Pressemitteilung, Analyse und kritische Stellungnahme des JFDA e. V. zum Beschluss der Partei Die Linke, die JDA anstelle der IHRA-Definition zu verwenden
- JFDA
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Aktualisiert: vor 9 Minuten

Pressemitteilung
Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) verurteilt den Beschluss von Die Linke zur Antisemitismusdefinition als ignorant und gefährlich.
Berlin, 12.05.2025 – Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) kritisiert aufs Schärfste den Beschluss der Partei Die Linke, die international anerkannte IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus abzulehnen und sich stattdessen der umstrittenen „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus" (JDA) zuzuwenden. Dieser Schritt, vollzogen auf dem Parteitag in Chemnitz am 9. Mai 2025, ist ein schwerer Rückschlag für den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und ignoriert die klare Haltung der umfassenden Mehrheit jüdischer Organisationen in Deutschland und weltweit.
„Die Entscheidung der Linken ist ein Akt der Ignoranz gegenüber denjenigen, die tagtäglich von Antisemitismus betroffen sind", so Levi Salomon, Sprecher vom JFDA. „Nahezu alle maßgeblichen jüdischen Vertretungen, vom Zentralrat der Juden über die Jüdische Studierendenunion bis zur WerteInitiative, haben diesen Beschluss verurteilt und sehen die IHRA-Definition als unverzichtbares Instrument. Wenn Die Linke nun meint, eine bessere Definition gegen den Willen der Betroffenen durchsetzen zu können, disqualifiziert sie sich als ernstzunehmender Partner im Kampf gegen Judenhass."
Die Linke begründet ihre Ablehnung der IHRA-Definition mit der Behauptung, diese werde als „repressives Instrument" zur Unterdrückung von Meinungsfreiheit und „unliebsamer Kritik" missbraucht. Diese Darstellung verzerrt die Realität. Die IHRA-Definition ist ein international anerkannter Standard, der hilft, Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen – einschließlich des modernen, oft israelbezogenen Antisemitismus – klar zu identifizieren, ohne legitime Kritik an israelischer Regierungspolitik zu unterbinden.
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, erklärte, Die Linke zeige mit diesem Beschluss, dass sie „nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland" stehe. Die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) sieht sich in ihrer Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit der Partei erheblich eingeschränkt."
„Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) schließt sich dieser Kritik vollumfänglich an. Die IHRA-Definition bietet eine notwendige und differenzierte Grundlage, um Antisemitismus zu erkennen und zu bekämpfen. Die JDA hingegen wird von vielen Experten als unzureichend angesehen und birgt die Gefahr, bestimmte antisemitische Äußerungen zu verharmlosen", so Levi Salomon weiter. „Die Linke schwächt mit diesem Beschluss die gemeinsame Front gegen Antisemitismus und sendet ein folgenschweres Signal. Wir fordern die Partei dringend auf, ihre Entscheidung zu revidieren und zur bewährten und breit akzeptierten IHRA-Definition zurückzukehren."
Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) bekräftigt seine uneingeschränkte Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft und wird sich weiterhin für die Anwendung und Stärkung der IHRA-Definition als zentrales Element im Kampf gegen Antisemitismus einsetzen.
Analyse des Beschlusses der Partei Die Linke
Kontext und Inhalt des Beschlusses:
Die Partei Die Linke hat auf ihrem Parteitag in Chemnitz am 9. und 10. Mai beschlossen, sich im Kampf gegen Antisemitismus zukünftig an der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus" (JDA) zu orientieren und die „Arbeitsdefinition Antisemitismus" der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) abzulehnen. Der Beschluss trägt den Titel „Antisemitismus, Repression und Zensur bekämpfen – Jerusalemer Erklärung umsetzen, tragfähige Grundlagen schaffen!".
Kernargumentation der Linken gegen die IHRA-Definition:
Instrumentalisierung zur Repression: Die Linke sieht die IHRA-Definition als ein Instrument, das zunehmend missbraucht werde, um den Zugang zu Räumen und Fördermitteln zu kontrollieren.
Gefahr für Meinungsfreiheit: Damit verbunden seien geheimdienstliche Überprüfungen, Personenkontrollen und Bekenntniszwänge. Die Definition diene dazu, "unliebsame Kritik und politischen Protest zu verhindern".
Juristisches Einfallstor für autoritäres Handeln: Die Verwendung der IHRA als juristisches Mittel wird als "massives Einfallstor für autoritäres, staatliches Handeln" kritisiert.
Kernargumentation der Linken für die JDA:
Die JDA wird als Alternative präsentiert, die eine „tragfähige Grundlage" im Kampf gegen Antisemitismus schaffen soll, ohne die von der Linken befürchteten repressiven Nebenwirkungen der IHRA-Definition.
Reaktionen und Kritik jüdischer Organisationen:
Der Beschluss der Linken stieß auf massive und übereinstimmende Kritik seitens führender jüdischer Organisationen in Deutschland:
Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD):
Betont, dass nahezu alle jüdischen Organisationen deutschland- und weltweit die IHRA-Definition unterstützen.
Wirft der Linken vor, mit der Annahme der JDA ihre „eigene Definition über die Stimmen der Betroffenen" zu stellen.
Konstatiert, dass sich Die Linke „für eine weitere Zusammenarbeit disqualifiziert".
WerteInitiative – jüdisch-deutsche Positionen e.V.:
Verurteilt den Beschluss scharf als „fatales politisches Bekenntnis gegen die weltweit bewährte Definition von Antisemitismus”.
Die JDA wird als ungeeignet und verharmlosend eingeordnet, da sie israelbezogenen Antisemitismus relativiert und damit Bedrohungen für jüdisches Leben verschleiert.
Schließt ebenfalls eine Zusammenarbeit mit Die Linke aus und ruft dazu auf „die Zusammenarbeit mit politischen Kräften zu überdenken, die nicht jeden Antisemitismus klar und solidarisch benennen und bekämpfen”.
Zentralrat der Juden in Deutschland (Dr. Josef Schuster):
Stellt fest: „Die Linke zeigt, wo sie steht - und das ist nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland."
Bezeichnet die IHRA-Definition als „geeignetste Form, antisemitische Handlungen und Äußerungen zu identifizieren", da sie Antisemitismus in konkreten Erscheinungsformen benennt.
Kritisiert die Ignoranz der Linkspartei gegenüber der jüdischen Gemeinschaft und sieht darin einen "radikalen Kern der Partei, der - getrieben vom Hass auf Israel - dazu beiträgt, den Antisemitismus unserer Zeit zu verschweigen.
Fachliche Einordnung durch RIAS e.V. und JFDA e.V.
Auch Fachorganisationen wie der RIAS Bundesverband und das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) positionieren sich kritisch gegenüber der JDA und befürworten die IHRA-Definition:
RIAS Working Paper: Analysiert den politischen Rahmen, die Kerndefinition und die Leitlinien der JDA, was auf eine kritische Auseinandersetzung mit deren Eignung schließen lässt. Es wird bemängelt: „Die Entwicklung einer stringenten Antisemitismusdefinition leistet sie [die JDA] nicht.”
JFDA: Argumentiert in Publikationen explizit, warum die IHRA-Definition beibehalten werden sollte und warum die JDA für die Antisemitismusbekämpfung nicht akzeptabel sei. Ein Kernpunkt ist, dass die JDA bestimmte Formen des israelbezogenen Antisemitismus weniger klar erfasst oder sogar legitimiert, während die IHRA-Definition hier präzisere Handhaben bietet, ohne legitime Kritik an israelischer Regierungspolitik pauschal als antisemitisch zu verurteilen.
Analyse der Motive und Implikationen:
Die Linke und Israelkritik: Der Beschluss von Die Linke kann als Versuch interpretiert werden, Raum für eine als „legitim" empfundene, oft sehr scharfe Kritik an der Politik des Staates Israel zu schaffen, die unter der IHRA-Definition möglicherweise als antisemitisch bewertet werden könnte. Die Sorge vor einer „Immunisierung" Israels durch die IHRA-Definition ist ein wiederkehrendes Motiv in diesen Debatten.
Missachtung der Betroffenenperspektive: Ein zentraler Kritikpunkt ist die eklatante Missachtung der Positionen derjenigen, die von Antisemitismus betroffen sind. Jüdische Organisationen sehen in der IHRA-Definition ein wichtiges Werkzeug, das auf breitem internationalem Konsens – auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaften – beruht. Die Entscheidung von Die Linke , diesen Konsens zu verlassen, wird als Affront und als Signal mangelnder Solidarität gewertet.
Schwächung des Antisemitismuskampfes: Indem Die Linke eine etablierte und breit anerkannte Definition ablehnt, schafft sie Verwirrung und schwächt potenziell die gemeinsame Front gegen Antisemitismus. Die JDA, obwohl von einigen Akademiker:innen unterstützt, genießt bei weitem nicht den gleichen Rückhalt bei Betroffenenorganisationen und staatlichen Akteur:innen.
Gefahr der Verharmlosung: Kritiker:innen befürchten, dass die JDA, insbesondere in ihrer Abgrenzung zur IHRA, bestimmte Erscheinungsformen des Antisemitismus, explizit den israelbezogenen Antisemitismus, verharmlosen oder ausblenden könnte. Die Argumentation der Linken, die IHRA sei ein "repressives Instrument", lenkt von der Notwendigkeit ab, Antisemitismus in all seinen Formen klar zu benennen.
Politische Isolation: Mit diesem Beschluss isoliert sich Die Linke von einem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens in Deutschland und international im Kampf gegen Antisemitismus und setzt die Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen aufs Spiel.
Fazit der Analyse:
Der Beschluss der Partei Die Linke ist ein hochproblematischer Schritt, der tiefgreifende negative Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit der Partei im Kampf gegen Antisemitismus hat. Er ignoriert die Expertise und die Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft, schwächt etablierte Instrumente der Antisemitismuserkennung und -bekämpfung und nährt den Verdacht, dass es primär darum geht, antiisraelische Positionen vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu schützen. Die scharfen Reaktionen jüdischer Organisationen sind eine direkte und verständliche Folge dieses Kurswechsels.
Kritische Stellungnahme zum Beschluss der Partei Die Linke
Die Linke irrlichtert im Antisemitismuskampf: Eine fatale Fehlentscheidung auf Kosten der Betroffenen
Der jüngste Beschluss der Partei Die Linke, die international anerkannte IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus abzulehnen und stattdessen auf die umstrittene „Jerusalemer Erklärung" (JDA) zu setzen, ist eine Missachtung gegenüber aller Jüdinnen und Juden und ein schwerer Rückschlag für den ernsthaften Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland. Diese Entscheidung ist nicht nur ignorant gegenüber der umfassenden Mehrheit jüdischer Organisationen weltweit, sondern sie ist auch gefährlich, da sie etablierte Werkzeuge zur Erkennung und Bekämpfung von Judenhass untergräbt.
Missachtung der Stimmen, die zählen:
Es ist ein Akt beispielloser Anmaßung, wenn Die Linke glaubt, besser als die jüdische Gemeinschaft selbst definieren zu können, was Antisemitismus ist und wie er bekämpft werden soll. Die Jüdische Studierendenunion Deutschland, der Zentralrat der Juden und die WerteInitiative – um nur einige zu nennen – haben übereinstimmend und unmissverständlich deutlich gemacht, dass dieser Beschluss inakzeptabel ist und die Partei sich für jede Zusammenarbeit disqualifiziert. Wenn Die Linke von „Repression und Zensur" durch die IHRA-Definition spricht, ignoriert sie geflissentlich, dass diese Definition gerade von denen unterstützt wird, die täglich Antisemitismus erfahren und ein vitales Interesse an seiner effektiven Bekämpfung haben.
Die IHRA-Definition – Ein notwendiges und differenziertes Instrument:
Die Behauptung, die IHRA-Definition diene primär der Unterdrückung von Kritik an Israel, ist eine durchsichtige Schutzbehauptung. Die IHRA-Definition, einschließlich ihrer Beispiele, erlaubt explizit Kritik an der israelischen Regierungspolitik, vergleichbar mit Kritik an jeder anderen Regierung. Sie zieht jedoch dort eine klare rote Linie, wo Israel dämonisiert, delegitimiert oder mit doppelten Standards gemessen wird – klassische antisemitische Muster, die sich heute oft im Gewand der "Israelkritik" verbergen. Die IHRA-Definition ist das Ergebnis eines mehrjährigen Konsultationsprozesses unter Beteiligung von Antisemitismusforscher:innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Vertreter:innen von Regierungen und internationalen Institutionen. Sie stellt einen breit getragenen internationalen Konsens dar, der als praktisches Instrument dient, um Antisemitismus in seinen vielfältigen Erscheinungsformen – einschließlich israelbezogenem Antisemitismus – zu identifizieren und zu bekämpfen.
Die JDA – Eine problematische Alternative:
Die von Die Linke favorisierte JDA hingegen wird von vielen Expert:innen und jüdischen Organisationen als unzureichend und potenziell verharmlosend kritisiert. Sie droht, gerade jene Formen des Antisemitismus zu relativieren, die sich gegen den jüdischen Staat richten und oft genug in offenen Judenhass umschlagen. Die Argumente von Die Linke gegen die IHRA-Definition wirken wie der Versuch, sich unliebsamer Auseinandersetzungen mit antisemitischen Tendenzen in den eigenen Reihen oder im eigenen politischen Umfeld zu entledigen.
Ein fatales Signal:
Mit diesem Beschluss stellt sich Die Linke nicht nur außerhalb des breiten demokratischen Konsenses, sondern sendet auch ein fatales Signal: Die Sorgen und die Expertise der jüdischen Gemeinschaft zählen offenbar weniger als ideologische Vorbehalte oder die Rücksichtnahme auf anti-israelische Strömungen. Statt Antisemitismus entschieden zu bekämpfen, schafft Die Linke Verwirrung und untergräbt die Grundlagen für eine gemeinsame und effektive Gegenwehr.
Unsere Position ist klar!
Wir stehen fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft und unterstützen uneingeschränkt die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Sie ist das derzeit beste und breitest akzeptierte Instrument, um Judenhass in all seinen Erscheinungsformen zu identifizieren und zu bekämpfen. Der Beschluss der Partei Die Linke ist ein Irrweg, der den Kampf gegen Antisemitismus schwächt und die Partei als ernstzunehmenden Partner in dieser Auseinandersetzung disqualifiziert. Wir fordern Die Linke auf, diesen fatalen Beschluss zu überdenken und zur bewährten Grundlage der IHRA-Definition zurückzukehren. Andernfalls muss klar sein: Wer die Stimmen der Betroffenen ignoriert und bewährte Instrumente diskreditiert, steht nicht auf der Seite derer, die Antisemitismus bekämpfen, sondern leistet denen Vorschub, die ihn verbreiten oder verharmlosen.
Quellen
Die Linke: Antisemitismus, Repression und Zensur bekämpfen - Jerusalemer Erklärung umsetzen, tragfähiges Fundament schaffen!. https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/hallescher-parteitag-2024/hallescher-parteitag/beschluesse-und-resolutionen/detail/antisemitismus-repression-und-zensur-bekaempfen-jerusalemer-erklaerung-umsetzen-tragfaehiges-fundament-schaffen/
Die Linke: Tagung des 9. Parteitages 9. bis 10. Mai 2025 in Chemnitz, Antragsheft II. https://www.die-linke.de/fileadmin/1_Partei/parteitage/Parteitag_Chemnitz/Antragsheft2_final.pdf
JFDA: Warum wir an der IHRA-Definition festhalten - Zur "Jerusalem Declaration on Antisemitism" (JDA). https://www.jfda.de/post/warum-wir-an-der-ihra-definition-festhalten-zur-jerusalem-declaration-on-antisemitism-jda
JFDA: Mythos 4, Antisemitismus ist Rassismus. https://www.jfda.de/mythos4
WerteInitiative: Pressemitteilung Jüdischer Verein verurteilt Beschluss der Partei Die Linke. https://werteinitiative.de/pm_linke_jda/
JSUD: Stellungnahme der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. https://www.instagram.com/p/DJfFOdNslEQ/?img_index=4
RIAS Working Paper 01/24: Zur Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA): Eine kritische Analyse. https://report-antisemitism.de/documents/2024-12-02_RIAS_Working-Paper-2.pdf
Zentralrat der Juden in Deutschland: Linkspartei gegen die IHRA-Definition. https://www.zentralratderjuden.de/presseerklaerungen/linkspartei-gegen-die-ihra-definition/