Die angekündigte Überraschung auf dem Dresdner Neumarkt ließ auf sich warten. Der Großteil der etwas mehr als Tausend Teilnehmenden am 18.06.2022 war da schon nicht mehr zugegen. Ein Grund für die schwindende Teilnehmendenzahl mag die 9 Kilometer lange Demonstrationsroute gewesen sein, die in den Stunden zuvor trotz Temperaturen über 30 Grad in Gänze vollzogen wurde. Auch fragwürdige musikalische Darbietungen und die hohe Dichte an anliegenden Biergärten könnten ihren Teil dazu beigetragen haben. Und so erlebten gegen 20 Uhr lediglich wenige Hundert, wie etwa 50 Tauben von Ordnern aus Käfigen in die Freiheit entlassen wurden. Mindestens einer der Ordner, der sich hinsichtlich der „Friedenstauben“ verantwortlich zeigte, trug eine Kette mit einem Thorshammer-Anhänger, einer unter anderem in der klassischen Neonazi-Szene verbreiteten Symbolik. Generell blieb der, durch die Veranstalter womöglich erhoffte Euphoriemoment weitestgehend aus und so rundete die Aktion einen Demonstrationstag auf passende Weise ab, an dem die reine Zahl der Teilnehmenden erneut weniger ins Auge stach, als ihre Zusammensetzung.
Im Vorfeld hatte seitens der Organisator:innen eine breite Mobilisierung stattgefunden. Neben der hauptverantwortlichen Gruppe „Querdenken Dresden“ beteiligten sich Initiativen bzw. Zusammenschlüsse wie die „Freie Linke“, „Eltern stehen auf“ oder „Studenten stehen auf“. Auch regionale Gruppen fanden im gemeinsamen Mobilisierungsvideo Gehör, in dem – von melancholischer Musik untermalt – über fast 7 Minuten bereits ein Eindruck hinsichtlich des breiten Themenspektrums der Proteste vermittelt wurde: Frieden, Kinderrechte, Impfpflicht, Selbstbestimmung.
Am Tag selbst startete ab 16 Uhr ein Demonstrationszug am Neumarkt, um im Anschluss einzelne Kundgebungen und ihre Teilnehmer:innen auf dem Weg einzusammeln. Dazu gehörte eine Versammlung der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ am Postplatz, der sich ungefähr 100 Personen angeschlossen hatten. Beschwingt durch einen Achtungserfolg bei kurz vorangegangenen Kommunalwahlen in Nordsachsen, bedankte sich Uta Hesse zu Beginn bei den Anwesenden für die Unterstützung. Hesse hatte am Sonntag zuvor 20 Prozent der abgegeben Stimmen erhalten und so den zweiten Platz eingefahren – noch vor einem gemeinsamen Kandidaten der Parteien SPD, Grüne und Die Linke. Bemerkenswert ist das insbesondere, da es sich bei den „Freien Sachsen“ um eine Partei handelt, deren Parteistrukturen in weiten Teilen aus bekannten Rechtsextremisten wie Michael Brück besteht, der ebenfalls in Dresden vor Ort war. Die Radikalität der Beteiligten machte sich auch im etwa 15-minütigen Redebeitrag des Parteichefs Martin Kohlmannn bemerkbar, der sich von Applaus begleitet für einen „Säxit“ stark machte. Dabei handelt es sich um eine zentrale Forderung der Partei: mehr Autonomie für Sachsen, die Stärkung der „sächsischen Heimat“, die Abkehr von angeblicher „Planwirtschaft“.
Mehr Informationen zu den „Freien Sachsen“ finden sich in unserer Broschüre.
Unter den Anwesenden am Postplatz waren auch Aktivisten des extrem rechten Compact Magazin und junge Neonazis, die sich im Rahmen anderer Proteste gemeinsam mit der Gruppe Division MOL zeigten, die heute zum größten Teil der Partei Der III. Weg beigetreten ist. Ein Teilnehmer trug, vermutlich in Reaktion auf das Verbot des Tragens von gelben sogenannten Judensternen, ein T-Shirt, das mit einem Davidstern und der Aufschrift „ungeimpft“ bedruckt war.
Die Demonstration selbst wurde von altbekannten Neonazis angeführt und zog insgesamt fast drei Stunden durch Dresden. Das Bild, das sich Beobachter:innen bot, verdeutlichte, welche Strukturen im Laufe der letzten fast zweieinhalb Jahre im Kontext der Corona-Proteste zusammengewachsen sind: Reichsbürger, Freie Linke, Alt-Nazis, junge Rechtsextremisten, Esoteriker:innen, friedensbewegte Alt-Linke, D-Promis. Es zeigte sich, dass die propagierten Inhalte weitestgehend nebensächlich sind. Im Kern steht eine schon lange gefestigte Verschwörungsideologie, die geprägt ist von antisemitischen Denkmustern und der Ablehnung der demokratischen Grundordnung. Politiker:innen in Sträflingskleidung, der fortwährende Verweis auf den Nürnberger Kodex, die Rede von „Volksverrätern“, Drohungen gegenüber Journalist:innen. Dieselben Personen sind es, die lautstark „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ und den Austritt aus der NATO fordern, wobei sie gleichzeitig Sympathien für Putins Russland zeigen. Es sind diese Dynamiken, die bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts im Kontext der sog. Mahnwachen für den Frieden zu beobachten waren.
Das Protestgeschehen vom 18.06. zeigt deutlich auf, welche Klientel sich in den letzten Monaten und Jahren zusammengefunden hat. Dieser feste Kern ist sowohl ideologisch als auch gemeinschaftlich gefestigt und es ist davon auszugehen, dass die Beteiligten auch weiterhin auf die Straße gehen werden. Größere Demonstrationen wie in Dresden werden dabei die Ausnahme bilden, zumal der Zulauf im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich geringer geworden ist.
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