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Die Identitäre Bewegung und ihre „Demonstration gegen das Symbolgesetz“ am 31. Juli 2021 in Wien



“Ab dem 1.8.2021 ist es offiziell: Die Republik Österreich kann nicht mehr als ‘Demokratie [sic!] bezeichnet werden.“[1]


Mit diesen Worten heißt die Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ) seit Kurzem die Nutzer:innen ihrer neugestalteten und nur aus einer Seite bestehenden Homepage willkommen. Ähnlich verhält es sich bei der selbsternannten “Bürgerbewegung“ Die Österreicher (DO5). Mit vergleichbarer Aufmachung verbunden, empfängt sie die Besucher:innen mit einem kurzen Text, unter anderem mit folgender Ankündigung:


“Der Kampf gegen die Zensur und die Diktatur muss also hier und jetzt beginnen!“[2]


Fernab der mit Pathos geladenen Wortwahl und dem selbst verlautbarten Kampf erinnert aber nur noch wenig an die vorherigen Inhalte der Online-Präsenzen der beiden Gruppierungen. Auf diesen war unter anderem von politischen Aktionen und gemeinsamen Unternehmungen zu lesen.


Was steckt hinter dem Symbole-Gesetz?

Was sich bereits im vergangenen Dezember andeutete, ist nun Gewissheit: In Reaktion auf den islamistischen Terroranschlag in Wien im November letzten Jahres beschloss der österreichische Nationalrat am 7. Juli 2021 das sogenannte Anti-Terror-Paket, das mitunter Änderungen im bereits existierenden Symbole-Gesetz vorsieht. Neben der sunnitisch-islamistischen Hizb ut-Tahrir (HuT), der dschihadistisch-islamistischen Gruppierung Kaukasus-Emirat sowie der marxistisch-leninistischen Revolutionären Volksbefreiungspartei bzw. -front (DHKP-C) sind davon auch die Identitäre Bewegung Österreich und die ihr nahestehende, selbsternannte “Bürgerbewegung gegen den Bevölkerungsaustausch“ Die Österreicher betroffen. Dem Gesetz nach ist seit dem 01. August 2021 “das Darstellen, Tragen, Verbreiten und Verwenden“[3] von Symbolen der genannten Organisationen verboten, und das auch im Internet.


Wie verlief die Demonstration am 31. Juli?

Sowohl die IBÖ als auch die DO5 riefen Wochen im Voraus für den 31.07.2021 auf dem Wiener Albertinaplatz zur “Demo gegen das Unrecht“ auf. Ihrer Mobilisierung folgten nur rund 300 Personen, darunter einige Anhänger:innen aus Deutschland, Dänemark, Frankreich und Ungarn. In knapp zwei Stunden zogen sie, von lautstarken Gegenprotesten begleitet, durch die Wiener Innenstadt.


Im Verlauf der Demo gab es mehrere Redebeiträge von einem Lautsprecherwagen. Es wurde dem Anlass der Demonstration entsprechend auf das Symbole-Gesetz Bezug genommen, das in verschwörungsideologischer Manier auf die “Eliten” zurückgeführt wurde, und die Bekämpfung desselben angekündigt. Darüber hinaus waren die Reden von einer nicht enden wollenden Wiederholung der bekannten und für die Bewegung typischen verschwörungsideologischen, islamophoben und rassistischen Inhalte gekennzeichnet.


So wurden Heimatliebe und Patriotismus gelobt, der politische Liberalismus verrissen, vor der angeblichen “Islamisierung Europas” infolge des sogenannten Großen Austauschs gewarnt (dabei handelt es sich um eine Verschwörungserzählung, die in der Neuen Rechten weit verbreitet ist) und im selben Atemzug die ideologische Erzählung der “Reconquista” propagiert, derzufolge man Österreich und Europa von der vermeintlichen muslimischen Überfremdung und dem Multikulturalismus “zurückerobern” müsse. Die Reden wurden von unermüdlichen Sprechchören der Teilnehmer:innen untermalt, die sich bis zur Heiserkeit überschlugen. Dazu gehörte die in der Extremen Rechten oft verwendete Parole “Heimat, Freiheit, Tradition - Multikulti Endstation” sowie “Stop the Great Replacement”, “White lives matter” und “Festung Europa, macht die Grenzen dicht”.


Bei den Demonstrierenden handelte es sich vorwiegend um junge Männer, die beinahe uniform in Polohemden und Kakis gekleidet waren. Einige junge Frauen und vereinzelt ältere Menschen nahmen ebenfalls an dem Aufmarsch teil. Bekannte Personen unter den Teilnehmenden waren neben dem IBÖ-Kopf Martin Sellner u.a. Frank Miksch, namhafter Anwalt der rechten Szene, Ralf Ollert, der ehemalige bayerische Landesvorsitzende der rechtsextremen NPD und Philip Thaler, Bundesvorsitzender der Identitären Bewegung in Deutschland.


Die Demonstrierenden schwenkten schwarze und gelbe Fahnen, entsprechend der Markenfarben der Identitären Bewegung. Außerdem wurden zwei große Transparente dem Zug voran getragen, auf denen “Wer gegen uns?” und “Widerstand lässt sich nicht verbieten” zu lesen war. Gegen Ende des Aufmarsches erklomm ein Teilnehmer der Demo ein Baugerüst und hisste eine kleine Flagge mit dem Lambda-Symbol, das unter das Verbot des Symbole-Gesetzes fällt. Eine weitere Lambda-Flagge wurde mit Hilfe von zwei Heliumballons in die Luft steigen gelassen. Dazu wurden Bengalische Feuer in den Farben Weiß und Gelb gezündet. In Martin Sellners Telegram-Kanal wurde dieser Moment im Nachgang als “aktivistisch(e) Überraschung” bezeichnet. Mit den großaufgezogenen Aktionen der Bewegung der Vorjahre war dieser Akt jedoch nicht zu vergleichen.


Auf einer abschließenden Kundgebung ließ Sellner dann verlauten, dass die Folgen des Symbole-Gesetzes nicht das Ende der Bewegung bedeuteten und die schwarze Fahne keine Trauerfahne sei. Im Gegenteil sei mit “diesem Schritt” - was sich sowohl auf das Gesetz als auch auf die gemeinsame Demonstration an diesem Tag beziehen lässt - eine neue Epoche des Widerstandes erreicht worden.


Das Beobachten der Demonstration durch außenstehende Pressevertreter:innen wurde durch die Teilnehmenden u.a. mittels Aufspannen schwarzer Regenschirme stark erschwert. Auch wurde durch verbale und zum Teil sogar tätliche Angriffe auf Journalist:innen versucht, die Berichterstattung zu unterbinden. Die österreichische Polizei, die die Demo begleitete, griff dabei weder ein, noch bemühte sie sich sonst darum, eine adäquate Pressearbeit zu ermöglichen.


Was hat es mit den Gruppierungen hinter der Demonstration auf sich?

Nach außen hin versuchen die beiden Gruppierungen IBÖ und DO5 den Anschein zu vermitteln, es handele sich um zwei voneinander unabhängige Organisationen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch deutlich, dass es zwischen ihnen sowohl personell als auch inhaltlich deutliche Überschneidungen bzw. Parallelen gibt.


Die IBÖ ist der 2012 gegründete österreichische Ableger einer europaweit agierenden extrem rechten Bewegung, die ihre Ursprünge in der kurz zuvor in Frankreich ins Leben gerufenen Génération identitaire hat. Aufmerksamkeit generierten die zumeist jungen Mitglieder insbesondere zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts durch Aktionen, die durch aufwendig produzierte Videos im Internet publik gemacht wurden. In den letzten Jahren, insbesondere seit 2019, ist es dagegen ruhig um sie geworden.


Neben staatlichen Restriktionen liegt die identitäre Flaute nicht zuletzt darin begründet, dass der rechtsterroristische Attentäter von Christchurch zu Beginn des Jahres 2018 1.500€ an den Kopf der IBÖ, Martin Sellner, spendete. Zwar stritt Sellner im Anschluss weitere Kontakte ab, doch wurde ferner bekannt, dass beide regen E-Mail-Verkehr pflegten. In diesem Zusammenhang schrieb Sellner zum Beispiel: “Wenn du je nach Wien kommst, müssen wir auf einen Kaffee oder ein Bier gehen“.[4] Angesichts dessen erscheinen die Distanzierungsversuche der Bewegung, die sich gerne als “weltoffen, hip und intellektuell”[5] inszeniert, von extrem rechten Attentätern wenig glaubwürdig – für die IBÖ ein herber Rückschlag und gleichzeitig einer der Hauptgründe für die Gründung der Gruppe DO5 zu Beginn des Jahres 2020. Dass sich diese nur kurz nach Bekanntwerden der Spende gründete, legt nahe, dass sie als Reaktion auf das beschädigte, vermeintlich friedliche Image und ein mögliches Verbot der IBÖ zu werten ist. Diesen Eindruck vermitteln auch personelle bzw. inhaltliche Kontinuitäten.


Besonders deutlich zeigt sich das an der Person von Martin Sellner selbst, dessen Bekanntheit vor allem auf sein Amt als Sprecher der IBÖ zurückzuführen ist. Sellner ist zugleich stellvertretender Bundesleiter der DO5 und rief bereits seit Wochen zur ”Demonstration gegen das Symbolgesetz“ auf. An seiner Seite stand dabei nicht selten Jakob Gunacker, der derzeitige Bundesleiter der DO5.


Beim Blick auf ihren “5-Punkte-Plan gegen den Bevölkerungsaustausch“ zeigt sich, dass DO5, trotz eines vorgeblich bürgerlicheren Gewands, dieselbe politische Ideologie verfolgen wie die Identitäre Bewegung. Der sog. Bevölkerungsaustausch ist Teil einer aus extrem rechten Kreisen stammenden Verschwörungserzählung, wonach eine geheime “Elite” plane, einen Austausch der westlichen Bevölkerung zu vollziehen. Die fünf dazugehörigen Punkte der DO5 (1. Asylrechtsreform, 2. Remigration, 3. Leitkultur, 4. Familie fördern, 5. Identitätsschutz) unterscheiden sich nur marginal von den “Forderungen“, die die IBÖ bis dato kundgab.[6]


In beiden Fällen dient das Konzept des Ethnopluralismus als Grundlage der Weltanschauung, das auf den zentralen Theoretiker der Neuen Rechten Henning Eichberg zurückzuführen ist. Demzufolge wird eine vorgebliche “Völkervielfalt‘“ betont, wobei konträr zu anderen Ansätzen bezüglich “gleicher Würde und gleicher Rechte“ aller, “grundlegende Unterschiede zwischen Ethnien bzw. Völkern aufgrund kultureller, geographischer, religiöser oder anderer Einflussfaktoren“[7] herausgestellt werden.


Zu konstatieren bleibt daher, dass es sich bei D05 trotz der vorgeblichen Unabhängigkeit um eine IBÖ Nachfolgeorganisation handelt, deren Existenz allein im Scheitern der IBÖ begründet ist.


Wie ist die Situation in Deutschland einzuordnen?

In Deutschland kommt der Identitären Bewegung im rechtsextremen Diskurs seit geraumer Zeit ebenfalls nur noch eine geringe Rolle zuteil. Bereits Ende 2019 sprach Götz Kubitschek, einer der zentralen Vertreter der sog. Neuen Rechten, gar davon, dass die Identitäre Bewegung “nun bis zur Unberührbarkeit kontaminiert sei“.[8] Er bezog sich dabei auf die oben angeführte Spende des Christchurch-Attentäters und gab dadurch einen Strategiewandel vor, der bis heute anhält.


Auch sogenanntes “Deplatforming“, d.h. der Ausschluss einzelner Gruppierungen, Personen oder Organisation von diversen sozialen Medien, hat die Bewegung, wie auch einige andere neurechte Akteur:innen, in den letzten Monaten und Jahren schwer getroffen. Dadurch wurde sie ihres hauptsächlichen Agitationspotenzials beraubt, so dass seit jeher keinerlei medienwirksame Aktion mehr zustande gebracht wurde.[9] Hinzu kommt die durch den Verfassungsschutz 2020 vollzogene Einstufung als “gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“[10], die dazu führte, dass sich einige (extrem) rechte Akteur:innen von der vormaligen Vorreiter-Jugendbewegung zumindest vordergründig abwandten.


Fernab dessen ist außerdem zu betonen, dass einige der letzten IB-Aktionen nur von wenig Erfolg gekrönt waren. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang beispielhaft ein identitäres “Hausprojekt“ in Halle, das zuvor noch als “Leuchtturmprojekt“ betitelt wurde und kurze Zeit später, nicht zuletzt aufgrund großen gesellschaftlichen Drucks, wieder geräumt wurde.[11] Auch das Vorhaben, die Arbeit der “search-and-rescue“ (SAR)-Schiffe zu behindern, deren Ziel darin liegt, Geflüchtete auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten, scheiterte 2017.[12]


Misserfolge wie diese führten dazu, dass das metapolitische, sprich außerhalb der politischen Parlamente stattfindende, Vorgehen mit der Zeit angepasst wurde. (Ehemalige) Akteur:innen der IB treten zunehmend in anderen Bereichen und Rollen auf, wie beispielsweise in Video-Formaten wie “Laut Gedacht“, als Verleger eines extrem rechten Öko-Magazins (“Die Kehre“) oder unterstützen Computerspiele bzw. Comics, die zum Ziel haben, die eigene extrem rechte Weltanschauung an Kinder und Jugendliche zu vermitteln. Auch die zu Juli 2021 gegründete “GegenUni“ erhebt für sich selbst den Anspruch, “in die deutsche Metapolitik“[13] hineinzuwirken und dem eigenen Nachwuchs neurechte Theorieklassiker wie Ernst Jünger oder Alain de Benoist nahezubringen.


Die meisten der genannten Projekte lassen sich als Reaktion auf den in Verruf gekommenen Namen der IB betrachten und verfolgen das Ziel, sich von diesem zu emanzipieren.


Wie ist die Demo am 31.07. in Wien zu beurteilen?

Angesichts der beschriebenen Entwicklung lässt sich die am 31. Juli stattgefundene Demonstration als vorläufig letztes Aufbäumen der IBÖ betrachten, auch wenn die Demoteilnehmer:innen, allen voran Martin Sellner, zumindest an dem Tag etwas anderes propagierten. In einem Beitrag auf dem neurechten Online Blog Sezession vom 29. Juli 2021 schrieb Martin Sellner selbst, es handele sich um “das vorerst ‚letzte Geleit‘“ der Bewegung, kündigte jedoch zeitgleich an, in “eine neue Widerstandsepoche zu treten“[14], was er in ähnlicher Form auch auf der Demonstration verkündete. Worauf Sellner genau abzielt, darauf geben die oben genannten Entwicklungen in Deutschland bereits einen möglichen Hinweis.


Die Identitäre Bewegung, das vormalige Aushängeschild der Neuen Rechten, spielt schon länger nur noch eine untergeordnete Rolle, sei es in Österreich, Deutschland oder auch in Frankreich. Diesen Eindruck bestätigte die Demonstration am 31. Juli in Wien, sowohl mit ihrer geringen Zugkraft und Beteiligung, als auch mit der Aneinanderreihung ewig gleicher rechter Plattitüden in den Redebeiträgen. Im Ursprungsland der Bewegung wurde die Génération identitaire jüngst gar in Gänze verboten.[15]


 















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