Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. (JFDA) ist entsetzt über den antisemitischen Angriff, der sich am Sonntag, den 4. Oktober 2020 vor der Synagoge Hohe Weide im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel ereignet hat. Das Opfer ist ein 26-jähriger jüdischer Student, auf dem Weg in die Synagoge war und eine Kippa trug, als er von einem 29-jährigen Mann in Militärkleidung unvermittelt mit einem Klappspaten attackiert und schwer am Kopf verletzt wurde.
Der Angreifer wurde wenige Minuten nach der Tat von Polizeibeamten festgenommen. Die Ermittlungen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung haben der Staatsschutz des LKA sowie das Fachdezernat für Tötungsdelikte übernommen. Nach Angaben der Polizei ist bisher wenig über den Täter bekannt. Es handele sich bei ihm um einen 29 Jahre alten Deutschen, der vor der Tat in psychiatrischer Behandlung war und während der Tat laut Medienberichten einen Zettel mit einem Hakenkreuz und ein Taschenmesser in der Tasche trug. Levi Salomon, Sprecher und Koordinator des JFDA, erklärt zu der Attacke: „Unsere Gedanken sind bei dem Opfer, dem wir gute Genesung wünschen. Wir verurteilen diese antisemitische Attacke aufs Schärfste. Dieser Angriff muss als das benannt werden, was er ist, nämlich antisemitische Gewalt gegen einen Juden, unabhängig vom psychischen Zustand des Täters.“ Ermittler:innen hatten erklärt, dass die Vernehmung des mutmaßlichen Täters sich schwierig gestaltet, da dieser einen „extrem verwirrten Eindruck“ macht.
Weiter erklärt Salomon: „Dieser antisemitische Angriff kommt nicht aus dem luftleeren Raum. Er ist auch eine Folge der zunehmenden Verrohung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und antisemitischer Gewaltphantasien, die tagtäglich in der realen und in der digitalen Welt verbreitet werden.“
Mit einer Pathologisierung von antisemitischen Angreifer:innen als „psychisch auffällig“ oder „verwirrt“ und der steten Proklamation, dass es sich bei diesen um „Einzeltäter“ handele, wird nicht angemessen auf das Problem reagiert. Im Gegenteil: Antisemitismus ist ein reales, gesamtgesellschaftliches Problem in Deutschland, ungeachtet dessen, ob dieser rechtsextrem, neonazistisch, islamisch oder linksradikal motiviert ist. Es darf nicht als Ausnahmeerscheinung kleingeredet werden. Die Konsequenzen, zu der auch und im besonderem Maße der fehlende bzw. mangelhafte Schutz jüdischer Gemeindeeinrichtungen und Institutionen gehört, sind fatal, wie es nicht zuletzt das furchtbare Attentat von Halle am 9. Oktober 2019 verdeutlicht hat.
Das Wallfahrtsfest „Sukkot“ gehört zu den wichtigsten Feiertagen im jüdischen Kalender. Mit der „Sukka“, der Laubhütte, die in heimischen Gärten und Parks aufgestellt wird, erinnern sich Jüdinnen und Juden daran, dass ihre Vorfahren einst auf der Flucht aus Ägypten ohne den Schutz fester Häuser den Widrigkeiten der Natur ausgesetzt gewesen waren. Zu Sukkot feiern Jüdinnen und Juden außerdem die hereingebrachten Ernten und danken Gott für seine Gaben. Es ist ein fröhliches Fest, das im Kreise von Freunden, Nachbarn und Verwandten begangen wird, zu dem man sich in der Synagoge trifft und sich auf die Geborgenheit besinnt, die einem der Glauben, die Gemeinde und die Familie bieten kann.
Wie groß kann das Gefühl der Geborgenheit aber sein, wenn man tagtäglich um das Leben und die Sicherheit seiner Lieben und seiner selbst besorgt sein muss? Wie hoch ist der Schutz fester, gemauerter Häuser, in denen Jüdinnen und Juden heute leben? Welche Sicherheit bieten die Synagogen in Deutschland, wenn sie, wie es ein Blick in die vergangenen Jahrzehnte zeigt, immer wieder Ziel von Brandanschlägen, Terrorattacken und Attentaten werden?
Diese Fragen haben sich viele Menschen einmal mehr am vergangenen Wochenende stellen müssen, nachdem am Sonntagnachmittag ein junger Mann, der auf dem Weg zu einer Sukkot-Feier in der Hamburger Synagoge Hohe Weide war, angegriffen wurde. Die Antwort lautet: Der Schutz und die Sicherheit in den Häusern und Gemeinden jüdischer Bürger:innen ist in Deutschland nicht groß genug – leider nicht einmal dann, wenn sie unter Polizeischutz stehen, wie es in Hamburg der Fall war.
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