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Rede Reinhard Borgmann #unteilbar 13.10.2019

„Jüdinnen und Juden brauchen heutzutage mehr Schutz. Wer von ihnen würde da nicht zustimmen? Schutz durch dicke Türen, Mauern, Barrikaden, Schutz durch Waffen, Schutz durch die Polizei. Vielleicht – meine ich – hätte ja auch ein direkt mit der Polizei verbundener Alarmknopf in der Synagoge in Halle Schlimmeres verhindern können. Immerhin – so etwas gibt es in jeder kleinsten Bankfiliale – als Schutz vor Überfällen. Warum gab es das in Halle nicht?

Zwei Tote, zwei Verletzte – was ist das für ein fürchterlicher Preis für die Bräsigkeit der Polizei und die mangelnde Sensibilität für die Gefahren des Antisemitismus. Ein Alarmknopf fehlte anscheinend auch einigen Politikern, die erst jetzt aufwachen. Hallo AKK! Und das nach Jahren offensichtlichen rechtsextremen Terrors in Deutschland, der doch keinem denkenden Menschen entgangen sein kann.

Aber mit dem Schutz vor Gewalt ist das so eine Sache. Es stimmt ja: nicht vor jeder Synagoge oder jeder jüdischen Schule kann jederzeit eine Anti-Terror Einheit der Polizei stehen. Und nicht neben jeder Jüdin oder jedem Juden ein Polizist. Aber, und das frage ich mich, was ist das für eine Gesellschaft, in der man solche Überlegungen überhaupt anstellen muss?

Eine Gesellschaft, in der rechtsextreme Gewalttäter offenbar jahrzehntelang schwimmen können wie die Fische im Wasser. Wer sind diejenigen, die sie schützen? Im strafrechtlichen Sinn kann das möglicherweise aufgeklärt werden – hoffentlich. Mein Vertrauen hält sich da allerdings in Grenzen.

Aber was ist mit denjenigen, die deren antisemitische Ansichten teilen und sich nur nicht trauen sie so radikal auszuleben? Was ist mit denjenigen, die ihnen Mut machen? Und was mit denjenigen, die ihre Absichten ahnen oder gar von ihnen wissen und wegschauen?

Alle diese zusammen bilden das Milieu, an das die Täter ihre Taten adressieren. Von diesem Milieu – auch wenn es vielleicht nur im Internet existiert – fühlen sie sich zu ihren Anschlägen ermächtigt.

Dieses Milieu – und darauf will ich hinaus – kann sich auf diejenigen berufen, die seit Jahren die Gefahren des Rechtsextremismus herunterspielen. Dazu zählt zum Beispiel der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf, der über Jahrzehnte sein Bundesland pauschal von neonazistischen Tendenzen freigesprochen hat. Oder der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen. Was soll ich zu dem noch sagen? Dieser Mann ist eine Schande für das Land. Menschen wie er sorgen dafür, dass immer weniger Vertrauen in die staatlichen Institutionen gesetzt wird.

Was für eine Schande für dieses Land auch, dass Führer der AfD jedes Maß verloren haben und den Nationalsozialismus und den Holocaust bagatellisieren.

Was für eine Schande, dass Millionen Bürger dieses Landes ganz bewusst diese Partei wählen und damit Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine demokratische Legitimation verschaffen.

Manche von Ihnen werden sagen, diese verhängnisvolle Wahl hätte mit der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft zu tun. Darauf kann ich nur antworten: das scheint ein Vorurteil zu sein: über 80 Prozent der AfD Wähler sind nach eigenem Bekunden mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden.

Andere von Ihnen meinen vielleicht, AfD-Wähler würden die Tragweite ihrer politischen Haltung intellektuell nicht überblicken. Frei nach dem Motto: denn sie wissen nicht, was sie tun. Auch das scheint mir ein bequemes Vorurteil zu sein, was allerdings von vielen Politikern und manchen Medien gepflegt wird. Ich meine: Auch AfD-Wähler wissen, was sie tun – selbst wenn sie ihre Haltung nicht offen aussprechen.

Der Rechtsextremismus in Deutschland hat inzwischen einen beängstigenden Resonanzraum erhalten. Ein Resonanzraum, der sich immer mehr ausweitet und den Gewalttätern in die Hände spielt. Und das ist der Skandal.

Ein Resonanzraum, der längst tot geglaubte jahrtausendealte Vorurteile gegen Juden wieder lebendig werden lässt. Verschwörungstheorien über den angeblich weltweiten Einfluss von Juden auf Regierungen propagiert heutzutage nicht nur der Attentäter von Halle.

Zum modernen Judenhass – nicht nur von Rechtsextremisten – gehört auch, das Existenzrecht Israels infrage zu stellen, zum Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen aufzurufen und die Politik israelischer Regierungen pauschal den Juden zuzurechnen.

Keiner von Ihnen hier käme auch nur auf die Idee, Donald Trumps ich sag es mal vorsichtig – erratische Politik – pauschal allen US-Bürgern zuzurechnen.

Menschenfeindlichkeit gegen Juden, gegen Muslime, gegen Menschen anderen Geschlechts, gegen Menschen anderer Hautfarbe, gegen Menschen anderer Herkunft – Demütigungen, Diffamierungen, Diskriminierungen. Das sind Alles Angriffe auf die Menschenrechte.

Lassen wir uns das nicht gefallen. Lasst uns darauf mit Solidarität antworten, und von Polizei, Justiz und Politik effektiven Schutz von Minderheiten einfordern.

Aber lasst uns auch bei unseren Freunden, Nachbarn oder Kollegen Grenzen ziehen. Sagen Sie Stopp. Sagen Sie, das ist menschenverachtend. Das erfordert Mut. Bringen Sie ihn auf. Hass und Ausgrenzung sind viel zu lange in unseren eigenen Alltag eingesickert. Es wird Zeit, dass wir uns alle dagegen wehren. Hier und heute und jeden Tag: unteilbar eintreten für eine offene und solidarische Gesellschaft.“

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