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Zur Erinnerung an die Opfer des Brandanschlags auf das jüdische Gemeindehaus in München, 13.02.1970



Spätes Gedenken, wenig Antworten


Bei dem Brandanschlag auf das jüdische Gemeindehaus in München starben sieben Menschen, eine kleine Tafel im Hausflur des Gemeindehauses der Münchner Hauptsynagoge gedenkt ihnen: Rivka Regina Becher, Max Meir Blum, Leopold Arie Leib Gimpel, David Jakubowicz, Rosa Drucker, Eljakim Georg Pfau, Siegfried Israel Offenbacher.


Sieben Überlebende der Shoa, sieben Todesopfer einer nicht aufgeklärten Tat.


Am Abend des 13. Februar 1970 wurde auf das jüdische Gemeindehaus in der Reichenbachstraße 27 in München ein schwerer Brandanschlag verübt. Neben den Büroräumen befanden sich in dem Haus auch Wohnungen, in denen vor allem ältere Menschen lebten. Das Gemeindehaus wird daher auch häufig als Altenheim bezeichnet. Im Hinterhof war die damals größte Synagoge Bayerns gelegen. Die Bewohner:innen hielten sich aufgrund des Schabbats in ihren Wohnungen auf und wurden dort von dem Feuer überrascht.


Gegen 21 Uhr betrat der Täter das Gebäude. Er fuhr mit dem Fahrstuhl in das oberste Stockwerk. Von dort ging er die Treppe herunter und goss dabei insgesamt 20 Liter Benzin auf die Stufen. Er zündete die Treppe an und das Feuer breitete sich rasend schnell im Haus aus. Die Löschkräfte erreichten das brennende Gebäude binnen kurzer Zeit, da die Hauptwache der Feuerwehr in unmittelbarer Nähe des Gemeindezentrums gelegen war. Die meisten Bewohner:innen konnten sich über die Feuerwehrleiter vor den Flammen retten.

Insgesamt ist wenig über das Leben der Opfer und Überlebenden des Brandanschlags bekannt, was dem Vergessen ebenso zuträgt, wie die fehlenden Ermittlungsergebnisse und ausbleibenden Gedenkfeiern. Erst 50 Jahre nach dem Brandanschlag gedachte die Stadt München den Opfern erstmals.


Sieben Leben


Das erste Todesopfer des Brandanschlags war Max Meir Blum, geboren am 17. Juni 1898 in Mosty Małe, Polen. Der pensionierte Kürschner war erst im Jahr zuvor aus New York nach Deutschland zurückgekehrt. Während des Brandes befand er sich unter dem Dach im obersten Stockwerk und hatte keine Möglichkeit, nach unten zu entkommen. In seiner Verzweiflung stürzte er sich aus einem Fenster und starb unmittelbar nach dem Aufprall.

Die Eheleute Eljakim Georg Pfau, geboren am 28. Mai 1906 in Breslau und gelernter Tapezierer, und Rosa Drucker, geboren am 6. Oktober 1909 in Lemberg, wohnten im Dachgeschoss des Altenheims. Pfau war laut mehrerer Berichte Überlebender der NS-Vernichtungslager. Rosa Drucker wurde 1909 in Lemberg geboren, wo sie mit ihrem ersten Mann Leon Drucker und ihren gemeinsamen Töchtern Scheindla (geb. 1927) und Chana (geb. 1932) lebte. Die Familie wurde im November 1942 in das Ghetto Lemberg deportiert. Aus einigen Angaben in späteren Dokumenten der Tochter Scheindla kann man schlussfolgern, dass es der Familie während der Liquidierung des Ghettos gelungen sein musste, sich zu verstecken und somit den im Ghetto stattfindenden Massenexekutionen und den Deportationen in das Vernichtungslager Belzec - und damit dem Tod - zu entkommen. Als das Ghetto schließlich im Juli 1944 von der Roten Armee befreit wurde, zählten Rosa, Leon, Scheindla und Chana zu den letzten 200-300 dort verbliebenen Juden:Jüdinnen, die noch am Leben waren.

Zu Beginn der deutschen Besetzung Lembergs im Juni 1941 hielten sich über 160.000 Juden:Jüdinnen in der Stadt auf. Nach ihrer Befreiung blieb die Familie zunächst noch in Polen - in Lublin und Krakau - bis sie schließlich im Lager für Displaced Persons in Ulm in der Hindenburgkaserne unterkam. In den Dokumenten befinden sich verschiedene zeitliche Angaben über die Übersiedlung der Familie nach Deutschland, die offenbar zwischen August 1945 und Juni 1946 liegt. Sicher ist jedoch, dass die Familie offenbar nicht plante, langfristig in Deutschland zu leben. Laut der Dokumente versuchten sie nach Brasilien zu gelangen, allerdings gibt es keine weiteren Anzeichen, dass sie derartige Bemühungen weiter verfolgten. Eine später geplante Ausreise nach Palästina im Jahr 1947 scheiterte. Außer einem Aufenthalt in einem weiteren Lager für Displaced Person in Ludwigsburg ist nicht bekannt, wie lange die Familie noch zusammen blieb.

Ebenfalls im Dachgeschoss wohnte Regina Rivka Becher, geboren am 10. April 1910 in Czernowitz, Ukraine, und gelernte Hutmacherin. Becher, Drucker und Pfau wurden im Treppenhaus von den Flammen aufgehalten, sodass sie nicht einmal mehr das untere Stockwerk erreichen konnten. Von außen hörte man eine der beiden eingeschlossenen Frauen verzweifelt schreien: “Wir werden vergast, wir werden verbrannt!”

Siegfried Israel Offenbacher wurde am 9. Februar 1899 in Fürth geboren und arbeitete als Schneider und Großhandelskaufmann. Er war ledig und hatte keine Kinder. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde er in seiner Wohnung verhaftet und zwei Tage später in das KZ Dachau nahe München deportiert. Nach über zwei Monaten Haft wurde er am 17. Januar 1939 unter der Bedingung freigelassen, das Deutsche Reich umgehend zu verlassen und sein Vermögen dabei an die Nationalsozialisten abzugeben. Ihm gelang die Flucht nach Palästina, wo er bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1953 lebte. Sein Versuch, sich ein neues Leben in Tel Aviv aufzubauen, scheiterte aufgrund seiner Schwerhörigkeit, die ihn daran hinderte, die hebräische Sprache lernen zu können. Zurück in Fürth besuchte er als Gasthörer an der Universität regelmäßig Vorlesungen in Psychologie und Philosophie und war den dortigen Studierenden und Lehrenden gut bekannt. Er beteiligte sich an vielen Diskussionen über die NS-Vergangenheit der Professor:innen, die von jungen Studierenden Mitte der 60er Jahre angeregt wurden. Der Dialog zwischen Juden:Jüdinnen und nichtjüdischen Deutschen war ihm ein wichtiges Anliegen. In seiner Freizeit ging er leidenschaftlich gerne in den Alpen wandern und Skifahren. Schließlich zog er in ein Zimmer im jüdischen Gemeindehaus in München, wo er auch die Gemeindebibliothek führte, deren Bücher durch den Brand fast vollständig zerstört wurden. Wenige Tage vor dem Anschlag feierte er noch seinen 71. Geburtstag. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit bemerkte er den Anschlag vermutlich zu spät, um sich in Sicherheit bringen zu können. Er wurde in seinem Geburtsort Fürth beerdigt.

Leopold Arie Leib Gimpel, geboren am 5. Oktober 1900 in Lemberg, lebte gemeinsam mit seiner Frau Jeannette im zweiten Stockwerk. Das Ehepaar plante seine Ausreise aus Deutschland. Aufgrund eines versuchten Attentats der Tupamaros auf das Gemeindehaus in West-Berlin am 9. November 1969 und des Anschlags auf die EL AL am Flughafen München Riem nur wenige Tage zuvor, fühlten sie sich in Deutschland nicht mehr sicher. “Wir hatten Angst. Wir wollten nur noch weg.”, sagte seine Frau zu einem Reporter. Als das Feuer ausbrach hatte Leopold Arie Leib Gimpel gerade ein Buch, das er sich ausgeliehen hatte, zu Max Blum im obersten Stockwerk zurückgebracht. Da der Rückweg bereits durch die Flammen versperrt war, flüchtete er sich in den Toilettenraum am Ende des Flurs, wo sein Leichnam nach der Löschung des Feuers gefunden wurde. Seine Frau Jeannette, die sich zu dem Zeitpunkt in ihrer Wohnung im zweiten Stock aufhielt, konnte von der Feuerwehr gerettet werden. Sie wurde in die Uniklinik eingeliefert und überlebte den Brandanschlag. Sie hoffte lange Zeit, dass ihr Mann noch zu ihr eingeliefert werden würde, bis sie die Nachricht erhielt, dass er verbrannt sei.

Nicht nur das Ehepaar Gimpel wollte Deutschland verlassen. Auch David Jakubowicz, geboren am 2. Oktober 1910 in Częstochowa Polen und Überlebender mehrerer Konzentrationslager, hatte vor, dem Land für immer den Rücken zu kehren. Während der Besatzung seiner Heimatstadt musste er ab 1940 Zwangsarbeit verrichten, ab 1942 war er im Zwangsarbeiterlager HASAG-Rüstungsbetriebe inhaftiert. Seine Frau Hena und seine Eltern wurden in das Ghetto Częstochowa deportiert. Im Zuge der Liquidierung des Ghettos im September 1942 wurden etwa 40.000 Juden:Jüdinnen in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort vergast, so wahrscheinlich auch die Angehörigen Jakubowicz’. Um den Jahreswechsel 1944/45 wurde er in das KZ Buchenwald in Thüringen deportiert, wo er am 17. Januar 1945 eintraf. Dort musste er im Außenlager Laura (Landkreis Saalfeld) und in einer unterirdischen Rüstungsfabrik, der sogenannten "Hölle im Schieferberg", Zwangsarbeit leisten. Als das Lager am 12./13. April geräumt wurde, wurde er mit den anderen Häftlingen auf einen mehrtägigen Todesmarsch getrieben und erreichte am 19. April das Dachauer Außenlager Allach, das sich am Stadtrand von München befand. Zehn Tage später wurde das Lager befreit und Jakubowicz kam zunächst in das Lager für Displaced Persons in Feldafing und später nach Föhrenwald. Im Jahr 1959 bezog er eine Wohnung im Gemeindehaus. Zwei Tage nach dem Brandanschlag, am 15. April 1970, wäre er nach Israel zu seiner dort lebenden Schwester Bela ausgewandert. Ursprünglich hatte er geplant, schon am Tag des Brandanschlags zu fliegen, buchte den Flug aber kurzfristig um. Als Koch der Gemeinde bereitete er noch das Essen für eine Bar Mitzwa im Haus vor, außerdem war er sehr fromm und wollte nicht am Schabbat fliegen.

»In der Gemeinde herrschte lähmende Fassungslosigkeit, pures Entsetzen« erinnert sich die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch 2019 an den Anschlag. »Für einige Gemeindemitglieder war der Anschlag der Anlass, München und Deutschland zu verlassen«.


Spätes Gedenken, wenige Antworten


Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden zweimal wiedereröffnet, führten aber zu keinen konkreten Ergebnissen. Geschlossen wurden die Ermittlungen zuletzt im Jahr 2017. Erste Ermittlungen hatten pro-palästinensische Gruppierungen im Blick, die Neonaziszene und eine Gruppierung der außerparlamentarischen Linken, die Tupamaros, welche den Anschlag auf ein jüdische Gemeindehaus am 9. November 1969 in West-Berlin verübt hatten und einen neu gegründeten Ableger in München aufweisen konnten.


Bis heute sind keine Täter:innen ermittelt: Es halten sich die Thesen von linksextremistischen Täter:innen, jedoch haben auch die Ermittlungen zum Mord an Lewin und Poeschke den Brandanschlag nochmal in ein neues Licht gerückt und eine Verbindung zur rechtsextremen “Wehrsportgruppe Hoffmann” scheint möglich. Die Generalstaatsanwaltschaft verzichtete auf eine Befragung des Verfassungsschutzes und Beweismittel, wie beispielsweise der Benzinkanister, der am Tatort vorgefunden wurde, verschwanden bzw. wurden in den 90er Jahren vernichtet.


Die Mordopfer hatten wenige Angehörige, weswegen davon ausgegangen wird, dass die Ermittlungen wenig Nachdruck erhielten. Die fehlende Aufklärung und die Schrecken des Olympia-Attentats 1972 sollen, so Richard C. Schneider, die Erinnerung an den Brandanschlag auf das Kulturzentrum verdrängt haben. Auch steht der Brandanschlag auf das jüdische Gemeindehaus nicht alleine, sondern in einer Reihe antisemitischer Anschläge und Terrorakte in den frühen 70er Jahren.




Verweise und Quellen:




https://dserver.bundestag.de/btd/19/213/1921323.pdf - Kleine Anfrage Bundestag 2020: Brandanschlag auf ein jüdisches Altenheim in München vor 50 Jahren (Nachfragen zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 19/19177)







Ungeklärt bis heute: Der Anschlag auf das jüdische Wohnheim in München I Kontrovers I BR24: https://www.youtube.com/watch?v=M_Vgef27lt4&t=427s






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