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AfD macht antimuslimische Ressentiments zum Programm – Ein Beitrag zur Einordnung der Debatte


Forderungen der AfD nach gesetzlichen Einschränkungen islamischer Glaubenspraxis treffen auf einstimmige Zurückweisung. Ein Vergleich der Partei mit dem Nationalsozialismus ist jedoch sachlich falsch.

Mit einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 17. April drängten die führenden Politiker der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland und Beatrix von Storch, zuletzt in die öffentliche Aufmerksamkeit. Ihre offenbar auf die Provokation eines Eklats ausgelegte These: „Der Islam ist an sich eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.“ Deutschland, so Gauland, sei „ein christlich-laizistisches Land“, in dem der Islam nur „ein Fremdkörper“ sein kann. Dazu erläutert von Storch: „Viele Muslime gehören zu Deutschland, aber der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Ihre Partei fordere deshalb „ein Verbot von Minaretten, von Muezzins und für ein Verbot der Vollverschleierung“.

Seit dem Bundesparteitag der AfD Anfang Mai steht nun fest: Der antiislamische Kurs der Partei wird eigenständiges Thema in ihrem Grundsatzprogramm. Unter dem Titel „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ fordert die Partei weitgehende Einschränkungen für die Ausübung der islamischen Religionspraxis. Wie der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, bemerkte, habe die Partei damit den Boden des Grundgesetzes verlassen.

Bereits die Stellungnahmen der AfD-Politiker Gauland und von Storch Mitte April trafen auf weitgehende Ablehnung der etablierten Parteien. Pressesprecher der Bundesregierung Steffen Seibert verwies sowohl auf die grundgesetzlich garantierte Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung, sowie auf Bundeskanzlerin Angela Merkels Ansicht, „dass der Islam inzwischen unzweifelhaft zu Deutschland gehört“. Andere Unionspolitiker äußerten sich ebenfalls ablehnend, wenn auch offenbar etwas unkoordiniert. Während der Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Franz Josef Jung, von den AfD-Thesen auf einen Extremismus schloss, dass seinerseits „mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist“, bemerkte Partei-Vize Julia Klöckner gegenüber Gauland und von Storch, dass über Verfassungswidrigkeit „unabhängige Gerichte“ entschieden.

SPD-Fachfrau Kerstin Giese setzte den AfDlern entgegen, dass „weit mehr als 90 Prozent der hier lebenden Muslime (…) einen Islam“ praktizierten, „der sich ans Grundgesetz hält“. Der Sprecher des europäischen Parlaments, Martin Schulz, erklärte: „Die Einlassungen der AfD zum Thema Islam sind abstoßend. Eine ganze Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht zu stellen, ist unanständig. […] Damit ist sie keine Alternative sondern eine Schande für Deutschland.“ Christine Buchholz von der Fraktion Die LINKE kommentierte, dass die AfD durch diese Äußerungen „mitverantwortlich für die steigende Zahl an islamfeindlichen Übergriffen und Anschlägen auf Flüchtlingsheime“ sei.

Dass es der AfD dabei weniger auf eine aufklärerische Kritik, als auf die Mobilisierung fremdenfeindlicher Strömungen ankommt, zeigt sich bereits durch die dualistische Gegenüberstellung eines vermeintlichen Islam „an sich“ mit einer Vorstellung des deutschen Staates, der tatsächlich nie „laizistisch“ war. Gleichzeitig reicht jedoch die einhellige Absage an die Forderungen der AfD nicht hin, wenn darüber hinaus reale Probleme im Verhältnis von Islam und Demokratie aus dem Blickfeld geraten. Nur indem diese Probleme klar benannt werden, kann rechtspopulistischen Gruppierungen effektiv das Mobilisierungspotential entzogen werden.

Islamische Verbände sehen historische Parallelen

Im Bewusstsein sich der Zustimmung aller maßgeblichen Akteure der bundesdeutschen Politik versichern zu können, schoss Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, mit seiner Schelte des AfD-Programms offenbar über das Ziel hinaus. Über die Rechtspopulisten urteile er: „Es ist das erste Mal seit Hitler-Deutschland, dass es eine Partei gibt, die erneut eine ganze Religionsgemeinschaft diskreditiert und sie existenziell bedroht.“

Wie K. Hillenbrand in der Berliner taz kommentierte, würdigt die Gleichsetzung der Situation von Muslimen in Deutschland heute mit der der durch die Nationalsozialsten ermordeten Juden deren Leiden herab: „Der schäbige Subtext lautet: Wenn es mit den Juden damals so zuging wie heute mit den Muslimen, dann kann es ja alles nicht schlimm gewesen sein.“

Gleichzeitig schwingt in diesem Vergleich ebenfalls mit: So wie die europäischen Juden im Dritten Reich vollkommen unschuldig verfolgt und ermordet wurde, steht der Islam im heutigen Europa zu Unrecht im Fokus der öffentlichen Auseinandersetzung. In den Worten des Präsidenten der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, Ali Ertan Toprak: „Solche Vergleiche machen einen konstruktiven Diskurs über den Islam in Deutschland unmöglich. Und das stärkt erst recht Populisten und Extremisten auf beiden Seiten.“

Tatsächlich gibt es sachhaltige Gründe, weshalb das Verhältnis europäischer Muslime und der nicht-muslimischen Mehrheit keineswegs unproblematisch ist: Zum einen stellt in sicherheitspolitischer Hinsicht die Bedrohung durch den von einer Minderheit unterstützen islamistischen Terrorismus die aktuell größte Gefahr für Muslime und nicht-Muslime sowohl im Nahen Osten, wie auch in Europa dar. Zum anderen herrscht auch in Teilen der muslimischen Gemeinden und Verbände, die mehrheitlich nicht im politischen Sinne extremistisch sind, keine Klarheit über das Verhältnis von religiöser und rechtsstaatlicher Ordnung. Der Handlungsbedarf wird hier durch den Zuzug großer Gruppen arabisch-muslimischer Flüchtlinge, in deren Horizont die Frage nach diesem Verhältnis zuvor oft nicht einmal aufgetaucht ist, umso größer.

Das JFDA bemerkte in diesem Zusammenhang bereits:

„Die aktuelle Situation bringt sicherlich Schwierigkeiten mit sich. Einerseits kommt es wiederholt zu rechtspopulistischen Kundgebungen und sogar zu rassistischen Übergriffen vonseiten der deutschen Bevölkerung, denen konsequent begegnet werden muss. Andererseits stellt die Flüchtlingsaufnahme tatsächlich eine politische und gesellschaftliche Herausforderung dar.“

Grundlegende Forderung an jeden in der Bundesrepublik lebenden Menschen ist es, das Gewaltmonopol des Staates und dessen freiheitlich-demokratische Grundordnung anzuerkennen. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass Antisemitismus und Hass gegen den jüdischen Staat keinerlei Duldung findet.

Politische Implikationen im Islam sind nicht unproblematisch

Problematisch erscheint vor allem, dass Aufgaben der Integration muslimisch-arabischer Flüchtlinge von der Politik an Gemeinden und Verbände delegiert werden, deren eigenes Verhältnis zur Rechtsordnung der Bundesrepublik keineswegs eindeutig ist. In der sogenannten Islamischen Charta des Zentralrats der Muslime, der nicht repräsentativ für sämtliche Muslime in Deutschland spricht, sich selbst und seine Mitgliedsverbände jedoch als Vertreter eines gemäßigten Mainstream-Islam präsentiert, heißt es etwa: „Der Islam ist Glaube, Ethik, soziale Ordnung und Lebensweise zugleich“. Gleichzeitig müssten Muslime in Europa die jeweils lokale Rechtsordnung „grundsätzlich“ anerkennen. Auf die Konsequenzen dieser unvermittelt nebeneinanderstehenden Bekenntnisse wird jedoch mit keinem Wort eingegangen. Diese Ambivalenz in Fragen konfligierender Ordnungsvorstellungen charakterisiert dabei das Dokument in seiner Gesamtheit, wie der Islamwissenschaftler Rainer Brunner für die Bundeszentrale für politische Bildung herausarbeitet.

Mehr noch: Vor dem Hintergrund, dass die Verfasser der Charta sich zum Koran als „unverfälschte[m] Wort Gottes“ und „Grundlage […] des islamischen Rechts und der islamischen Lebensweise“ bekennen, wird jede Aussage über Vereinbarkeit religiöser und säkularer Rechtsordnung von vornherein von einem Standpunkt aus getroffen, der die islamischen Offenbarungsschriften zum einzigen Maßstab macht. Gerade dieser Standpunkt ist jedoch, so Islam- und Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, das maßgeblich Hindernis für notwendige Reformen innerhalb des Islams: „Das Problem ist nicht, was im Koran steht, sondern der Stellenwert des Koran, dass der Koran das direkte Wort Gottes ist und ein Manifest Gottes ist.“

Die Rolle antisemitischer Vorurteile in islamischen Gemeinschaften

Zwar kritisiert Josef Schuster zurecht die Verlogenheit der Aussage der AfD-Politikerin von Storch, dass antisemitische Straftaten in erster Linie von Muslimen ausgingen, während die AfD selbst wiederholt durch antisemitische Äußerungen ihrer Mitglieder aufgefallen ist. Die Mehrzahl antisemitischer Straftaten geht nach wie vor von Neonazis und anderen Rechtsextremisten aus. Tatsächlich nehmen jedoch Angriffe gegen Juden bei denen der oder die Täter einem muslimischen Hintergrund zugerechnet werden, sowohl in den behördlichen Statistiken, als auch in der Wahrnehmung der Betroffenen zu – schon bevor im Jahr 2015 die größte Anzahl syrischer und irakischer Flüchtlinge in Deutschland eintraf.

Das JFDA warnte in diesem Zusammenhang bereits vor den gefährlichen Wechselwirkungen, die möglicherweise zustande kommen, wenn antisemitische Vorstellungen, auch bezüglichen der israelischen Rolle im Nahost-Konflikt, den gemeinsamen Nenner muslimischer Einwanderer und derjenigen Muslime bilden, auf die sie hier treffen:

„In arabischen Ländern [wird der Antisemitismus] jedoch offener ausgelebt und von staatlicher Seite propagiert. Schulbücher, Zeitungen, Fernsehen und Internet dienen dabei als Medium. (…) Wie leicht ein solch rabiater Antisemitismus auch in der deutschen Gesellschaft abrufbar ist, zeigte sich bereits im Sommer 2014, als auf den Straßen Sprechchöre wie „Juden ins Gas“ oder „Kindermörder Israel“ erklangen.“

Ein Vorfall auf der Demonstration zum 1. Mai in Berlin macht dieses Problem erneut deutlich: Personen, die am Rande des Zuges die Flagge des Staates Israel schwenkten, wurden von Demonstranten aus dem Umfeld pro-palästinensischer Gruppierungen beschimpft und körperlich angegriffen.

Antisemitismus ist darüber hinaus nicht nur eine unter vielen alltäglichen Einstellungen, die in arabischen Staaten und unter den aus diesen ausgewanderten Muslimen in Europa verbreitet sind. Der Hass auf Juden und den Staat Israel ist außerdem zentraler Kristallisationspunkt des islamistischen Terrorismus, sowohl historisch als auch theoretisch, innerislamische Antagonismen zwischen Sunniten und Schiiten übergreifend. In der vom JFDA herausgegebenen Studie „Terroranschläge in Paris gegen Juden und ›Kreuzfahrer‹. Der antisemitische Djihad als ›Holy World War‹“ macht der Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm nachdrücklich auf diesen Umstand aufmerksam. Der islamistische Terrorismus bedroht die westlichen Länder und ihre Bevölkerung im Allgemeinen. Jedoch war der jüdische Staat Israel stets das erste Ziel der im Sinne dieser Ideologie verübten Gewalt. Ebenso deutlich ist erkennbar, dass Juden und jüdische Einrichtung unter den bevorzugten Angriffszielen radikaler Islamisten in Ländern auf der ganzen Welt weit oben rangieren.

Gegen die „Extremisten auf beiden Seiten“

Die dargestellten Probleme anzuerkennen ist dabei kein Gebot der Billigkeit gegenüber AfD, PEGIDA und Co. Wie der Sozialwissenschaftler Wolfgang Kraushaar in seiner Analyse des „rechtspopulistischen Ethnozentrismus“ anmerkt:

„Vernachlässigung, absichtliche Ignorierung, gezielte Dethematisierung und eine mitunter tiefsitzende Tabuisierung solcher Topoi stellen wichtige Faktoren für die Möglichkeit dar, einen populistischen Konstitutionsprozess in Gang zu bringen. Es bedarf solcher durch Auslassungen geschaffener Gelegenheiten, um das Potential, die offenbar nie ausgehenden populistischen Ressourcen, aktivieren zu können.“

Dass es sich bei volksverhetzenden Ausfällen gegen muslimische Zuwanderer um einen Ausdruck „berechtigter Sorgen“ handelt – wie auch einzelne Vertreter etablierter Parteien zuweilen andeuten –, muss klar verneint werden. Auch wird der harte Kern der Rassisten sich von seinen Ressentiments weder durch Gesprächsangebote, noch durch Verurteilungen abbringen lassen. Es muss diesen jedoch das Mobilisierungspotential dadurch entzogen werden, dass die Problematiken im Bereich der Integration und der Inneren Sicherheit klar benannt werden und sichtbare Konsequenzen gezogen werden. Auf diese Weise würde den „Populisten und Extremisten auf beiden Seiten“, das heißt sowohl den Rassisten, als auch den religiösen Fundamentalisten wirksam begegnet werden.

Sollte es jedoch nicht gelingen die rechtspopulistische Besetzung dieser Themen zu verhindern, so Kraushaar weiter, müsse damit gerechnet werden, dass sich im Zwielicht von Populismus und Ausländerfeindlichkeit ein „ethnozentrisches System“ bildet, das kurzfristig mindestens den militanten Elementen als Ermächtigung zu Gewalttaten gegen Asylbewerber und andere Einwanderer erscheint. Langfristig wäre nicht abzusehen, ob es rechtspopulistischen oder -extremen Gruppierungen unter diesen Umständen nicht gelingen könnte, sich in den bundesrepublikanischen Institutionen zu etablieren.

(12.05.2016) (Foto: Olaf Kosinsky, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany)

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