Eng eingeschlossen zwischen einem Lidl und einem Baumarkt können aufmerksame Spaziergänger:innen in Moabit Teile eines Gleises erkennen. Dies ist das Denkmal des „Gleis 69“.
Zwischen 1941 und 1945 wurden ungefähr 50.000 Jüdinnen:Juden aus Berlin nach Polen deportiert und in Vernichtungs- und Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands ermordet. In Berlin verbinden viele mit diesen Deportationen das Mahnmal „Gleis 17“ im Grunewald, von dem in den Jahren 1941 und 1942 ungefähr 10.000 Jüdinnen:Juden deportiert wurden. Genauso viele wurden vom Anhalter Bahnhof deportiert. Die überwiegende Mehrheit der Berliner Jüdinnen:Juden, mehr als 20.000 Menschen, wurde aus der Mitte der Stadt vor den Augen aller von dem damaligen Güterbahnhof Moabit deportiert.
Am Montag, dem 28. März jährt sich die erste Deportation aus Moabit zum 80. Mal. Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch wurde diese Deportation „11. Osttransport“ genannt. Laut der Deportationsliste wurden allein am 28. März 1942 aus Moabit 973 Jüdinnen:Juden nach Trawniki im Distrikt Lublin im sogenannten „Generalgouvernement“ deportiert. Aus Trawniki mussten sie zu Fuß in das nahegelegene „Transitghetto“ in Piaski gehen.
In Piaski verlieren sich die meisten ihrer Spuren. Von einigen ist belegt, dass sie im Konzentrationslager Majdanek ermordet wurden. Die überwiegende Mehrheit wurde jedoch im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ im Vernichtungslager Bełżec ermordet.
(Zur „Aktion Reinhardt“ haben wir eine ausführliche Inforeihe auf unserem Instagram-Account unter anderem mit einem Interview mit dem Historiker Prof. Dr. Michael Wildt veröffentlicht)
Dass erst 2017 nach mühevoller Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteur:innen ein Gedenkort entstand und dass dieser 2021 fast für einen Lidl-Parkplatz weichen musste, sagt viel über die deutsche „Erinnerungskultur“ aus.
Wir gedenken der Opfer dieser Deportationen. Unsere Solidarität gilt all jenen und den heute lebenden Jüdinnen und Juden in Berlin, Israel und der gesamten Welt.
Da die Einzelschicksale der Ermordeten leider zu häufig in Vergessenheit geraten, möchten wir an dieser Stelle exemplarisch der Familie Thilo gedenken.
Das Ehepaar Dr. Georg Thilo und seine Frau Margot Thilo wurden am 28. März 1942 aus Moabit nach Piaski deportiert. Wahrscheinlich wurden sie zusammen mit ihrer Tochter Liselotte verschleppt.
Dr. Georg Thilo wurde am 16. März 1886 in Berlin als einziger Sohn von David und Doris Thilo geboren und besuchte das Luisenstädtische Gymnasium zu Berlin im Prenzlauer-Berg. Nach der Schule studierte er Jura in Berlin, Freiburg und Heidelberg und schrieb seine Dissertation mit dem Titel: „Über die Nichtigkeit einer Aktiengesellschaft“.
Nach seinem Studium begann Georg Thilo eine Karriere beim Magistrat der Stadt Berlin. Unterbrochen wurde diese durch den Ersten Weltkrieg, an dem er von 1916 bis 1918 teilnahm. Nach dem Ersten Weltkrieg wollte Georg Thilo seine Verwaltungskarriere fortsetzen und hatte mehrere Anstellungen in verschiedenen Ämtern der Stadt Berlin. Unter anderem arbeitete er beim Arbeitsamt in Wilmersdorf und Kreuzberg, beim Finanzamt Wedding und beim Wohnungsamt. Aufgrund der wirtschaftlichen Krisen der Zeit wurde jedoch seine angestrebte Verbeamtung immer wieder abgelehnt und er kam wahrscheinlich nie über die Anstellung eines juristischen Hilfsarbeiters oder eines nichtständigen Angestellten hinaus.
Georg Thilo wohnte nahezu sein gesamtes Leben lang in einem Haus in der Eislebener Straße 5 in Berlin Charlottenburg in der Nähe des Kurfürstendamms, das seiner Mutter gehörte. Er wohnte dort zusammen mit seiner Mutter, da sein Vater schon vor dem Ersten Weltkrieg verstorben war. Nach seiner Heirat 1932 wohnten dort auch seine Ehefrau Margot und das gemeinsame Kind Liselotte. Seine Mutter verstarb 1936 in Berlin.
Margot Thilo wurde am 1. September 1902 in Berlin als Tochter des erfolgreichen Textilproduzenten Siegfried Wasservogel und Babette Wasservogel geboren. Über Margot Thilos Bildung ist wenig bekannt, jedoch arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit für ihren Vater und übernahm Verwaltungsarbeiten. In die Ehe mit dem eher finanziell schwachen Georg Thilo brachte sie eine beachtliche Mitgift, die die Familie Thilo ab 1933 auch benötigte, da Georg Thilo seine Arbeit aufgrund der nationalsozialistischen Machtübernahme verlor.
Der Vater von Margot Thilo besaß eine Reihe von Immobilien in Berlin, die aber von den Nazis „arisiert“ wurden. Er starb 1942 in Berlin. Ihre Mutter Babette Wasservogel wurde am 13. August 1942 zunächst nach Theresienstadt und dann am 26. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert.
1938 wurde Georg Thilo am 16. Dezember aus dem KZ Sachsenhausen entlassen. Wann er dort inhaftiert wurde, ist unbekannt. Die Vermutung, dass er im Zusammenhang mit den Inhaftierungen von Juden nach der Reichspogromnacht dort hinkam, liegt aber nahe.
Zwischen 1939 und 1940 mussten die Thilos wahrscheinlich aufgrund der antisemitischen Verfolgung das Haus in der Eislebener Straße 5 verlassen und in die Mommsenstraße 22 ziehen, wo sie zu viert wohnten. Wer der:die vierte Bewohner:in der Wohnung war, ist leider nicht bekannt.
Die Spuren der Thilos verlieren sich nach ihrer Deportation nach Piaski.
Zwar gibt es einen Bericht nach dem Margot und Liselotte Thilo in Auschwitz waren, jedoch lässt sich das zu diesem Zeitpunkt nirgends belegen. Liselotte Thilo soll 1942 aus Berlin in das Warschauer Ghetto deportiert worden sein, jedoch findet sich ihr Name auf keiner Deportationsliste. Ihr Onkel Moritz Günther Wasservogel, der die Shoa in der Emigration überlebt hat, berichtet, dass Liselotte mit ihren Eltern zusammen nach Piaski deportiert wurde, jedoch befindet sich ihr Name auch nicht auf dieser Deportationsliste.
Quellen:
-Landesarchiv Berlin, A Rep. 092, Nr. 037998.
-Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-08, Nr. 2471/JRSO.
-Landesarchiv Berlin, Rep 206 Acc3239, Nr. 3816.
-Landesarchiv Berlin, B Rep 025-08, Nr. 6513/55.
-Landesarchiv Berlin, B Rep 025-08, Nr. 6516/55.
-Landesarchiv Berlin, B Rep 025-08, Nr. 6517/55.
Literatur: Akim Jah, Die Deportation der Juden aus Berlin. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße. Berlin, be.bra 2013.
Comments