Mehrere tausend Menschen waren am 18. November 2020 im Berliner Regierungsviertel zusammengekommen, um dort gegen das erweiterte Infektionsschutzgesetz zu demonstrieren, über das an diesem Tag im Bundestag und Bundesrat abgestimmt wurde. Die Versammlung der Gegner:innen der Coronaschutzmaßnahmen der Bundesregierung wurde gegen Mittag von der Berliner Polizei aufgelöst, da die Versammlungsauflagen nicht eingehalten worden waren und die Teilnehmenden auch nach mehrfachen polizeilichen Aufforderungen die Hygienevorschriften nicht berücksichtigten.
Bereits im Vorfeld zur Auflösung war bekannt geworden, dass die Polizei Räumfahrzeuge und Wasserwerfer für den Ernstfall bereitgestellt hatte. Als die Wasserwerfer schließlich zum Einsatz kamen, waren die Befürchtungen von Krawallen und gewalttätigen Auseinandersetzungen groß. Es kam zu Würfen diverser Gegenstände wie Milchkartons, Eiern, Böllern und Flaschen sowie zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und gewaltbereiten Demonstrant:innen, unter ihnen auch rechte Hooligans und Vertreter:innen der neonazistischen Szene. Ähnliches ereignete sich bereits auf vergangenen Kundgebungen aus dem Spektrum der Corona-Proteste, zuletzt am 07.11.2020 in Leipzig (https://bit.ly/32VMQLA). Die Wasserwerfer hingegen wurden nicht auf dieselbe Weise eingesetzt, wie es häufig bei linken und antifaschistischen Demonstrationen der Fall ist, zuletzt beispielsweise in Frankfurt am Main am vergangenen Wochenende. Statt die Demonstrant:innen mit gezielten Wasserstrahlen zu beschießen, ließ die Polizei sie beregnen. Ein Grund hierfür sei gewesen, dass unter den Demonstrationsteilnehmenden auch Kinder waren. Laut Aussage der Berliner Polizei wurden bis 14 Uhr bereits 190 Festnahmen durchgeführt. Zu diesen zählten auch die temporären Festsetzungen des rechtsextremen „Volkslehrers“ Nikolai Nerling und des AfD-Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse.
Durch fortdauernde Beregnungen versuchten die Einsatzkräfte die Menge der Demonstrierenden zu versprengen. Im Laufe des Nachmittags lichtete sich der Bereich rund um das Brandenburger Tor und den Pariser Platz. Nur einige hundert Protestler:innen blieben zurück und bauten sich demonstrativ vor den Wasserwerfern auf.
Die Ereignisse des 18. November wurden von einer umfangreichen Berichterstattung rechter Medien- und Pressevertreter:innen begleitet. Zu Ihnen gehörten der YouTuber Mathäus Westfal (bekannt als „Aktivist Mann“) und der Chefredakteur des Compact-Magazins Jürgen Elsässer, die gemeinsam für „Compact TV“ agierten. Besonders AfD-Politiker:innen, unter ihnen MdB Hansjörg Müller und Gunnar Lindemann (Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses), fühlten sich an diesem Tag berufen, vor die Kameras und Smartphones zu treten und sowohl das Geschehen außerhalb wie auch innerhalb des Bundestages zu kommentieren. Ehemalige AfD-Politiker, die ihrem Sendungsbedürfnis folgten, waren außerdem Heinrich Fiechtner und der Rechtsextreme Andreas Kalbitz.
In den Ansprachen und Interviews von AfD- und ehemaligen AfD-Mitgliedern war von der „riesengroßen Fake-Geschichte Corona“ die Rede, die die „Finanzindustrie“ zu verantworten habe, und von den „Marionetten der Pharmaindustrie“ im Bundestag. Die lenkenden Kräfte hinter den manipulierten Regierenden seien Bill Gates in den USA und Christian Drosten in Deutschland. Damit wurden gängige Chiffren bedient, die aus den zum Teil ausgeprägten antisemitischen Verschwörungserzählungen bekannt sind, die seit Beginn der Corona-Pandemie verstärkte Verbreitung finden. Das erweiterte Infektionsschutzgesetz wurde im AfD-Wortlaut als die „ewige Zementierung des Ausnahmegesetzes“ und als Verrat an der Demokratie definiert. Dementsprechend postulierte die AfD-Fraktion im Bundestag ihre Haltung durch Plakate, auf denen das Grundgesetz mit einem Trauerflor und dem Datum des 18. November als vermeintlichem Todestag versehen wurde. Diesen Tenor zum Infektionsschutzgesetz hatte es schon im Vorfeld der heutigen Corona-Demonstration unter den Gegner:innen der Schutz- und Hygienemaßnahmen und in rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Kreisen gegeben: Immer wieder wurde der Vergleich zum Ermächtigungsgesetz von 1933 gezogen. Der offiziell als „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Recht“ bezeichnete Beschluss des Deutschen Reichstages ermöglichte es Adolf Hitler, die gesetzgebende Gewalt zu übernehmen und die NS-Diktatur zu begründen, die den zweiten Weltkrieg und die Shoah zur Folge hatte.
Für die Vertreter:innen und Anhänger:innen der Coronaproteste schien sich in diesem Vergleich auch die Argumentation zu schließen, die sie seit Beginn der Protestbewegung zur Darstellung ihrer empfundenen Entrechtung und Unterdrückung in einer vermeintlich faschistischen „Corona-Diktatur“ führen. Im selben Kontext kam es am 18. November wiederholt zu weiteren NS- und Holocaustvergleichen. Der oft verwendete „Judenstern“, mit dem Jüdinnen*Juden millionenfach von den Nazis stigmatisiert und zu schlimmsten Repressionen, Verfolgungen, zu Zwangsarbeit und zur massenhaften Ermordung verurteilt worden waren, wurde von Demonstrierenden zur Schau getragen und auf geschmackloseste, geschichtsrevisionistische Weise als mahnendes Symbol für den Widerstand deklariert.
Dieser Widerstand, der aus Sicht von Demonstrationsteilnehmer:innen und -organisator:innen spätestens mit dem Beschluss zum Infektionsschutzgesetz gerechtfertigt sei, drückte sich neben einiger Angriffe auf Polizeibeamt:innen auch am 18.11. wieder durch Übergriffe und Beschimpfungen auf Pressevertreter:innen aus. Mit zunehmender Besorgnis werden die Ausschreitungen von Coronamaßnahmengegner:innen und Rechtsextremen, die die Protestbewegung seit März für ihre eigenen Zwecke und politischen Ziele nutzen, gegenüber Medienschaffenden beobachtet. Mittlerweile ist bereits das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes neben der Arbeit mit Kamera oder Smartphone Anlass genug für die Demonstrierenden, Gewaltandrohungen und Beleidigungen auszusprechen oder handgreiflich zu werden.
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