Einige kennen es: Jahrgangstreffen – In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen kommt man mit den alten Schulfreund:innen zusammen. Manche kommen schon seit Jahren nicht mehr, andere lassen sich nach langer Zeit mal wieder blicken. Zu einigen ist der Kontakt ganz abgebrochen, sodass die Zahl der Teilnehmer:innen längst nicht der vergangener Zusammenkünfte entspricht. Man berichtet von neuen Projekten oder der Familie. Ausgetauscht werden vor allem Anekdoten von früher, die schon zig mal erzählt wurden. Die meiste Zeit verbringt man mit jenen, die man sowieso am häufigsten sieht.
So ein bisschen erinnerte die Szenerie in Dresden am 29. Oktober an ein solches Jahrgangstreffen: Mehr als 8.000 waren dem Aufruf zum Theaterplatz gefolgt und somit deutlich weniger als noch bei vergleichbaren bundesweiten Demonstrationen der Vergangenheit. Das Teilnehmer:innenfeld setzte sich aus Organisationen, Gruppen und Parteien aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zusammen, darunter Neonazis, Elterninitiativen und Trommler:innen. Eine bunte Mischung war es. Und dennoch: Richtige Euphorie kam bei den meisten nicht auf. Ein Großteil der Reden und Musikbeiträge (z.B. Anselm Lenz oder Kilez More) wirkten lieblos und wenig ambitioniert. Die Organisation war durchwachsen, sodass viele der Teilnehmenden nicht einmal die Abschlusskundgebung mitbekamen. So richtig was zu erzählen hatte man sich in vielen Fällen aber sowieso nicht, wie beim Jahrgangstreffen eben.
Inhaltlich schnitt man viele Dinge an und warf sie dann zusammen: Corona, Krieg, Klimawandel, Bargeld. Tief in die Marterie ging man in keinem der genannten Fälle. Hauptsache dagegen war die Devise. Doch gegen was überhaupt? Gegen Klaus Schwab und das World Economic Forum, gegen die Corona-Maßnahmen, gegen die Impfungen, gegen die Grünen, gegen Klimaschützer:innen, gegen die USA oder gegen “den Westen”. Wie bei vergangenen Veranstaltungen funktionierten die meisten Redebeiträge schlichtweg über eine Aneinanderreihung von Schlagworten, die sich in den letzten fast drei Jahren im Vokabular und in der Weltanschauung der Beteiligte verankert haben. Besonders markant zeigte sich das in der Rede von Andreas Hofmann (aka “DJ Happy Vibes”) von den rechtsextremen “Freien Sachsen”. Hoffmann verbreitete während seiner Rede, die er auf einem fahrenden Lautsprecherwagen kurz vor der Abschlusskundgebung hielt, verschiedene Verschwörungserzählungen (insbesondere bzgl. Klaus Schwab) und griff unter anderem auf das bekannte antisemitische Motiv des “weltumspannenden Krake” zurück und hetzte gegen Geflüchtete. Ein anderer Redner, Prof. Peter Dierich, sprach von einer angeblichen “impffaschistischen Diktatur”, wodurch er den Nationalsozialismus relativierte. Ähnliche Inhalte ließen sich auf Transparenten von Teilnehmer:innen beobachten.
Der offenkundige Antiamerikanismus vieler Beteiligten spiegelte sich auf Plakaten (“Ami go home”) und Reden (Anselm Lenz) wider und ging in den meisten Fällen mit einer prorussischen Haltung einher. Seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine werden Verschwörungserzählungen auf diesen übertragen und die Schuld der USA oder gar der Ukraine zugeschrieben.
Trotz der problematischen Inhalte und der Tatsache, dass am Samstag mehrere Tausend Menschen mit gefestigter verschwörungsideologischer Weltanschauung in Dresden demonstrierten, ist die Veranstaltung als solche nicht als Erfolg für die Protestbewegung zu werten. Großdemonstrationen wie diese fungieren als reiner Selbstzweck und die inhaltliche Leere legt offen, dass vielen der Teilnehmer:innen mittlerweile fast egal ist, für bzw. gegen was eigentlich demonstriert wird. Und dennoch ist es wichtig und notwendig, die Bewegung weiterhin zu betrachten, insbesondere hinsichtlich neuer Dynamiken und Akteure auf regionaler Ebene. Das hat die Entwicklung der sog. Energieproteste in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich werden lassen, bei denen die AfD es seit geraumer Zeit schafft, den Protesten ihren Stempel aufzudrücken.
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