Monica Felgendreher ist seit Beginn der Querdenken-Proteste in Berlin im Sommer 2020 eine prominente Figur der Szene. Bereits seit knapp einem Jahr tritt sie für den Berliner Ableger “Querdenken 30” als vehemente Kämpferin gegen eine vermeintliche “Corona-Diktatur” auf. Michael Ballweg, Gründer der Querdenken-Bewegung, hatte Felgendreher und ihren Partner Christian Reuter explizit zur Organisation des Standorts Berlin vorgesehen. Sie versteht sich in der Tradition Sophie Scholls als Widerstandskämpferin gegen einen neuen Faschismus, deren erste Anzeichen sie bereits in der Coronapolitik der Bundesregierung erkennt.
Die Querdenken-Bewegung war von Anfang an eine Mischung aus Friedensbewegung, esoterisch angehauchter Ökologiebewegung, Impfkritiker:innen, Reichsbürger:innen, AfD-Politiker:innen und offenen Neonazis. Ungeachtet der immer wieder kritisierten Offenheit von Querdenken nach Rechtsaußen beschreibt sich Felgenhagen als Antifaschistin. Am Mittwoch, 26.01.22, einen Tag vor dem offiziellen Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, nimmt sie an einer Kundgebung in der Nähe des Bundestags teil, während dort über eine mögliche Impfpflicht debattiert wird. Sie hält ein Schild, auf dem die Coronapolitik der Bundesregierung als “Genozid” bezeichnet wird. Wir bitten sie um eine Stellungnahme, die wir dokumentieren und hier in Ausschnitten zeigen.
Es ist immer wieder vorgekommen, dass Personen aus dem Querdenken-Umfeld sich mit den Opfern des oder Widerstandskämpfer:innen gegen den Nationalsozialismus und den Holocaust gleichgesetzt haben. Ein prominentes Beispiel dafür war eine Person, die als “Jana aus Kassel” bundesweit Aufmerksamkeit erregte, indem sie sich in eine Tradition mit Sophie Scholl setzte.
Dass eine solche Gleichsetzung den Holocaust verharmlose und relativiere sei “Bullshit”, sagt Monica Felgendreher. Denn der kommende Faschismus sei bereits klar zu erkennen: “Gleichschaltung, Propaganda, Medienpropaganda, Gleichschaltung der Medien, Zensur von kritischen Meinungen, Diskriminierung, Ausgrenzung als Schädlinge der Gesellschaft”. Gerade die Bezeichnung “Schädlinge” lässt aufhorchen - auch Jüdinnen:Juden wurden in der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten als Parasiten und Schädlinge wahrgenommen. Doch Felgendreher wähnt sich im Widerstand: Genau wie Sophie Scholl schwimme sie “gegen den Strom”.
Auffällig ist im Gespräch mit Felgendreher auch, dass sie mit Vera Sharav eine jüdische Kronzeugin und Holocaustüberlebende zitiert. Sharav war am vergangenen Wochenende in Brüssel dadurch aufgefallen, dass sie im Zusammenhang mit der Impfkampagne Vergleiche zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zog. Fälle wie diese, dass Holocaustüberlebende oder Nachfahren der Opfer des Holocaust sich aktiv für die Belange von Querdenken & Co. einsetzten und explizit Bezüge zum Nationalsozialismus herstellen, hat es immer wieder vereinzelt gegeben. In jüngster Vergangenheit hatte sich eine Gruppe Holocaustüberlebender und deren Nachfahren für Sucharit Bhakdi, Kandidat der Querdenken-Partei Die Basis, ausgesprochen, der zuvor wegen antisemitischer Aussagen in der Kritik stand.
Diese Einzelbeispiele sind für Querdenken-Akteur:innen natürlich überaus willkommen und eignen sich zur moralischen Untermauerung der eigenen Position: Wenn eine Holocaustüberlebende und Jüdin für uns spricht, können wir doch schwerlich antisemitisch und holocaustrelativierend sein?
Doch, das ist möglich. Die eigene Identität immunisiert nicht davor, diskriminierende Vorstellungen und Ideologien, die eigentlich auch die eigene Person betreffen, selbst zu reproduzieren. Eine potenziell von Rassismus betroffene Person kann sich genau so rassistisch äußern, wie eine potentiell von Antisemitismus betroffene Person sich antisemitisch äußern kann. Selbiges lässt sich auf Holocaustrelativierung übertragen: Selbst wenn ein Mensch den Holocaust überlebt hat, heißt das nicht, dass diese Person nicht auch den Holocaust relativieren kann.
So oder so ist darüber hinaus fraglich, was denn das Zitieren derartiger Kronzeugen abgesehen von einer moralischen Selbstvergewisserung und Immunisierung vor Kritik überhaupt bewirken soll. Und genauso fraglich ist, warum denn ausgerechnet diese, aber nicht andere jüdische Stimmen wahrgenommen werden, die sich vehement und empört gegen die implizite Gleichsetzung und Relativierung der NS-Verbrechen im Querdenken-Spektrum wenden. Die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Coronapolitik wird nicht glaubwürdiger, wenn sie von Jüdinnen:Juden und/oder Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus geäußert werden.
Wenn Monica Felgendreher auf der Suche nach weiteren jüdischen Kronzeugen ist, die sie in Bezug auf vermeintliche Parallelen zwischen Nationalsozialismus und Coronapolitik zitieren möchte, kann sie in Zukunft gerne das Jüdische Forum konsultieren.
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