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Jahresbericht des Projektes „Mitzpe* – Recherchezentrum Antisemitismus und Demokratiegefähdungen“

Das Projekt „Mitzpe – Recherchezentrum Antisemitismus und Demokratiegefährdungen“ des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. (JFDA) gewährleistet einerseits eine vertiefte Recherche im Kontext einer aktuellen Feld- und Diskursbeobachtung, die in eine zeitnahe Berichterstattung im Netz umgesetzt wird, um so die Öffentlichkeit für antisemitische und antidemokratische Phänomene und Vorfälle zu sensibilisieren. Mithilfe einer fortlaufenden Online-Recherche und Feldbeobachtung werden antisemitische Vorfälle und Diskurse unterschiedlichster Couleur (klassischer antijudaistischer und rassistischer, revisionistischer, „antizionistischer“/israelbezogener, verschwörungsideologischer und struktureller Antisemitismus) in unterschiedlichen Spektren (völkisch-rassistischer sowie ethnozentriert-kulturalistischer Rechtsextremismus, „Querfront“, Islamismus etc.) erfasst. In seiner Berichterstattung legt das JFDA Wert darauf, dass der Antisemitismus – also die politisch, sozial, rassistisch oder religiös grundierte Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden – einerseits als besonderes Diskriminierungsmuster benannt und erkennbar gemacht, andererseits aber auch im weiteren Kontext der – rassistischen, ethnozentriert-kulturalistischen und religionsbezogenen, aber auch sozialen, sexistischen, LSBTIQ-feindlichen usw. – Diskriminierung und Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit behandelt wird. Im Jahr 2018 wurden im Rahmen der Feldbeobachtung mehr als 30 Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen begleitet. Der vorliegende Jahresbericht gibt – entlang der Kategorien „Israelbezogener Antisemitismus“, „Rechtsextremismus“, „Juristisches“ und „Sonstiges“ – einen Überblick über entsprechende Vorfälle und ordnet deren Relevanz hinsichtlich der Verbreitung von Antisemitismus sowie anderer Diskriminierungsmuster und Formen der Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein.

Zusammenfassung

Der Großteil der rechtsextremen Demonstrationen in Berlin ist nicht von organisierten Neonazi-Strukturen (wie etwa der NPD oder Kameradschaften) organisiert und durchgeführt worden, sondern häufig von Einzelpersonen aus dem rechten oder rechtsextremen Milieu, die vor allem über soziale Netzwerke wie Facebook zur Teilnahme an ihren Veranstaltungen aufriefen. Unter verschiedenen Labels wie „Wir für Deutschland“, „Hand in Hand“ oder „Marsch für die Frauen“ gelang es ihnen, ein breit gefächertes Milieu von bürgerlichen bis hin zu rechtsextremen Personen zu mobilisieren. Organisierten Neonazi-Strukturen scheint bewusst zu sein, dass sie angesichts einer erfolgreichen Konkurrenzpartei, die auch imstande ist, rechtsextremes Wählerpotenzial zu absorbieren, mit eigenen Demonstrationen derzeit kaum Wählerstimmen dazugewinnen dürften. Aus diesem Grund scheinen sie auf entsprechende Konkurrenzveranstaltungen (bspw. gegen den „Migrationspakt“) bewusst zu verzichten und stattdessen an diesen Veranstaltungen teilzunehmen, sich zum Teil sogar als Ordner oder Redner inhaltlich einzubringen. Das verweist allerdings nicht auf eine Schwäche oder Einflusslosigkeit rechtsextremer Milieus, sondern auf die erodierende Abgrenzung von Teilen des Bürgertums gegenüber solchen Gruppen und Personen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer rechtsextremer Demonstration schreckten nicht davor zurück, offen antisemitische Aussage zu verbreiten.

Akteurinnen und Akteure im Bereich des „israelbezogenen Antisemitismus“ weisen häufig den Vorwurf des Antisemitismus von sich und bemühen sich zuweilen, ihr Engagement als „Israelkritik“ zu verklären. Die Glorifizierung der Intifada – also des bewaffneten Kampfes gegen Israel –, die fortlaufende Dämonisierung und Delegitimierung Israels als Unrechts- und „Apartheidstaat“ sowie Boykottaufrufe gegen israelische Waren, Künstler und Wissenschaftler verdeutlichen jedoch, dass hinter dem vermeintlich bürgerrechtlichen Engagement für „politische Gefangene“ oder gegen „Besatzung“ im Kern antisemitische Ressentiments stecken, die sich – wie am 1. Mai geschehen – auch in Gewalt gegenüber Menschen entladen können, die sich gegen Antisemitismus positionieren. Zu beobachten war, dass im Themenfeld „israelbezogener Antisemitismus“ häufig islamistisch motivierter Antisemitismus mit einer „antiimperialistisch“-linken Weltanschauung zusammentrafen. Grundsätzlich ist zu anzumerken, dass abgesehen von den festen Terminen (etwa der 1. Mai, der Al-Quds-Tag oder der Tag zum Gedenken an die so genannte „Nakba“) die anlassbezogenen Aktionen (in Reaktion auf konkrete Ereignisse im Nahen Osten) im Vergleich zum Vorjahr (als es wegen der von Trump angekündigten Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem große und aggressive antiisraelische Kundgebungen gab) weniger dominant waren. Gleichzeitig war die Szene bemüht, ihre Aktionen zu verstetigen und beispielsweise mit Vortragsveranstaltungen oder Kundgebungen auch ohne konkreten „Anlass“ für ihre antisemitische Agenda zu werben.

Da es – außerhalb von Demonstrations- oder Veranstaltungssituationen – in der Regel nicht möglich ist, bei antisemitischen, rassistischen, homophoben etc. Attacken vor Ort zu sein, bietet die juristische Aufarbeitung von Hasskriminalität für das Projekt Mitzpe die einzige Möglichkeit, Hintergründe und Informationen über solche Vorfälle zu sammeln und diese aufzuarbeiten. Bei einem Großteil der juristischen Fälle, über die das Projekt Mitzpe berichtet hat, hat es zum Zeitpunkt des Vorfalls keine entsprechende Berichterstattung gegeben – entweder, weil der entsprechende Vorfall keinen Einzug in die Pressemeldungen der Polizei gefunden hat oder dessen politische Tragweite unterschätzt wurde. Insofern stellt die Gerichtsberichterstattung des Projekts Mitzpe auch ein erschütterndes Zeugnis über die Regelmäßigkeit von menschenfeindlich motivierten Gewalttaten in der Hauptstadt dar.

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