Kunst darf entsetzen. Die Installation „Märtyrermuseum“ des dänischen Künstlerkollektivs „The other eye of the tiger“ verstört die Gemüter.
Die „Ausstellung“ löste im vergangenen Jahr einen heftigen Skandal in Kopenhagen aus und sorgt nun in Berlin für ähnliche Furore. Die Empörung entzündet sich daran, dass neben hierzulande anerkannten Freiheitskämpfern wie Rosa Luxemburg, Martin Luther King Jr. und Johanna von Orléans auch Terroristen wie Mohammad Atta oder der Bataclan-Attentäter Ismaël Omar Mustafaï unter dem Begriff der „Märtyrer“ in dieser „Ausstellung“ nebeneinander gezeigt werden.
Im Gegensatz zur großen „Ausstellungsversion“ von Kopenhagen steht in Berlin eine verkleinerte mobile Ausführung, welche das Kunstwerk auf das Wesentliche reduziert. Herausgenommen wurde der Schauspieler in körperlicher Gestalt, der die Zuschauer als vermeintlicher Museumsguide durch die Räumlichkeiten eines alten dänischen Schlachthofs führt und sich visuell erkennbar in Person und Geschichte des jeweiligen „Märtyrers“ versetzt.
Im Künstlerhaus Bethanien steht in der Mitte des Ausstellungsraums nur ein einziges mit blauen Vorhängen zugezogenes Kabinett. Dahinter befindet sich die eigentliche „Installation“, die zu jeder vollen Stunde nur 7 Besucher hineinlässt. Nachdem man seine Schuhe ausgezogen hat, betritt man den abgesteckten Raum, in dem ein mit Kopfhörern bestückter weißer Sitzwürfel auf jeden Besucher wartet. An den Wänden links und rechts hängen über die gesamte Höhe von etwa zwanzig Metern einzeln beleuchtete Fotos von „Märtyrern“ aus allen Kulturen, Religionen und verschiedenen Zeiten. Neben den Fotos befinden sich kurze Texte zur Erklärung und dazu gibt es rekonstruierte Exponate unter Glasglocken.
Eine wie zufällig scheinende Auswahl dieser Geschichten erklingt durch den 35-minütigen Audioguide, der die Stimme und Performance des Schauspielers Morten Hee Andersen mit diversen Soundeffekten als schauriges Hörspiel transportiert. Zur gespenstischen Stimmung tragen intensive Drumloops bei, die als spannungsgeladene Brücke zwischen den Erzählsequenzen erklingen und vom Sterbeakt einzelner „Märtyrer“ berichten.
Werden hier etwa Selbstmordattentäter glorifiziert, indem ihnen ein Andenken gewidmet wird?
Ist es moralisch verwerflich, Terroristen in einer „Installation“ zusammen mit Freiheitskämpfern darzustellen, die nur ihr eigenes Leben opferten und keine Unschuldigen in den Tod rissen?
Macht es also gar keinen Unterschied, ob die Heilige Apollonia freiwillig ins Feuer lief, um in Ägypten ihren christlichen Glauben nicht aufzugeben oder ob Dzhennet Abdurakhmanova, die 17-jährige tschetschenische Selbstmordattentäterin, sich 2010 an der Moskauer Metro Station in die Luft jagte und dabei über 40 Menschen tötete?
„Natürlich macht es einen riesengroßen Unterschied“, sagt Ricarda Ciontos, künstlerische Leiterin des Nordwind-Festivals, in dessen Rahmen das „Märtyrermuseum“ stattfindet. Der Begriff des „Märtyrers“ wird auf der Welt unterschiedlich verwendet, wie sich bei Betrachtung der Gesamtschau zeige. „Wenn man sich zum Beispiel die Märtyrermuseen im Iran oder Irak oder in anderen islamischen Ländern ansieht, dann wird man feststellen, dass viele dieser Museen Leute ehren, die wir als Mörder und Terroristen empfinden.“
Eine zentrale Motivation der Kunstinstallation sei es, die Unterschiedlichkeiten der Begriffsverwendung als solches zu präsentieren. Das Künstlerkollektiv will laut seines Leiters Henrik Grimbäck dazu anregen, das „Märtyrertum“ weiter zu erschließen und sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Was auch immer man davon halten mag – wie eine Glorifizierung der benannten Terroristen wirkt die Installation nicht. Eher wie eine gespenstische Gegenüberstellung von nicht zu vergleichenden Lebensentwürfen, deren Bewertung von Gut und Böse sich bei näherer Betrachtung und Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk durchaus erschließt.
Eine Heldenverehrung ist das „Märtyrermuseum“ daher nicht. Was aber die in der Installation aufgezeigte Unterscheidung im gesellschaftlichen Diskurs bewirken soll, bleibt unklar. Dass mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden, ist Teil des Konzepts. Hinzu kommt wahrscheinlich auch die Frage, ob sich die Künstler eines Themas angenommen haben, das ihnen in der weiteren Auseinandersetzung über den Kopf wächst, weil sie sich auf sehr prekäres Terrain begeben. Die „Installation“ als reines Kunstwerk jedenfalls ist auf eine gespenstische Weise beeindruckend und durchaus informativ.
Kunst darf verstören. Aber man muss nicht alles gut und angemessen finden, dass unter dem Schutz der Freiheit der Kunst präsentiert wird. Die Installation provoziert und muss Kritik aushalten. Gut finden muss man sie nicht.
(4.12.2017)
Photo: Henrik Grimbäck
Comentários