„An jenem glühenden Augustnachmittag schlugen die Flammen von anderswo noch höher empor als üblicherweise vom riesigen Verbrennungsrost in der Nähe der Gaskammern. Der Feuerschein, der sich in jener Nacht über Treblinka ergoss, war anders gefärbt, hatte anderen Ursprung und andere Deutung als in den Nächten zuvor.“
Mit diesen Worten beschrieb Richard Glazar, einer der wenigen Überlebenden des NS-Vernichtungslagers Treblinka, den bewaffneten Aufstand am 02.08.1943, bei dem mehrere Hundert Häftlinge gegen die SS- und ukrainischen Wachsoldaten des Lagers revoltierten. Ein Großteil der Aufständischen wurde während des Aufstands oder unmittelbar nach der Flucht aus dem Lager ermordet. Lediglich 67 Häftlinge überlebten. Den Aufständischen gelang es, einen Teil des Lagerkomplexes in Brand zu setzen und zu vernichten, wobei die Gaskammern jedoch intakt blieben.
Das Vernichtungslager Treblinka wurde im Frühjahr 1942 in einem Waldgebiet nordöstlich von Warschau und in der Nähe der Eisenbahnlinie, die Bialystok, Warschau und Siedlice verband, errichtet. Zwischen Juli 1942 und August 1943 wurden deutlich über 700.000 Jüdinnen:Juden sowie mehr als 2.000 Rom:nja in Treblinka vergast. Die Gesamtzahl der in Treblinka Ermordeten wird nach aktuellem Forschungsstand auf 870.000 Menschen geschätzt. Neben Sobibór und Bełżec war Treblinka das dritte Vernichtungslager der Aktion „Reinhard“, der systematischen Ermordung aller Jüdinnen:Juden und Rom:nja des Generalgouvernements im besetzten Polen.
Das Vernichtungslager Treblinka war in drei Bereiche aufgeteilt. Im unteren Bereich des Lagers war das Wachpersonal untergebracht sowie einige Hundert jüdische Häftlinge inhaftiert. Diese mussten als Tischler:innen, Handwerker:innen oder Schuster:innen Zwangsarbeit für das Wachpersonal und zur Instandhaltung der Gebäude leisten. Den zweiten Teil des Lagers bildete das Auffanglager, der Bereich, an dem die ankommenden Häftlinge auf ihre Vergasung warten mussten. Im dritten Bereich des Lagers befanden sich die Gaskammern und Massengräber.
Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Treblinka mussten sich die Häftlinge entkleiden und ihren Besitz abgeben, bevor sie durch einen Tunnel, die sogenannte „Röhre“, in die Gaskammern getrieben wurden. Bis zu 15.000 Menschen wurden auf diese Weise täglich mit Kohlenstoffdioxid in den Gaskammern von Treblinka ermordet. Die Häftlinge des „Sonderkommandos“ mussten die Waggons reinigen, die Gegenstände der Ermordeten sortieren sowie die Gaskammern leeren und die Leichen in den Massengräbern vergraben oder in den Öfen verbrennen.
Überlebende berichten, dass die Häftlinge eines Transportes, mit dem Ende 1942 etwa 2.000 Jüdinnen:Juden aus Grodno nach Treblinka deportiert wurden, sich weigerten, die Gaskammern zu betreten. Mit Messern und Gegenständen griffen sie die SS-Männer an, sodass diese zum Teil schwer verletzt wurden und ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Danach wurden alle Häftlinge des Transportes erschossen.
In regelmäßigen Abständen wurden Mitglieder des „Sonderkommandos“ selbst ermordet und durch neu ankommende Häftlinge ersetzt. Um das Ausmaß der Vernichtung in Treblinka zu steigern, ging die SS nach einigen Monaten dazu über, die „Sonderkommandos“ länger am Leben zu lassen. Dadurch verbesserten sich für die Häftlinge die Bedingungen für die Formierung einer Widerstandsgruppe, der es ab 1943 gelang, einen bewaffneten Aufstand zu planen und vorzubereiten. Auch die Berichte über den Aufstand im Warschauer Ghetto stärkten den Widerstand in Treblinka.
Die Widerstandsgruppe wurde auf Initiative von Julian Chorazyeki gebildet und unter anderem durch Samuel Willenberg, Marceli Galewski, Alfred Galewski, Zev Kurland, Leon Haberman, Heinrich Kleinmann, Richard Glazar, Mosze Lublink und Zelo Bloch angeführt.
Zunächst wurde das Datum für den geplanten Aufstand auf den 15.06.1943 gelegt. Die Aufständischen planten, die Wachmänner zu töten, die Gebäude auf dem Lagerkomplex niederzubrennen und die Gaskammern zu zerstören. Da es der Widerstandsgruppe nicht gelang, Waffen von außerhalb in das Vernichtungslager zu schmuggeln, mussten die Waffen innerhalb Treblinkas von den Wachmännern entwendet werden.
Julian Chorazycki, der verantwortlich für die Beschaffung der Waffen war, bestach einige der ukrainischen Wachmänner, um ihnen Waffen abkaufen zu können. Einmal bemerkte der SS-Mann Kurt Franz jedoch das Geld, welches Chorazycki von seinem Mithäftling Shmuel Rosenberg für den Abkauf der Waffen erhalten hatte und bei sich aufbewahrte. Chorazycki wurde daraufhin brutal gefoltert, doch er verriet keine Informationen über einen geplanten Aufstand. Er erklärte, dass er das Geld angesammelt hatte, um es für seine eigene Flucht aus dem Lager zu nutzen. Nach seiner Ermordung kümmerten sich Alfred Galewski, Rudolf Masarek und Stanislaw Lichtblau um die weitere Beschaffung von Waffen. Um an Waffen aus dem Waffenarsenal der SS zu gelangen, steckte jemand einen Metallsplitter in das Schloss der Waffenkammer, um dieses zu beschädigen. Der jüdische Lagerschlosser, der mit der Reparatur des Schlosses beauftragt wurde, fertigte einen Abdruck des Schlosses und damit einen Nachschlüssel an.
Der Tag des Aufstandes wurde nach einigen Verschiebungen auf den 02.08.1943 gelegt. An diesem Tag waren nur wenige Wachmänner im Lager, da ein Teil der SS-Belegschaft mit einigen ukrainischen Wachmännern an einen nahegelegenen Fluss zum Schwimmen fuhr. Während einige Häftlinge die im Lager verbliebene Wachmannschaft ablenkten, schmuggelten Aufständische heimlich Waffen aus den Zimmern der SS-Männer. Mithilfe des nachgemachten Schlüssels entwendeten sie Handgranaten, Gewehre und Munition aus dem Waffenarsenal.
Ein Schuss sollte das Signal für die Eröffnung des Feuers geben. Vermutlich aufgrund einer Liquidierung im Lager fiel eine Stunde vor der geplanten Uhrzeit des Aufstands ein Schuss in Treblinka, der somit für das Startsignal gehalten wurde. Noch bevor alle Waffen unter den Aufständischen verteilt werden konnten, bewarfen sie die Baracken mit Granaten und setzen einen Teil des Lagers in Brand. Das Feuer breitete sich binnen kurzer Zeit im Lager aus, ein Benzinlager explodierte und ein Teil des Lagerzauns wurde niedergerissen, sodass zunächst über 200 Gefangene aus dem Lager fliehen konnten.
Da die Häftlinge es nicht mehr geschafft hatten, die Telefonleitungen zu durchschneiden, konnte die SS die Umgebung schnell über die Massenflucht informieren und Verstärkung anfordern. Ein Großteil der Geflüchteten wurde bereits auf der Flucht aufgegriffen und erschossen oder ins Lager zurückgebracht und dort gemeinsam mit den zurückgebliebenen Kämpfer:innen exekutiert. Viele derjenigen, die es geschafft hatten, durch die Wälder zu entkommen, schlossen sich Partisanen an und setzen ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus fort. Es sind lediglich 67 Überlebende des Vernichtungslagers bekannt.
Am 21.08.1943 wurden noch zwei Transporte mit Jüdinnen:Juden aus Białystok in Treblinka vergast, danach wurde das Vernichtungslager aufgelöst. Die SS zerstörte alle Gebäude des Lagers und errichtete auf dem Gelände einen Bauernhof zur Vertuschung der Verbrechen.
Der Aufstand in Treblinka war der erste Aufstand in einem NS-Vernichtungslager. Ein ähnlicher Aufstand folgte in Sobibór am 14.10.1943 und in Auschwitz-Birkenau am 07.10.1944.
Der letzte Überlebende des Aufstandes, Samuel Willenberg, verstarb am 19.02.2016 im Alter von 93 Jahren in Tel Aviv.
Literatur
Richard Glazar (1992): Die Falle mit dem grünen Zaun. Überleben in Treblinka.
Hermann Langbein (1980): … nicht wie die Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1938–1945.
Chil Rajchman (2009): Ich bin der letzte Jude. Treblinka 1942/43. Aufzeichnungen für die Nachwelt.
Aussage von Samuel W.: Aufstand im Vernichtungslager Treblinka, ohne Datum: In: Peter Longerich (Hrsg.) (1989): Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust 1941–1945, S. 399–401
Samuel Willenberg (2009): Treblinka. Lager, Revolte, Flucht, Warschauer Aufstand.
Jankiel Wiernik (1944): Ein Jahr in Treblinka
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