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Der „Volkslehrer“-Prozess in München am 26. und 27. November 2020

Aktualisiert: 14. Jan. 2021

Der rechtsextreme, selbsternannte “Volkslehrer” Nikolai Nerling ist bekannt für seine völkische Ideologie, seine antisemitischen Äußerungen, sein Sympathiesantentum mit Shoah-Leugner:innen wie der verurteilten rechtsextremen Aktivistin Ursula Haverbeck und für seinen eigenen Geschichtsrevisionismus. In seinen Videos, die er auf diversen Online-Kanälen verbreitet, provoziert er und geht an die Grenzen dessen, was man gerade noch sagen darf, ohne strafrechtlich verfolgt zu werden. Ein Beispiel hierfür ist seine Äußerung bei einer Demonstration von Reichsbürger:innen vor dem Reichstagsgebäude, die am 29. August 2020 im Rahmen einer Coronademonstration in Berlin stattfand. Nerling spielte dabei auf die Zahl der jüdischen Opfer der Shoah an, als er sagte, sechs Millionen Menschen hätten sich dank Michael Ballweg und der Querdenken-Bewegung an diesem Tag in Berlin versammelt. Im nächsten Satz revidierte er seine Aussage schmunzelnd mit dem Hinweis: Sechs Millionen, das sei organisatorisch gar nicht möglich [1].

Am 26. und 27. November 2020 nun saß Nerling wegen ähnlicher geschichtsrevisionistischer Äußerungen in einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht in München. Das JFDA beobachtete die Verhandlungen.

Dem Verfahren vor dem Landgericht München II ging eine Verurteilung Nerlings und seines früheren Kameramannes Stefan Z. durch das Amtsgericht in Dachau voraus, die sich auf folgenden Sachverhalt bezog: Im Februar 2019 hatten Nerling und Z. die KZ-Gedenkstätte in Dachau aufgesucht, um sich nach Nerlings Aussage zu „ent-schulden“, d.h. um sich der Schuld zu entledigen, die auf Deutschland seit der Shoah laste. Als die beiden begannen, vor dem Tor der Gedenkstätte mit dem Schild „Arbeit macht frei“ ein Video zu drehen, wurden sie von einer Referentin der Gedenkstätte erkannt, die gerade eine Gruppe von Schüler:innen einer 9. Klasse über das Gelände führte. Während die Referentin weitere Mitarbeiter:innen der Gedenkstätte zur Hilfe holte, um die beiden des Geländes zu verweisen, verwickelten Nerling und sein Kameramann die Schüler:innen in ein Gespräch, in dem sie unter anderem sagten, dass man nicht alles glauben solle, was einem hier erzählt werde. Vor dem Hintergrund des Ortes, an dem diese Aussage getätigt wurde, und seiner Bedeutung, blieb für die Staatsanwaltschaft in Dachau kein Zweifel, dass es sich dabei um eine Leugnung der Shoah handelte. Dafür wurde Nerling bereits in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 10.800€ verurteilt.

Im Berufungsverfahren in München, bei dem Nerling, Stefan Z. sowie ihre Anwälte coronabedingt in separaten Plexiglaskästen sitzen mussten, zeigte Nerling sich auffallend still und verzichtete auf jegliche provozierende Zwischenbemerkungen. Als Zeug:innen waren die Referentin der Gedenkstätte Dachau und Schüler:innen geladen, die bereits 2019 gegen Nerling und seinen Kameramann ausgesagt hatten, sowie weitere Mitarbeitende der Gedenkstätte und die Polizistin, die damals als erste den Fall bearbeitete. Für Nerling waren einige Unterstützer:innen vor Ort, die dem Verfahren als Besucher:innen beiwohnten, darunter die verurteilte Holocaust-Leugnerin Marianne W. Die beiden kennen sich gut; erst vor kurzem unterstützte der „Volkslehrer“ die Frau bei ihrem eigenen Prozess wegen Volksverhetzung in Hof.

Die Verhandlungen dauerten an beiden Gerichtstagen bis in den späten Abend hinein. In insgesamt 20 Stunden wurde das gesamte Verfahren neu aufgerollt. Viele der Jugendlichen erinnerten sich inzwischen nicht mehr detailliert an den gesamten Vorfall in Dachau. Lediglich ein paar Sätze sind den Zeug:innen sinngemäß übereinstimmend in Erinnerung geblieben. In Bezug auf den Strafbestand der Shoah-Leugnung erschien neben der besagten Äußerung Nerlings den Schüler:innen gegenüber eine weitere Bemerkung Nerlings bezeichnend. Er hatte diese gemacht, nachdem die Referentin angab, ihr Großvater sei selbst ein politischer Gefangener des Konzentrationslagers gewesen. Als sie auf Rückfrage Nerlings zu verstehen gab, dass ihr Großvater die Gefangenschaft überlebt hatte, sah sich Nerling in seiner Auffassung bestätigt und sagte: Dann kann das ja alles nicht so schlimm gewesen sein.

Der zweite Anklagepunkt behandelte den Vorwurf des Hausfriedensbruchs. Das rechtsextreme Duo hatte demnach ohne Genehmigung in der Gedenkstätte gefilmt und diese erst nach mehrfacher Aufforderung verlassen. Da in diesem Zusammenhang der Strafantrag gegen Nerling von der Staatsanwaltschaft nicht mehr auffindbar war, wurde hierzu nur der Kameramann Z. zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 30€ verurteilt.

Im Gegensatz zu Z. wurde Nerling wegen Volksverhetzung zu 150 Tagessätzen à 40€ verurteilt. Dass die Geldstrafe geringer ausfiel, als bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht in Dachau, begründete der Richter mit den geringen Einnahmen des Angeklagten Nerling. Demnach habe der “Volkslehrer” zuletzt weniger eingenommen, weil einige seiner YouTube-Kanäle gelöscht worden waren. So finanziere sich Nerling laut eigener Aussage heute vor allem von Spenden seiner Anhänger:innen und Unterstützer:innen.

Bevor das Urteil verkündet wurde, erhielten beide Angeklagten das Wort. Dabei kritisierten sie den Rechtsstaat, der sie hier auf so „unrechte“ Weise verurteilen wolle. Nerling leugnete dabei mit antisemitisch-verschwörungsideologischer Konnotation die Gefahr von Rechts. Die Rechten, so Nerling, hätten ja keine großen Geldspender oder Medienkonzerne hinter sich. Solche Aussagen beziehen sich auf die Verschwörungsideologie, dass die (jüdischen) Eliten hinter Politik, Wirtschaft und den Medien stünden. Zum Schluss sagte Nerling noch das Gedicht „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm auf, mit den für ihn passenden Sätzen: „Die Rute, die ist hier: Doch für die Kinder nur, die schlechten, die trifft sie auf den Teil den rechten.“

Damit endete ein zentraler Prozess gegen den ehemaligen Berliner Grundschullehrer Nerling, mit dem das Landgericht München das Urteil wegen Volksverhetzung des Amtsgerichts Dachau bestätigte. Mit dem Eintreten der Rechtskräftigkeit dieses Urteils, mit dem in ca. einem Jahr zu rechnen ist, kann Nerling als verurteilter Shoah-Leugner bezeichnet werden.

[1] Das JFDA dokumentierte den Auftritt Nerlings am 29.08.2020 in Berlin: https://youtu.be/-m5kS95cU30

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