top of page

Antisemitische und rassistische Kontinuitäten in esoterischen Lehren und Praktiken


Im Rahmen der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus beteiligt sich das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V. dieses Jahr mit einem Vortrag, der antisemitische und rassistische Kontinuitäten in esoterischen Lehren und Praktiken thematisiert. Für alle, die sich schon vorab zu diesem Thema informieren möchten, haben wir einen einleitenden Text verfasst. Anmeldungen laufen über info@jfda.de.


Räuchern, Pendeln, Kartenlegen - Esoterische Lehren und Praktiken sind tief in unserer Gesellschaft verankert. Der Glaube an übersinnliche Fähigkeiten von Menschen, Heilfähigkeiten von Steinen und anderen Naturgegenständen sowie der Glaube an Karma und Wiedergeburt sind weit in der Bevölkerung verbreitet. All diese und viele weitere esoterisch-spirituelle Überzeugungen scheinen zumeist auf den ersten Blick recht harmlos. So kennen doch viele innerhalb der Familie, des Freundes- oder Bekanntenkreises eine Person, die zum Spaß Tarotkarten legt, dessen Kind eine Waldorfschule besucht oder die bzw. der gar auf die Wirksamkeit von glücksbringenden Amuletten schwört. Obwohl sich esoterische Lehren und Praktiken großer Beliebtheit erfreuen, ist kaum bekannt, auf welchen Vorstellungen die vermeintlich helfenden Praktiken basieren und welche teils menschenverachtenden Ansichten mit ihnen einhergehen können.


Manche esoterischen Ideen haben Schnittmengen mit völkischen und/oder rechtsextremen Ideologien. Diese Verbindungen werden innerhalb der Esoterikszene jedoch überwiegend verschwiegen und entsprechende Vorwürfe relativiert: Man müsse, so heißt es häufig, schon die Lehre als Gesamtes sehen und nicht nur einzelne Versatzstücke deuten. Dass aber jene Lehren grundlegend mit rassistischen, antisemitischen und sexistischen Ansichten und Überzeugungen verbunden sein können, wird nur sehr begrenzt thematisiert und reflektiert. Mit den zunehmenden Protesten gegen die Corona-Maßnahmen wurde zudem deutlich, dass einige Esoteriker:innen kein Problem damit zu haben scheinen, mit extrem rechten Akteur:innen Seite an Seite zu demonstrieren. Umso deutlicher wird dadurch, wie wichtig es ist die Esoterik in ihrer modernen Ausprägung mit Blick auf ihre historischen Begründer:innen näher zu beleuchten.


Bereits der Begriff der Esoterik lässt sich nicht eindeutig definieren, da es sich bei der Esoterikszene um keine homogene, zentral organisierte Gruppierung handelt. Vielmehr stellt die Esoterikszene ein sehr heterogenes Milieu dar. Unter dem Begriff selbst werden entsprechend zahlreich unterschiedliche Angebote und Lehren subsumiert wird. Esoterik ist folglich ein Sammelbegriff. Um dennoch erst einmal verstehen zu können was genau denn unter Esoterik gefasst wird, bietet es sich an die verschiedenen Merkmale der esoterischen Weltanschauung zu betrachten, welche esoterischen Lehren und Praktiken insgesamt gemein sind.


Das Fundament der unterschiedlichen Strömungen der Esoterik basiert in seinen Grundzügen auf ein und demselben Weltbild. Alles sei miteinander verbunden und stünde in Verbindung und Abhängigkeit zueinander. Der Mensch müsse sich spirituell weiter entwickeln, sein Karma auf- und abbauen und sich so seinem Schicksal oder seiner Vorbestimmtheit hingeben. Der spirituelle Aufstieg folgt einer hierarchisch strukturierten Stufenleiter, wobei die weiter Aufgestiegenen, die Lehrmeister:innen und Gurus, den “Erwachenden” bei ihrem Aufstieg helfen, indem sie ihr Wissen an sie vermitteln. Dieses Wissen wird jedoch nicht rational erfasst, sondern durch praktische Übungen und Techniken erlebbar. Gegenstand der Esoterik ist folglich das Übersinnliche, welches nicht rational erklärt werden kann. Nicht selten gehen Esoteriker:innen davon aus, dass, wenn jeder den Lehren ihrer auserkorenen Meister:innen folge, die Welt zu einer besseren werden würde. Somit nimmt die Esoterik nicht nur auf der persönlichen, sondern ebenso auf der gesellschaftlichen Ebene Raum ein. So wird ein Anspruch auf gesellschaftliche Allgemeingültigkeit formuliert, der deutlich macht, dass esoterische Lehren durchaus zu ideologischen Grundsätzen heranwachsen und als festes Weltbild bei den Esoterikgläubigen dienen können.

Natürlich ist die Freundin oder der Freund, welche:r ab und an Tarotkarten legt oder stets einen Edelstein zur Abwehr böser Energien trägt nicht automatisch ideologisch vereinnahmt, doch ist der Übergang durchaus fließend.


Ursprünglich galt Esoterik als Geheimlehre, die nur wenigen Eingeweihten zuteil wurde. Helena Petrovna Blavatsky, die in Teilen als "Mutter der Esoterik" betitelt wird, machte die Inhalte durch Veröffentlichungen wie "Die Geheimlehre" oder "Isis" einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Blavatskys Lehre wird als Theosophie bezeichnet, gleichzeitig ist sie die Begründerin der theosophischen Gesellschaft. Fester Bestandteil ihrer Lehre ist die Ansicht, Menschen ließen sich in verschiedene “Wurzelrassen” einordnen. Diese Einordnung von Menschen wird anhand äußerer Merkmale vorgenommen und ist somit zutiefst rassistisch. Sie geht davon aus, dass die “germanisch-angelsächsische Wurzelrasse” bzw. die “arische Wurzelrasse”, die aktuell spirituell höchste Stufe sei, die der Mensch erreichen könne. Durch die spirituelle Wertigkeit legitimiert Blavatsky unter anderem auch die Vorherrschaft der Weißen gegenüber anderen Völkern und rechtfertigt damit u. a. die Verbrechen des Kolonialismus. Zudem würde eine “große weiße Bruderschaft” den “Weltenplan” bestimmen. Jüdinnen und Juden schreibt sie darüber hinaus eine Sonderstellung zu. Sie seien “ein abnormes Bindeglied” zwischen den Wurzelrassen. [1]


Nicht minder rassistisch und antisemitisch sind zudem grundlegende Ansichten Rudolf Steiners. Steiner, Begründer der Anthroposophie, war selbst zeitweilig Mitglied in der theosophischen Gesellschaft in Deutschland und entwickelte seine Anthroposophie in Anlehnung an Blavatsky. So basiert das Menschenbild Steiners, welches bis heute Waldorfschulen als pädagogische Grundlage dient, auf Blavatskys Wurzelrassentheorie. Steiners Rassenlehre ist im Vergleich zu Blavatsky verkürzt, er teilt die Welt in nur fünf “Rassen”: die “Schwarzen”, die “Gelben”, die “Weißen”, die “Roten” und die “Braunen”. Biologistisch versucht er dabei zu begründen, wie weit die geistige und seelische Entwicklung der jeweiligen “Rasse” sei. Dabei betonte er immer wieder, dass der Europäer am weitesten entwickelt sei, “weil ihn Seele und Geist am meisten in Anspruch nimmt, Seele und Geist am meisten verarbeiten kann”. In späteren Werken spricht er häufig von “Kulturepochen” statt von “Rassen”, bleibt jedoch bei seinen sozialdarwinistischen Einteilungen von Menschen und ihrer geistigen, spirituellen Fähigkeiten. [2]


Während bei Blavatsky und Steiner das Konstrukt menschlicher “Rassen” dazu dient eine vermeintlich spirituelle Entwicklung der Menschen und damit ihre spirituellen Erhabenheit zu deuten, wurde u. a. durch Guido “von” List und Lanz “von” Liebenfels diese rassistische Unterteilung in Form der sogenannten Ariosophie weiter verstärkt und erhöht. Wohingegen bei Steiner und Blavatsky eine Trennung der angeblichen “Rassen” nicht vorgesehen war und deren Durchmischung gar positiv konnotiert wurde, so verneinen List und Liebenfels diese gleichermaßen. List prägte eine völkisch-germanische Lehre, nachdem die Germanen allen anderen Völkern hochhaus überlegen seien und erstrebte die Errichtung eines großen deutschen Reiches unter einer rassistischen und patriarchalen Ordnung. Durch hellseherische Eingebungen versuchte er eine jahrtausende alte Tradition und Überlegenheit der “Ario-Germanen” zu begründen. [3]


Jörg Lanz “von” Liebenfels, eigentlich Adolf Joseph Lanz, ist neben Guido List ein bekannter Vertreter der sog. Ariosophie, wobei Liebenfels ariosophische Lehren stark christlich geprägt sind und vor allem die “Aufzucht reinrassiger Arier” propagiert. Er ist u. a. durch Wilfried Daim als “der der Hitler die Ideen gab” bekannt, wobei seine tatsächliches Einwirken auf Hitler durch seine Lehren nicht hinreichend nachgewiesen werden konnten. Dass seine esoterisch rassistischen Überzeugungen und die damit einhergehenden Vorschläge ideologisch bereits mehrere der späteren Verbrechen im Nationalsozialismus vorwegnahmen, wie die Vernichtung von Jüdinnen:Juden und das Projekt Lebensborn, kann jedoch nicht verneint werden. [4] Sowohl List als auch Liebenfels hielten Jüdinnen und Juden für ein unnatürliches, heimtückisches und dunkles “Mondvolk” die den Ariern als “natürliche Feinde” gegenüberstehen würden. [5]


Neben diesem möglichen Einfluss rassistisch-esoterischer Überzeugungen kann auch mehreren Nationalsozialisten wie u. a. Rudolf Heß, Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg ein Hang zu esoterisch-okkulten Praktiken und Lehren nachgewiesen werden. Eine essentielle Bedeutung der Esoterik für den Nationalsozialismus und die NS-Verbrechen daraus abzuleiten, wäre jedoch weder zielführend noch angemessen. Es würde das Bild eines vermeintlich okkulten Nationalsozialismus schüren, den es in der Form nicht gab. Gleichzeitig dämonisieren derartige Auslegungen die Täter:innen und vereinfachen somit den Versuch einer Schuldabwehr .


Auch heute noch beziehen sich Einzelpersonen und Gruppen aus dem esoterischen Spektrum sowohl auf die Lehren und Überzeugungen von Blavatsky und Steiner, als auch in rechts-esoterischen Kreisen auf Lanz “von” Liebenfels und Guido “von” List. Zudem werden esoterische Ansichten spätestens seit den 1990er Jahren vermehrt mit Verschwörungsideologien vermengt. In der Corona-Pandemie wurde dieses Phänomen der “conspirituality” sehr deutlich.

Schon vor der Pandemie erreichten Akteur:innen, die dem Bereich der rechten Esoterik zugeordnet werden können, darunter u. a. Heiko Schrang und Jo Conrad, dank ihrer YouTube-Kanäle eine breite Öffentlichkeit. Sie propagieren eine weltweite Verschwörung der “Hochfinanz” und behaupten “bestimmte (böse) Kräfte” seien hierbei am Werk. Damit bedienen sich einige der esoterischen Akteur:innen in sozialen Medien wie Facebook, YouTube und Telegram der Erzählung einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Hierbei handelt es sich um ein gängiges Narrativ innerhalb des verschwörungsideologischen Milieus ist. Mit Chiffren wie “Hochfinanz”, “Israel” oder schlicht “bestimmten Kräften” werden antisemitische Überzeugungen verschleiert. Esoterische Narrative knüpfen hierbei aufgrund ihrer grundlegenden Überzeugungen häufig an. Die Erzählungen einer allmächtigen kleinen Gruppe, die das Weltgeschehen lenkt, lässt sich in das dualistische Weltbild der Esoterik passend einfügen.


Ein prägnantes Beispiel hierfür stellt die rechts-esoterische Anastasia-Bewegung dar. Innerhalb der Bewegung wird das naturgebundene Leben in einem sogenannten “Familienlandsitz” ganz nach den Vorgaben Wladimir Megres als Ideal angestrebt. Wladimir Megre ist Autor der Bücher “Die klingenden Zedern Russlands”, auch bekannt als die Anastasia-Bücher, welche die Grundlage der Weltanschauung der Bewegung bilden. Megre erzählt darin von seinem angeblichen Treffen mit der fiktiven Person Anastasia, die über übersinnliche Fähigkeiten verfüge und sich gegen “Priester”, die die Welt beherrschen wollen, wehre. In den Büchern wird durchgehend von Jüdinnen und Juden als “von den Priestern gesteuerte Bioroboter” gesprochen, die durch Moses, der selbst einer der Priester gewesen wäre, programmiert worden seien. Letztlich seien die Priester selbst jüdisch. Ganz im Sinne des Narrativs der vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung wird durch Megre in seinen Büchern Antisemitismus verbreitet und geschürt. Auch in Deutschland gab und gibt es Bestrebungen Familienlandsitze zu gründen und gar Schulen nach Megres Lehren zu eröffnen. Einige der Anhänger:innen weisen zudem Verbindungen ins rechte Milieu auf, wie u. a. Frank Willy Ludwig, Gründer der Organisation “Urahnenerbe Germania”.


Dass es sich bei esoterischen Weltanschauungen und Praktiken nicht allein um ein Randphänomen handelt, zeigt sich auch in der Leipziger Autoritarismus-Studie 2020. Darin wird deutlich, dass mehr als die Hälfte der Befragten der Aussage zustimmten die aktuelle Krise würde ein neues Zeitalter einläuten (52,4%). Zudem gaben 13,9% an, an Glücksbringer, Wahrsagerei, Wunderheiler und Astrologie zu glauben. [6] Die Notwendigkeit einer hinreichenden Aufklärung über antisemitische, rassistische und sexistische Ansichten innerhalb der Esoterik wird dadurch nochmals deutlich. Letztlich bietet die Esoterik selbst durch ihre zum Teil rassistischen, antisemitischen und sexistischen Lehren rechten Ideologien Anknüpfungsmöglichkeiten.



[1] Claudia Barth (2006). Über alles in der Welt- Esoterik und Leitkultur. (Zweite Auflage). Aschaffenburg: Alibri Verlag. S. 34

[2] Zitat von Steiner nach André Sebastiani (2021). Anthroposophie - Eine kurze Kritik. (Dritte Auflage). Aschaffenburg: Alibri Verlag. S. 59

[3] Nicholas Goodrick-Clarke (2004). Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Wiesbaden: Matrix Verlag. S. 88 ff

[4] Nicholas Goodrick-Clarke (2004). Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Wiesbaden: Matrix Verlag. S. 61

[5] Claudia Barth (2006). Über alles in der Welt- Esoterik und Leitkultur. (Zweite Auflage). Aschaffenburg: Alibri Verlag. S. 56

[6] Schließler, Clara; & Hellweg, Nele & Decker, Oliver (2020). Aberglaube, Esoterik und Verschwörungsmentalität. In: Decker, Oliver; & Brähler, Elmar (Hg.) (2020). Autoritäre Dynamiken. Zuletzt abgerufen am 13.03.2021 von https://www.boell.de/sites/default/ files/2021-04/Decker-Braehler-2020-Autoritaere-Dynamiken-Leipziger-Autoritarismus-Studie_ korr.pdf?dimension1=ds_leipziger_studie


bottom of page