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Verbotene Corona-Demos am 04. Dezember in Berlin: Gewalt gegenüber Presse erreicht neue Qualität

Aktualisiert: 6. Dez. 2021


Am 04. Dezember 2021 fanden in Berlin diverse zum Teil verbotene Versammlungen statt, die sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid19-Pandemie richteten. Während die Bewegung um “Querdenken” und Co. inhaltlich stagniert und der Zulauf zu ihren Veranstaltungen derzeit zahlenmäßig weit hinter vergangenen Veranstaltungen zurückbleibt, machte sie am 04.12. insbesondere durch gewaltsame körperliche Übergriffe auf Journalist:innen auf sich aufmerksam.


“Unspaltbar - Wir sind viele!” Unter diesem Motto mobilisierte eine selbsternannte “Demokratiebewegung” für Samstag, den 04. Dezember 2021 zu einer “Großdemonstration” in die Hauptstadt. Angekündigt war ein Demonstrationszug durch die Stadtteile Mitte und Kreuzberg, gegen den sich breiter Gegenprotest formiert hatte. Zu den Veranstalter:innen sollten neben der “Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand” um Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp auch der Berliner Querdenken-Ableger sowie die sogenannte “Freie Linke” und weitere Gruppen aus deren Umfeld gehören - sozusagen der harte Kern der verschwörungsideologischen Berliner Querdenken-Szene, die sich in der Vergangenheit immer wieder als nach rechts hin weit offen gezeigt hatte.


Mit Verweis auf die Tatsache, dass bei vergangenen Veranstaltungen dieser Gruppierungen Auflagen - insbesondere pandemie-bedingte Hygienebestimmungen - missachtet worden waren, untersagte die Berliner Versammlungsbehörde die angekündigte “Großdemo”. In einschlägigen Telegram-Gruppen und -Kanälen wurde daraufhin klar, dass viele der Menschen, die zur geplanten Demonstration kommen wollten, sich vom Verbot nicht abschrecken ließen. Es kursierten etliche Aufrufe, sich trotz allem in Berlin zu versammeln. Zugleich konnte ein Autokorso, der von der Versammlungsbehörde genehmigt worden war, wie geplant stattfinden und diente als Ersatz-Anlaufpunkt für Querdenker:innen.


Im Laufe des Tages gab es so zeitgleich diverse Schauplätze in Berlin, an denen sich Demonstrant:innen versammelten. In Friedrichsfelde startete am frühen Nachmittag der Autokorso. Entlang seiner Strecke nutzten mehrere Redner:innen die Zwischenkundgebungen, um ihre zutiefst verschwörungsideologischen Inhalte zu verbreiten. Hierbei zeigte sich, dass die Bewegung inhaltlich stagniert. Narrative, die bereits seit anderthalb Jahren bekannt sind, reiten sich an jüngere, aber bereits vielfach widerlegte Falschinformationen über die Impfungen gegen das Covid19-Virus. Die Impfstoffe wurden dabei als unwirksam und gen-manipulierend bezeichnet und hinter ihrer Verbreitung die finanziellen Interessen von impfenden Ärzt:innen und der Pharma-Lobby vermutet. Gespickt waren diese und ähnliche Aussagen immer wieder mit dem Verweis auf den sogenannten “Nürnberger Kodex”. Dieser definiert medizinethische Grundsätze für Experimente an Menschen und entstand im Rahmen der Prozesse gegen NS-Ärzte nach dem zweiten Weltkrieg. Hauptgrund für die Formulierung des Kodex’ waren damals die unsäglichen Verbrechen, die von NS-Mediziner:innen begangen worden waren. Einige von ihnen wurden im Rahmen des sogenannten “Nürnberger Ärzteprozesses” zum Tode verurteilt. Von Verschwörungsideolog:innen und radikalen Impfgegner:innen wird in letzter Zeit immer häufiger eine vermeintliche Analogie zwischen den Gräueln des NS und der heutigen Situation betont. In der aktuellen Lage würde der Ärztekodex demnach massiv gebrochen und die Impfung komme den von Ärzt:innen unter dem Nationalsozialismus begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Ein Tribunal wie das des “Nürnberger Ärzteprozesses” würde es deshalb bald wieder geben. Hierin spiegelt sich nicht nur eine NS-Relativierung durch die Gleichsetzung von Errungenschaften moderner Medizin mit nationalsozialistischen Verbrechen, sondern auch der Wunsch nach gewaltsamer (tödlicher) Bestrafung derer, die heute an der Entwicklung und Verbreitung von Corona-Impfstoffen mitarbeiten. Die Relativierung von NS-Verbrechen gipfelte schließlich in der Frage eines Redners bei der Autokorso-Zwischenkundgebung am Checkpoint Charlie: “‘Impfen macht frei.’ Woran erinnert euch das?” Dadurch sollte die derzeitige Lage wohl in Verbindung mit dem nationalsozialistischen Slogan “Arbeit macht frei” gebracht werden. Letzterer, als Inschrift über den Eingangstoren diverser NS-Konzentrationslager angebracht, stellte eine zynische Verhöhnung der in den Lagern inhaftierten und - teilweise durch grausame Zwangsarbeit - getöteten Menschen dar. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) berichtete.

Darüber hinaus drehten sich etliche Redebeiträge und auf Plakaten bzw. an Autos angebrachte Slogans um hinlänglich bekannte Themen. Die Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung wurden wiederholt als “Diktatur” bezeichnet und hinter der derzeitigen Situation der Plan eines “Great Reset” vermutet - eine inzwischen sehr weit verbreitete antisemitische Verschwörungserzählung. Das Tragen von Masken wurde zudem gleichgesetzt mit der Folter von Kriegsgefangenen.


Während der Autokorso also durch seine verschwörungsideologischen Inhalte auffiel, ging zeitgleich von der Jannowitzbrücke ein unangemeldeter Aufzug aus, der am späteren Nachmittag in handfeste Gewalt gegen Pressevertreter:innen münden sollte. Zunächst zogen knapp 100 Personen durch Friedrichshainer Seitenstraßen bis zum Frankfurter Tor. Trotz einiger Festnahmen zeigte sich die Berliner Polizei, die in den ersten anderthalb Stunden nach Beginn des Aufzugs nur mit einem sehr kleinen Aufgebot vor Ort war, nicht imstande, die Gruppen daran zu hindern, sich durch Berlin zu bewegen. Zwar wurde der Protestzug an einigen Punkten durch die anwesenden Beamt:innen und ihre nach und nach eintreffende Unterstützung gesprengt, insgesamt jedoch stieg die Zahl der ohne entsprechende Genehmigung durch Friedrichshain ziehenden Personen weiter an - auch dank schneller Kommunikation über den Messenger Telegram. So war der Protestzug nach einigen Stunden auf wenige hundert Querdenker:innen angewachsen und bewegte sich schließlich vom Frankfurter Tor aus Richtung Norden. Inzwischen war jedoch auch die Berliner Polizei mit genügend Kräften vor Ort, um den Protestzug an einigen Stellen zu stoppen. Der Frust der anwesenden Demonstrant:innen schien sich dadurch zu vergrößern, was schließlich zu einer immer aggressiveren Stimmung führte. Diese entlud sich schließlich ca. gegen 15 Uhr Nahe des Petersburger Platzes in insgesamt fünf dokumentierten, teils sehr gewaltsamen Übergriffen auf Journalist:innen, die den Protestzug begleiteten [1]. In einem Fall wurde eine Gruppe Hamburger Neonazis, die gemeinsam mit dem bekannten Berliner Rechtsextremen Amin K. unterwegs war, dabei gefilmt, wie sie sich über einen Mitarbeiter der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union unterhielt - mutmaßlich in Vorbereitung eines Angriffs auf ihn. Als sie bemerkten, dass sie gefilmt wurden, griffen sie den Journalisten des Tagesspiegels an, der die Situation beobachtet hatte. Ihm wurde sein Smartphone entrissen und weitere Pressevertreter, die herbei eilten, um den Reporter des Tagesspiegels zu schützen, erlitten Verletzungen durch Faustschläge ins Gesicht. Dank des Eingreifens diverser Journalist:innen konnte das Smartphone dem Angreifer entrissen werden. Er wurde kurz darauf durch Beamt:innen der Berliner Polizei festgesetzt. Gegen ihn laufen nun Ermittlungen wegen versuchten räuberischen Diebstahls [2].

Nur wenige Minuten danach griff eine Gruppe von jungen Erwachsenen, die dem Umfeld der neonazistischen Kleinstpartei “Der III. Weg” und der Neonazi-Jugendgruppe “Division MOL” zugerechnet werden, zwei Journalist:innen tätlich an [3]. Nach Berichten von Augenzeug:innen versuchten sie Steine und Glasflaschen als Waffen zu nutzen. Eine Journalistin stürzte und zog sich eine blutende Wunde am Bein zu. Auch hier wurde nur durch das Eingreifen umstehender Personen, mutmaßlich aus dem antifaschistischen Gegenprotest, Schlimmeres verhindert.


Fazit: “Wir sind viele!” hatte die sogenannte “Demokratiebewegung” vor dem 04. Dezember verlauten lassen. An diesem Samstag jedoch zeigte sich zweierlei: Dass die Bewegung in Berlin weder viele Menschen umfasst, noch dass sie eine demokratische “Demokratiebewegung” ist. Lediglich wenige hundert Personen kamen in Berlin zusammen - diese gingen dabei jedoch teilweise höchst undemokratisch und gewaltsam vor.

Tätliche Angriffe gehören leider mittlerweile zum Alltag für jene Journalist:innen, die regelmäßig über verschwörungsideologische Gruppierungen, ihre Versammlungen, Inhalte und personellen Strukturen berichten. Die Vielzahl an gemeldeten Fällen und ihre Brutalität zeigten am 04. Dezember jedoch eine neue Qualität. Damit wurde eines erneut sehr deutlich: Die Feststellungen, dass das Mobilisierungspotential von Querdenken und Co. (derzeit) deutlich geringer ist als in der Vergangenheit und dass die Gruppen sich inhaltlich auf der Stelle bewegen, darf keineswegs über die vorangeschrittene Radikalisierung und die damit verbundene Gefährlichkeit hinwegtäuschen.

Seit weit mehr als einem Jahr warnen Beobachter:innen eindringlich vor dem Gewaltpotenzial, das von Menschen ausgeht, die in einer Blase aus Fake News, Verschwörungserzählungen, Untergangsszenarien und einfachen Schuldzuweisungen gefangen sind. Dies kann sich, wie am 04.12., gegen anwesende Pressevertreter:innen richten, genauso aber auch gegen Gegendemonstrant:innen, politische Entscheidungsträger:innen oder Menschen, die im Medizinsektor bzw. in Teststellen und Impfzentren arbeiten. Es gilt demnach, die Bewegung weiterhin genau zu beobachten und ihren Radikalisierungsprozess und ihre Gewaltandrohungen ernst zu nehmen. Dazu gehört auch, dass die Polizeibehörden in Berlin und anderswo verbotene Versammlungen konsequent unterbinden und Journalist:innen während ihrer Arbeit schützen.

Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus erklärt sich solidarisch mit allen Journalist:innen, die aufgrund ihrer Berichterstattung von Protesten wie jenen in Berlin am 04. Dezember angefeindet oder gar körperlich angegriffen werden.


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