zur Fallschirmspringerin ausgebildet. Als Offizierin im Geheimdienst sollte Hannah mit dem Fallschirm über Europa abspringen, um sich dort Partisanengruppen anzuschließen.


Im März 1944 sprang Hannah über der italienischen Stadt Bari ab, von wo aus sie sich gemeinsam mit drei weiteren Fallschirmspringern, Abba Berdichev, Reuven Dafni und Yona Rosen, nach Jugoslawien absetzte. Etwa drei Monate hielt sich Hannah bei verschiedenen Partisanentruppen auf, bis sie am 7. Juni 1944 die Grenze nach Ungarn überschritt. Kurz vor ihrer Einreise nach Ungarn verfasste sie das Gedicht „Gesegnet sei das Streichholz“ und gab es einem ihrer Kameraden, den sie darum bat, es für den Fall, dass sie sterben würde, aufzubewahren.

Gesegnet sei das Streichholz, verzehrt

in der entfachten Flamme.

Gesegnet sei die Flamme, brennend

im Geheimnis des eilenden Herzens.

Gesegnet sei das Herz mit Stärke,

sein Schlagen um der Ehre willen anzuhalten.

Gesegnet sei das Streichholz, verzehrt

in der entfachten Flamme.

Noch am selben Tag, an dem Hannah die Grenze nach Ungarn überschritt, wurde sie von der ungarischen Polizei gefangen genommen und in ein Gefängnis in Budapest inhaftiert. In den nächsten fünf Monaten wurde Hannah schwer gefoltert, doch sie gab keine Informationen über ihre Kamerad:innen an die Polizei weiter. Nachdem sie in einem Prozess wegen Landesverrats zum Tode verurteilt worden war, wurde Hannah schließlich am 7. November 1944 im Alter von 23 Jahren ermordet. Ihre sterblichen Überreste wurden 1950 nach Jerusalem gebracht und dort auf dem Militärfriedhof beerdigt.


Nach ihrem Tod wurde ein Notizzettel in ihrer Kleidertasche gefunden, auf dem Hannah einen Abschiedsbrief an ihre Mutter geschrieben hatte: „Liebe Mutter, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich will nur sagen: Tausend Dank und mehr, und vergib mir, wenn du kannst. Schließlich wirst du besser als jeder andere verstehen, dass Worte jetzt nicht notwendig sind. In großer Liebe, deine Tochter.“


Hannahs Mutter überlebte die Shoah und emigrierte im Oktober 1945 zu ihrem Sohn nach Palästina, wo sie 1992 im Alter von 96 Jahren verstarb. David Szenes, Hannahs Neffe, berichtet, dass seine Erinnerungen an die gemeinsamen Treffen seines Vaters und seiner Großmutter ausschließlich durch Gespräche über Hannah geprägt sind.

Susan Beer, eine ehemalige Mitgefangene Hannahs, besuchte Katherine Szenes in ihrem Haus und beschrieb, dass in jedem Zimmer unzählige Bilder von Hannah hingen: „Es sah aus wie ein Schrein. Ihr ganzes Leben war [auf Hannah] ausgerichtet, bis sie starb.“


Literatur:

Hannah Senesh: Her Life and Diary. Vorwort von Marge Piercy, übersetzt aus dem Ungarischen und Hebräischen von Eitan Senesh. Jewish Lights Publishing, Woodstock, 2004.


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